Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2004

Spalte:

284–286

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Powers, Daniel G.:

Titel/Untertitel:

Salvation through Participation. An Examination of the Notion of the Believers' Corporate Unity with Christ in Early Christian Soteriology.

Verlag:

Leuven-Paris-Sterling: Peeters 2001. 267 S. 8 = Contributions to Biblical Exegesis & Theology, 29. Kart. Euro 35,00. ISBN 90-429-1049-6.

Rezensent:

Christian Stettler

Die vorliegende Arbeit ist die Druckfassung einer Dissertation, die in Leiden unter der Anleitung von H. J. de Jonge geschrieben wurde. Sie ist von außergewöhnlicher Qualität: sehr lesbar geschrieben, klar im Aufbau, mit guten Zusammenfassungen; die Textauslegungen sind präzise und von exegetischem common sense geprägt; der Autor hat eine gute Kenntnis der exegetischen Diskussion mehrerer Sprachbereiche (englisch, niederländisch, deutsch, begrenzt auch französisch) und bezieht auch ältere Klassiker in die Diskussion ein.

Das Anliegen der Arbeit ist nachzuweisen, dass die paulinische Soteriologie keinen Stellvertretungsgedanken kennt, demzufolge Christus fremde Sünde auf sich nimmt und den Glaubenden die Gerechtigkeit Christi rein forensisch als fremde Gerechtigkeit angerechnet wird (imputative Rechtfertigung). Vielmehr gehe die paulinische Soteriologie vom Gedanken einer "corporate unity or solidarity" von Christus und den Glaubenden aus, die in einer gegenseitigen Partizipation resultiere: Christus und die Glaubenden sind eins, indem Christus sich mit der sündigen Menschheit identifiziert und sie so repräsentiert, während die Christen sich durch den Glauben mit ihm identifizieren. Beide Seiten partizipieren deshalb am Geschick der anderen Seite: Christus an der Folge der Sünde, die Glaubenden an Christi Tod, Auferstehung und Rechtfertigung ("vindication"). Es findet ein "interchange" zwischen Christus und den Glaubenden statt (M. D. Hooker).

Zunächst diskutiert P. kurz die Forschungsgeschichte und zieht folgendes Fazit: Als traditionsgeschichtliche Wurzel der paulinischen Soteriologie kommt der alttestamentliche Opferkult nicht in Frage, da er nur auf die Reinigung des Kultinventars und nicht auf die Vergebung von Sünden abzielt und weil das Opfertier nicht "sündig" oder "verflucht" wird (vgl. 2Kor 5,21; Gal 3,13), sondern heilig bleibt (B. H. McLean im Anschluss an J. Milgrom). Ein Einfluss von Jes 53 ist, da erst sehr spät nachweisbar, ebenfalls auszuschließen (M. D. Hooker, D.-A. Koch). Ein Rekurs auf pagan-hellenistische Traditionen des stellvertretenden Heldentodes ist unnötig, da sich Analoges auch in jüdischen Märtyrertraditionen findet (H. J. de Jonge).

In Kap. 1-4 analysiert P. die paulinischen "Sterbensformeln" (1Thess 4,14; 5,10; 1Kor 1,13; 8,11; 15,3; 2Kor 5,14 f.; Röm 5,6-8) und "Dahingabeformeln" (Gal 1,4; 2,20; Röm 4,25; 8,32). Besonderes Gewicht trägt dabei die Analyse des jeweiligen Kontexts. Das Ergebnis lautet folgendermaßen: Der Stellvertretungsgedanke ist völlig abwesend, hyper hemon heißt in all diesen Belegen "zu unseren Gunsten", nicht "an unserer Stelle". Durchgängig ist der schon skizzierte Gedanke von Einheit, Repräsentation und gegenseitiger Partizipation vorausgesetzt. In 2Kor 5,14-21 und Röm 5 wird dies besonders deutlich. Die Auferstehung Jesu ist überall implizit oder explizit mit seinem Tod "für uns" verbunden, beides ist nur zusammen soteriologisch relevant (vgl. 1Thess 4,14.17; 5,10; 1Kor 15,17; 2Kor 5, 15; Röm 5,9 f.; Gal 1,1; 2,20; Röm 4,25; 8,34).

Kap. 5 behandelt die Partizipation der Glaubenden an der Auferstehung Jesu nach 1Thess 4,14-17; 1Kor 6,14 f.; 1Kor 15, 20-22; Röm 6,1-14; 8,9-11.15-17. Christus ist auch in seiner Auferstehung Repräsentant der Glaubenden (als "Erstling der Entschlafenen"). Die Glaubenden partizipieren an seinem Ins-Recht-gesetzt-Werden ("vindication"), indem sie jetzt schon "in ihm" neues Leben haben und dereinst "mit ihm" auferweckt werden. Diese Partizipation gründet sich auf ihre Einheit mit Christus durch den Glauben (sie sind "in Christus", er bzw. sein Geist ist in ihnen).

Kap. 6 behandelt die paulinischen Aussagen zum Herrenmahl in 1Kor 10,16 f. und 11,17-34. Das Herrenmahl symbolisiert den heilbringenden Tod Jesu und die Einheit der Glaubenden mit Christus durch ihre "Teilhabe" an seiner Selbst- hingabe (10,16). Diese Einheit von Glaubenden und Christus bringt die heilbringende Wirkung seines Todes erst zum Tragen und hat auch die Einheit der Glaubenden untereinander zur Folge (als "ein Leib", 10,17; vgl. 11,29). Die Erwartung der Parusie beim Herrenmahl (11,26) zeigt, dass nicht nur der Tod, sondern auch die Auferstehung Jesu im Blick ist.

Nach Kap. 7 bezeugen 2Makk 5,1-8,3; AssMos 9 f. und das Gebet Asarjas die Existenz des herausgearbeiteten soteriologischen Grundkonzepts schon im vorchristlichen Frühjudentum. Hier identifizieren sich einzelne Gerechte mit den Sünden Israels und repräsentieren dieses im Märtyrertod; Gott akzeptiert ihren Tod als Sühne für die Sünden des Volkes, setzt die Märtyrer ins Recht und lässt ganz Israel an dieser Gnade partizipieren, indem er das Geschick des Volkes wendet. "[T]he basic pattern of salvation is remarkably the same" (235). Freilich bezieht sich Paulus nicht direkt auf diese Texte, sondern lediglich auf das zu Grunde liegende Konzept.

P. weist an den Texten überzeugend nach, dass die Soteriologie des Paulus keine rein exkludierende Stellvertretung bzw. rein imputative Rechtfertigung kennt, sondern von Identifikation, Repräsentanz und Partizipation geprägt ist, und dass Jesu Tod und Auferstehung bei Paulus nur zusammen soteriologische Bedeutung haben. P. erreicht dieses Ergebnis durch eine präzise Analyse des Kontexts der "für uns"-Aussagen. Dieses klare Ergebnis wird auch durch mögliche kritische Anfragen an P.s Arbeit nicht getrübt. Deren drei sollen hier angedeutet werden.

Erstens kann man fragen, ob das Moment der Stellvertretung im Tod Jesu tatsächlich gänzlich abwesend ist, wenn er als sündloser Gottessohn für die Sünder stirbt, und ob man nicht besser mit H. Gese und O. Hofius von "inkludierender Stellvertretung" sprechen sollte. Auch eine forensische Komponente der paulinischen Soteriologie kann man nicht leugnen (vgl. die Aussagen über das "Zurechnen" der Gerechtigkeit), wenngleich sie nicht das Ganze der paulinischen Soteriologie ausmacht.

Zweitens kann man Taufe und Abendmahl bei Paulus kaum wie P. rein symbolisch auslegen. Vielmehr stellt die Bekehrungstaufe nach Röm 6,3-5 genau den Ort dar, an dem die Glaubenden sich mit Christus identifizieren und so an seinem Geschick partizipieren. Im Herrenmahl wird diese Teilhabe nach 1Kor 10,16 immer neu vollzogen (und nicht nur abgebildet).

Drittens fußt die traditionsgeschichtliche Ableitung, die P. am Schluss bietet, m. E. auf mehreren methodischen Fehlurteilen. Einmal ist die von ihm herausgearbeitete Konzeption, wenn man sie von ihren konkreten sprachlichen Fassungen im Frühjudentum und bei Paulus löst, nur eine (hilfreiche) moderne Abstraktion, aber nicht die Konzeption selbst. Die paulinische Soteriologie fußt nicht auf dieser Abstraktion, sondern auf konkreten alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen, die es zu eruieren gilt. Weiter ist der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Paulus nicht in erster Linie "within the writings of Jews of the Greco-Roman Period" zu suchen (194), sondern Paulus denkt von den Heiligen Schriften Israels, allen voran von der Tora, den Propheten, den Psalmen und den Weisheitsschriften her. Schließlich ist nicht nur dort von einem alttestamentlichen Hintergrund auszugehen, wo dies hieb- und stichfest bewiesen werden kann. Im Gegenteil: Das Denken des Paulus ist insgesamt vom Alten Testament geprägt. Es ist deshalb geboten, auch da nach den alttestamentlichen Kategorien zu fragen, in die er das Christusereignis fasst, wo kein eindeutiges Zitat vorliegt. Wenn man das tut, finden sich mehrere Faktoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die paulinische Soteriologie geformt haben.

Viel wichtiger als die spätalttestamentliche Märtyrertradition ist die Sühnopfertradition der Tora. Da der Tempel bis 70 n.Chr. für Israel von höchster Bedeutung war, kam der Jude Paulus nicht umhin, nach dem Verhältnis des Todes Jesu zu dem das Gottesverhältnis Israels regelnden Sühnekult zu fragen. Die Diskussion über die Sühne ist noch lange nicht abgeschlossen, wie P. meint (vgl. die Übersicht bei C. Eberhart, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament, WMANT 94, Neukirchen-Vluyn 2002, 250-257); die Position, auf die er sich bezieht, lässt sich, da zu einseitig, so kaum halten.

In der alttestamentlichen Sühnetradition ist das Konzept von Identifikation und Partizipation schon voll ausgebildet (vgl. die von P. nicht rezipierten einschlägigen Arbeiten von H. Gese, B. Janowski und T. Knöppler). Außerdem haben die Blutriten der Sühnopfer aller Wahrscheinlich- keit nach die Reinigung von Kultinventar und von Menschen zur Wirkung. Diese Reinigung zielt auf den Vollzug der (Neu-)Begegnung mit Gott ab und kann in dem Maße als Vergebung interpretiert werden, als hier Sünde beseitigt wird (s. Eberhart, a. a. O., 264.287 f.). Die Aussagen des Paulus über die heilschaffende Wirkung des Blutes Jesu schließen hier ganz unmittelbar an. Dass Jesus zum "Fluch" und zur "Sünde" wird, das Opfertier aber "heilig" bleibt, ist als Argument absurd: Auch das Opfertier stirbt und erleidet so den Fluch der Sünde, und Paulus würde den auferstandenen Gottessohn, dessen Geist und Gemeinde "heilig" sind, niemals als "sinful" und "accursed" bezeichnen (vgl. 20).

Ferner ist auch die Diskussion über die Gottesknechtstradition von Jes 53 und ihren Einfluss auf Paulus keineswegs zu Ende (vgl. die beiden von P. nicht wahrgenommenen Sammelbände Der leidende Gottesknecht, hrsg. von B. Janowski u. P. Stuhlmacher, FAT 14, Tübingen 1996, und Jesus and the Suffering Servant, hrsg. von W. H. Bellinger u. W. R. Farmer, Harrisburg PA 1998).

In Jes 53 findet sich das Konzept von Identifikation und Partizipation ebenfalls: Der Gottesknecht trägt Israels Schuld, Israel erkennt dies und partizipiert so am Geschick des Gottesknechts. Paulus zitiert Jes 53,1 in Röm 10,16 und Jes 52,15 in Röm 15,20 f., weil er sein Evangelium als die Botschaft vom gestorbenen und auferstandenen Gottesknecht versteht. Auch in den Aussagen über die Rechtfertigung und Fürbitte durch den Auferstandenen (Röm 4,25; 8,34), die Rechtfertigung der "Vielen" (Röm 5,15-19, vor allem V. 19b) und Jesu Tod "um unserer Sünden willen" (Röm 4,25; 1Kor 15,3; Gal 1,4) bezieht sich Paulus doch am wahrscheinlichsten auf Jes 53. - Schließlich repräsentiert nach den alttestamentlichen Königs- und Messiastraditionen der König das Volk, und nach der Endgestalt von Dan 7 partizipiert das "Volk der Heiligen des Höchsten" am Geschick des messianischen Menschensohns.

Den Hintergrund der paulinischen Soteriologie haben wir wohl in einer Zusammenschau all dieser Traditionen zu sehen, nicht in einer modernen begrifflichen Abstraktion. Es wäre interessant zu prüfen, in welchem Maß die Jesustradition ein Bindeglied zwischen diesen Traditionen und der paulinischen Soteriologie darstellt.