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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

277–279

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin:

Titel/Untertitel:

Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XII, 587 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 141. Lw. Euro 159,00. ISBN 3-16-147710-3.

Rezensent:

Eduard Lohse

Den beiden vorangegangenen Bänden Kleiner Schriften hat der emeritierte Tübinger Gelehrte nun einen dritten an die Seite gestellt. Bezogen sich die beiden ersten auf "Judaica" und "Hellenistica", so ist der dritte neutestamentlichen Untersuchungen gewidmet, die vor allem die paulinischen Briefe, sodann aber auch den Jakobusbrief und die Gestalt des Herrenbruders Jakobus betreffen. Die hier versammelten elf Studien enthalten drei umfangreiche Abhandlungen, die zwar schon früher entstanden sind, aber erst jetzt veröffentlicht werden: "Paulus und die Apokalyptik", "Paulus, Israel und die Kirche" sowie "Paulus und die Frage einer vorchristlichen Gnosis". Die anderen Beiträge waren zwar schon früher erschienen, werden aber jetzt in erweiterter bzw. durchgesehener Gestalt vorgelegt. Somit sind alle Beiträge aufmerksamer Beachtung wert, sind sie doch ausnahmslos mit reichem Material ausgestaltet, das mit der Absicht zusammengetragen ist, jeweils eine klare Urteilsbildung zu ermöglichen.

Die Studien zur paulinischen Theologie konzentrieren sich auf das hellenistische Milieu Jerusalems als den Ausgangspunkt des Apostels, suchen die frühen Jahre seines Lebensweges in ein deutlicheres Licht zu rücken, heben die Christologie als die Mitte seiner Theologie hervor und betrachten sein Verhältnis zum Judentum, aus dem er kam. Dabei werden die Ergebnisse vorausgesetzt, die in den vorangegangenen Studien im Blick auf die neutestamentliche Zeitgeschichte gewonnen wurden. Starker Einfluss aus der griechischen Welt war auch in Jerusalem wirksam. Doch während andere Kulturen und Völker vielfach vollkommen im Hellenismus aufgingen und von der Bühne der Geschichte verschwanden, vermochte das Judentum die hellenistischen Einflüsse aufzunehmen und zu integrieren, so dass es zu vielgestaltiger neuer Ausprägung jüdischen Lebens kam. So konnte der Jude Saulus, der aus der Diaspora zum Studium nach Jerusalem kam, auch dort hellenistisch bestimmte jüdische Überlieferung studieren.

Vor dem Hintergrund dieser zeitgeschichtlichen Voraussetzungen werden deutlich umrissene Bilder der verschiedenen Lebensabschnitte des Apostels sowie der ihn bestimmenden theologischen Gedankenführung gezeichnet. Einige grundsätzliche Entscheidungen, die das Paulusbild des Autors kennzeichnen, seien kurz hervorgehoben.

Als Ergebnis bisheriger Paulusforschung wird vorausgesetzt, dass nur sieben Briefe als authentische Dokumente anzusehen sind (206 u. ö.). Dieser kritische Konsens beinhaltet, dass wir die paulinische Theologie nur aus dem Zeitraum zwischen 50- 60 n. Chr. kennen. Das Leitmotiv von der Gerechtigkeit Gottes, das das Denken des Apostels maßgebend bestimmt, wird schon früh ausgebildet worden sein. Für die Annahme einer sich erst allmählich ausbildenden Entwicklung bieten die Texte jedoch keinen hinreichenden Anhalt.

Der Römerbrief ist zwar der letzte große Brief des Paulus. Aber die darin vorgetragenen Gedanken gehen nicht auf neue Einfälle des Apostels zurück, sondern entfalten "tragende Grundgedanken seiner Theologie" (209). Mit eindeutiger Klarheit wird festgehalten: "Dass die Gesetzes- und Rechtfertigungslehre sich erst spät aus dem Konflikt mit Galatien entwickelt habe, läßt sich in keiner Weise nachweisen" (239).

Was lässt sich über die frühen Jahre des Paulus in umsichtiger Auswertung nicht nur der paulinischen Briefe, sondern auch der Apostelgeschichte sowie zeitgenössischer jüdischer Quellen sagen? Einige Eckpunkte verdienen auch hier besonders hervorgehoben zu werden: In den sog. "Sieben" der Apostelgeschichte besitzen wir "das entscheidende Band zwischen Jesus und seinem aus Galiläa stammenden Jüngerkreis und den hellenistischen Gemeinden außerhalb Judäas" (58). "Von einer vorpaulinischen Heidenmission bzw. einer entsprechenden vorpauli- nischen heidenchristlichen Gemeinde sollte man dagegen nicht mehr reden" (ebda.).

Wie zu diesem Thema spricht sich H. auch zu anderen Zusammenhängen dafür aus, die Berichte der Apostelgeschichte nicht gering zu achten, sondern ernst zu nehmen und genau zu prüfen. Sie rechtfertigen die These: "Die paulinische Theologie beruht zu einem guten Teil auf der radikalen Umkehrung früherer Werte und Ziele aufgrund der Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth" (181). Das bedeutet: Aus dem jüdischen Lehrer wird der Heidenmissionar, an die Stelle des Eifers für das Gesetz tritt die Verkündigung des Evangeliums, statt einer Rechtfertigung des Gerechten auf Grund der Werke des Gesetzes rückt nun die Rechtfertigung des Gottlosen allein durch den Glauben in das Zentrum der Theologie.

Mit scharf ausgebildeten polemischen Abgrenzungen werden die apokalyptischen Voraussetzungen des paulinischen Denkens und die zentrale Bedeutung einer futurischen Eschatologie betont ("Paulus und die frühchristliche Apokalyptik", 302- 417): "Auch die futurischen Heilsaussagen" sind "für das Verständnis der paulinischen Theologie mit grundlegend" und dürfen nicht "als peripher oder zweitrangig relativiert oder gar als mythologischer Ballast beiseitegeschoben werden" (391).

Gegen Ende seiner Lektüre ist der aufmerksame Leser ein wenig überrascht, dass in den beiden letzten Beiträgen dem Herrenbruder Jakobus - in behutsam vorgetragener Argumentation - die Abfassung des Jakobusbriefes zuerkannt werden soll. Es handle sich bei diesem Dokument nicht um ein "spätes, dürftiges Zufallsprodukt", sondern um einen Text, der "mit Überlegung konzipiert und mit rhetorischem Geschick verfasst" wurde (547). Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass der Brief in seinen wesentlichen Teilen antipaulinische Polemik enthält - wenn auch "in indirekter Form und ohne den Namen des Gegners zu nennen" (524). Jakobus soll nicht als extremer "Vertreter einer intolerant gesetzesstrengen Haltung" verstanden werden, "zu dem ihn die Tübinger Schule gemacht hat". Vielmehr zeige er sich "als das Haupt der Jerusalemer Gemeinde trotz aller persönlichen Gesetzesfrömmigkeit als ein Mann des Ausgleichs, der die Einheit der messianischen Jesusgemeinde aufrecht zu erhalten suchte" (570).

Auch in Abschnitten, in denen die Ausführungen dieses reichhaltigen Bandes Einwände oder Widerspruch hervorrufen, erfährt der Leser förderliche Belehrung und gut dokumentierte Auskunft. Ebenso wie zu den beiden vorangegangenen Bänden darf auch zu diesem die nachdrückliche Empfehlung ausgesprochen werden, sich durch eigene Lektüre in die Werkstatt gelehrter Arbeit zu begeben und vom reichen Angebot, das hier ausgebreitet wird, gründlich Gebrauch zu machen.