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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

293–295

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bagge, Sverre:

Titel/Untertitel:

Kings, Politics, and the Right Order of the World in German Historiography. C. 950-1150.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. XII, 444 S. gr.8 = Studies in the History of Christian Thought, 103. Geb. Euro 116,00. ISBN 90-04-12468-3.

Rezensent:

Volker Leppin

Sverre Bagge, Historiker an der Universität Bergen, teilt im Vorwort mit erfrischendem Freimut mit, dass das vorliegende Werk ein Relikt eines viel größer angelegten Projektes zu Individualitätsvorstellungen in der europäischen Tradition darstellt. Immerhin ein dickleibiges Relikt - und ein Werk, das in vorbildlicher Weise die eigene Methodik offen legt und gründlich und präzise durchführt: B. ordnet seine Untersuchung von Geschichtsdarstellungen aus dem römischen Reich des 10. bis 12. Jh.s in einen mentalitätshistorischen Horizont ein. Das heißt, ihm geht es ausdrücklich nicht um diese Schriften als Quellen für reale Geschehensabläufe, aber ebenso wenig ist er an den nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschenden begriffs- und ideengeschichtlichen Fragestellungen im Blick auf die mittelalterliche Historiographie interessiert. Vielmehr will er sie als Quelle über "what was considered normal behaviour at the time" lesen (5) - im Blick auf Königtum und Politik ist dabei in etwa an das gedacht, was Gerd Althoff als "Spielregeln der Politik im Mittelalter" bezeichnet hat. Damit wendet sich der Blick vorwiegend den narrativen Elementen der Texte zu.

Zum Gegenstand der Untersuchung hat B. herausragende Zeugnisse der Geschichtsschreibung genommen, an deren Bedeutung gar kein Zweifel aufkommen kann - wenn auch die mentalitätshistorisch wichtige Frage nach ihrer Repräsentativität letztlich nicht befriedigend beantwortet werden kann (22).

In den Res gestae Saxonicae des Widukind von Corvey (gest. nach 973) sieht B. in sachter Korrektur der bisherigen, stärker die religiösen Passagen betonenden Widukind-Forschung als leitenden Gedanken die Konstitution der Gesellschaft durch die Beziehungen der Individuen untereinander. Unter ihnen hebt sich der König als "big man in the centre of a circle of friends" (55) heraus, dessen Herrschaft nicht primär religiös legitimiert ist, sondern durch seine Führungskraft in Frieden und, vor allem, Krieg. Als signifikant für dieses Herrschaftsverständnis kann die schon von Beumann gemachte Beobachtung gelten, dass Widukind das Kaisertum Ottos I. aus der Proklamation durch sein Heer ableitet, die Krönung durch den Papst aber verschweigt (39).

Demgegenüber stehen im Chronicon Thietmars von Merseburg (975-1018) religiöse Elemente bereits viel stärker im Vordergrund. B. sieht diese allerdings - in einer für einen mittelalterlichen König etwas problematischen Wendung - vor allem auf das "private life" (188) des dargestellten Königs Heinrich II. bezogen. Hier wird möglicherweise einseitig zu Gunsten der insgesamt verfolgten Entwicklungslinie akzentuiert: Gerade die für die "säkulare" Deutung Widukinds wichtige Frage religiöser bzw. ekklesialer Herrschaftslegitimation wird nämlich auch nach B. bei Thietmar ganz anders behandelt, nämlich unter Betonung der Krönung durch kirchliche Würdenträger, gerade auch im Falle der Kaiserkrönung Ottos I. (109). Und die Königswürde Heinrichs II. wird bei Thietmar geradezu auf die Erwählung Gottes zurückgeführt (110 f.). Auch wenn damit Herrschaftskonstruktion durch personale Beziehungen keineswegs ausgeschlossen wird und die Geschehensabläufe ohne direkte Intervention Gottes nachvollziehbar bleiben (126 f.), hat sich bei Thietmar doch möglicherweise gerade im Bereich der selbstverständlich aus kirchenhistorischer Sicht besonders interessierenden religiösen Symbolik mehr geändert, als B. in seiner Auswertung zugestehen will.

Dass mit den in einem kurzen, aber überaus wichtigen Kapitel behandelten Gesta Chuonradi des Wipo (gest. nach 1046) erstmals in Gänze das Konzept eines an christlichen Normen gemessenen rex iustus etabliert wird, macht B. insbesondere an dem darin vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Erwählung durch Gott, Wahl des Königs und Krönung deutlich (195 f.). Hieran knüpfte dann der nächste behandelte Autor, Lampert von Hersfeld (ca. 1028 bis ca.1081) in seinen Annales an. Hier arbeitet B. - neben Hinweisen auf den christlich-moralisierenden Duktus der Erzählung - einen interessanten zeitgeschichtlichen Kontext heraus: Gerade die antikönigliche Opposition während des Investiturstreits hat gewissermaßen die moralischen Normen so geschärft, dass ein starkes Bild vom rexiustus etabliert werden konnte, das auch die Funktion des Königs als Repräsentant Gottes implizierte.

Diese Entwicklung wird durch die kurz nach dem Tod Heinrichs IV. entstandene Vita Heinrici Quarti dann in eigenartiger Weise fortgeschrieben: Da die entwickelte Königsideologie im Ergehen des Königs einen Hinweis auf Vorhandensein oder Fehlen göttlichen Beistandes sah, stand der Autor als Parteigänger des am Ende glücklosen Heinrich IV. vor nicht unerheblichen Problemen. Diese löste er nicht nur dadurch, dass er die Schuld an Wirren in Heinrichs Herrschaft seinen Gegnern gab, sondern auch durch das Konzept des leidenden Gerechten, der gerade als Erwählter Gottes dessen besondere Zuwendung auch in der exemplarischen Strafe erfährt (343).

B. schließt seine Arbeit mit einer Untersuchung der Gesta Friderici Ottos von Freising (ca. 1112-1158) ab, die die vorherigen Entwicklungsgänge zusammenführen und bündeln. Dies macht B. vor allem durch den Vergleich mit Wipo deutlich, demgegenüber der Grad an Komplexität bei Otto durch die vorliegenden Geschichtsdarstellungen aus dem Zusammenhang des Investiturstreits ganz erheblich angewachsen ist. Als charakteristisch hierfür kann die Auffassung Ottos von Gottes gezieltem Nicht-Eingreifen in die historischen Abläufe gelten, durch die Gott dem immanenten Geschehen Raum gibt, ihm gegenüber aber gleichwohl souverän bleibt (385) - eine insgesamt deutlich subtilere Lösung als die in der Vita Henrici Quarti vorgestellte.

Als überzeugendes Gesamtbild ergibt sich eine zunehmende Christianisierung der Königsdarstellungen - und damit ein grundlegender Beitrag zur Erforschung der Genese des christlichen Mittelalters.