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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

289–291

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, D. Moody:

Titel/Untertitel:

John among the Gospels. Second Edition.

Verlag:

Columbia: University of South Carolina Press 2001. XX, 262 S. gr.8. Kart. US$ 14,95. ISBN 1-57003-446-X.

Rezensent:

Michael Labahn

Die Verschiedenartigkeit der Jesuserzählungen in den drei synoptischen Evangelien und dem Johannesevangelium ist frühzeitig wahrgenommen worden. Lange Zeit war die Theorie apostolischer Verfasserschaft, die das JohEv als Werk des alten Johannes verstand, bestimmend. Mit der historisch-kritischen Methodik, besonders der Kritik der apostolischen Verfasserschaft der neutestamentlichen Schriften, entwickelte sich die Frage nach dem Verhältnis von JohEv und den synoptischen Evangelien zu einem der drängenden Probleme frühchristlicher Literaturgeschichte mit verschiedenen Konsensbildungen, aber andauerndem Klärungsbedarf. In dieser Situation ist eine Forschungsgeschichte nicht allein deshalb ein Desiderat, weil sie über die Wurzeln und den Weg zur gegenwärtigen Situation aufklärt, sondern weil sie über leitende Kriterien und Methoden informieren sollte, so dass ihr Ertrag die Weiterarbeit befruchtet. Den Orientierungsbedarf belegt, dass zehn Jahre nach der ersten Auflage (1992) die zweite Auflage des zu besprechenden Werkes erschien.

Im ersten Abschnitt widmet sich D. M. Smith der frühen Problemgeschichte, um im zweiten Kapitel ausgehend vom weitgehenden Konsens über die Abhängigkeit der Entwicklung der Unabhängigkeitstheorie nachzugehen. S. schreibt Windisch eine Mittlerolle zu ("the first major breakaway in a new direction"), die darin liegt, dass er die Vertreter der Unabhängigkeitstheorie darin im Recht sieht, dass sie gegen eine Ergänzung der synoptischen Evangelien durch das JohEv plädieren. Bekanntermaßen spielt Gardner-Smith eine zentrale Rolle für die Annahme literarischer Unabhängigkeit zwischen JohEv und den synoptischen Evangelien. Dass Gardner-Smith den Vergleich ausgehend vom johanneischen Text betreibt und dabei das JohEv als historische Quelle für das Leben Jesu anerkennt, wird bei S. betont, nicht jedoch, dass eine Fluchtlinie dieser Studie in der Frühdatierung des JohEv liegt, wie sie gegenwärtig einige Befürworter findet. Die nächste Phase führt zur Herausbildung eines Konsenses, die S. vor allem mit Dodd verbindet. Dodd bildet den formgeschichtlichen Impuls von Gardner-Smith weiter, gewichtet aber parallele Strukturen und wörtliche Übereinstimmungen neu, so dass ein Rückgriff auf alte, unabhängige Tradition wahrscheinlich sei. Am Rand werden verbleibende Gegenstimmen vermerkt (vor allem Barrett, Lightfoot und Blinzler). Der Konsensbildung (z. B. Brown, Bultmann, Schnackenburg) stellt S. einen Parallelkonsens zur Seite, der die Parallelen zwischen Lukas und Johannes betrifft (von Schniewind [1914] bis Maddox [1982]): "they regard the Gospel of John as importantly related to Luke yet at the same time not demonstrably dependent upon the Third Gospel" (88). Der nächste Abschnitt widmet sich den Passions- und Auferstehungsberichten von der Kritik eines vormarkinischen Passionsberichts über Dauer (Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium, StANT 30, 1972) zu Baum-Bodenbender, die daran festhalten, dass ein von den synoptischen Evangelien unabhängiger vor-johanneischer Passionsbericht existierte und dass synoptischer Einfluss auf das JohEv lediglich indirekt oder sekundär sei. Bedienen sich die Arbeiten der redaktionsgeschichtlichen Methodik, so begegnet S. dem bis heute sehr geschätzten Kriterium, dass Spuren synoptisch-redaktioneller Provenienz im JohEv hohe Evidenz für literarische Abhängigkeit bieten, mit Skepsis (112.115 f.). Mit dem Kapitel über die Auflösung des Konsenses (Boismard, Neirynck, noch einmal Dauer [Johannes und Lukas, fzb 50, 1984], Heekerens, Thyen und de Solages) nähert sich die Darstellung der gegenwärtigen Lage. Die Auflösung wird durch den Zweifel an einer vormarkinischen und vorjohanneischen Passionsgeschichte, die Auffindung synoptisch-redaktioneller Spuren im JohEv und literarische Analysen des JohEv, die die Kenntnis der Synoptiker voraussetzen, gefördert.

In der Zusammenfassung "Retrospect and Prospect" wird der methodische Charakter des Vergleichs bestimmt. Zu bedenken sind die Gattungsidentität (oder -analogie) sowie die Eigenständigkeit des Vergleichs des JohEv mit den synoptischen Evangelien gemessen an der synoptischen Frage: "more complicated, rarer, and more difficult to state" (178). Unterschiedlich gewichtet werden die Perikopenfolge wie auch die sprachlichen Konvergenzen, die Beurteilung der synoptischen Redaktionstätigkeit sowie die Bedeutung der Relation für die Rezipienten; alles in allem konstatiert S. "a divided state of scholarship". Wichtig ist der Abschlussgedanke, dass die Relation von JohEv und synoptischen Evangelien nicht nach dem Modell kanonischer oder autoritativer Abhängigkeit entworfen werden kann.

Die Uneinheitlichkeit ist das entscheidende Charakteristikum der Epoche zwischen den beiden Auflagen, die S. unter dem Stichwort "John, an independent Gospel" zusammenfasst. Die Akzeptanz der Unabhängigkeit des JohEv verbindet die unterschiedlichen Zugriffe. Seine für die zweite Auflage neu verfassten Abschlussbemerkungen konzentrieren sich forschungsgeschichtlich insbesondere auf die Hallenser Position (Schnelle, Lang und Labahn). S. äußert Sympathie für das Modell der "secondary orality" (Labahn) und findet eine Koinzidenz mit seinen eigenen Beobachtungen. Er bezweifelt, dass ein Nebeneinander der secondary orality mit dem Modell der literarischen Abhängigkeit (Lang) denkbar ist - hier mag man erwidern, dass dann, wenn hinter der "secondary orality" synoptische Texte stehen, auch der Zugriff auf diese Evangelien nicht ausgeschlossen ist.

Auf Grund kurzer methodischer Hinweise (vgl. Historical Issues and the Problem of John and the Synoptics, in: de Boer [Hrsg.], From Jesus to John, FS de Jonge, JSNT.S 84 [1993], 252-267) setzt er die Darstellung neuer Beiträge zur Fragestellung nicht fort, sondern geht der Frage nach einer Kenntnis des historischen Jesus im JohEv nach (Chronologie, Passion), um dies wiederum mit den Eingangsüberlegungen zu kombinieren. Das JohEv weicht nach S.s Meinung so von den synoptischen Passionsberichten ab, dass sie nicht seine Quelle sein dürften; dies zeigen Passagen, in denen im JohEv historisch zuverlässige Kenntnis möglich ist. Weiterhin stelle die Passionsgeschichte die Keimzelle der Evangeliengattung dar, so dass Gattungsanalogie kein Indiz für literarische Abhängigkeit sei.

Geschichtsschreibung ist Geschichtskonstruktion, die, mit einem bestimmten Deutungsinteresse Vorgegebenes verstehen will - so auch eine Forschungsgeschichte. S. gibt dieses Interesse mustergültig an: "my principal contribution is to state once again the difficulty in presuming that John used the Synoptics" (xiii). An diesem Ergebnis hält S. fest, auch wenn er zu Recht konstatiert, dass der Zugang zur Lösung der Abhängigkeitsfrage komplexer geworden ist. Wenn die Relation von JohEv und synoptischen Evangelien vom Abhängigkeitsmodell, wie es aus der synoptischen Frage bekannt ist, gelöst wird, so wäre an die faire, detaillierte und umsichtige Studie die Rückfrage zu formulieren, ob dann nicht auch Unabhängigkeit und Rezeption eines bzw. der synoptischen Evangelien mittelbar oder unmittelbar einsichtiger zusammengehen, als es S. gelten lässt. Bedauernswert ist, dass S. gegenüber der ersten Auflage nicht versucht hat, to bring the history of scholarship up to date" (xiii), sondern vor allem noch einmal die Sachvoraussetzung seiner Darstellung, also der Unabhängigkeit des JohEvs von den synoptischen Evangelien, profiliert. Dennoch sind auch die, die diese These nicht teilen, für die Orientierung, die diese erweiterte Neuauflage bietet, dankbar.

Hilfreich ist zudem die Präsentation, die Ansatz, Methodik und Voraussetzungen der dargestellten Werke in hinreichender Breite und wenn nötig mit Schemata vorstellt. Zu beachten ist besonders der Impuls, der die Herausnahme des JohEv aus der Frage nach dem historischen Jesus zu überwinden sucht. Eine Auswahlbibliographie und umfassende Register erschließen das Werk.