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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

272–274

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sticher, Claudia:

Titel/Untertitel:

Die Rettung der Guten durch Gott und die Selbstzerstörung der Bösen. Ein theologisches Denkmuster im Psalter.

Verlag:

Berlin-Wien: Philo 2002. VIII, 379 S. gr.8 = Bonner Biblische Beiträge, 137. Geb. Euro 56,00. ISBN 3-8257-0289-8.

Rezensent:

Karin Schöpflin

Bei dieser Monographie handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung der im Sommersemester 2001 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau angenommenen Dissertation der Vfn. Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: eine Einleitung, die in die Fragestellung und das Problem des Tun-Ergehen-Zusammenhanges einführt, einen Hauptteil, der insgesamt 20 Psalmen betrachtet und Prov 1-9 anhangartig streift, sowie Schlussüberlegungen, die die Ergebnisse der Textanalysen unter den Aspekten "Weltbild" und "Gottesbild" zusammenfassen und dabei systematisch-theologische Überlegungen einbeziehen wollen.

Die Vfn. geht von folgender Beobachtung aus: "Es gibt Texte in den Schriften des Alten Testaments, in denen das Schicksal von Guten und Schlechten einander gegenübergestellt wird. In einer bestimmten Gruppe solcher Texte wird dabei auffällig (oder sogar sorgfältig?) vermieden, das Ende der schlechten Menschen mit dem Eingreifen JHWHs, das dieses Ende kausal herbeiführen würde, in Verbindung zu bringen. Hingegen wird in den unterschiedlichsten Formulierungen und Bildern explizit darüber gesprochen, daß JHWH helfend und rettend zugunsten der guten Menschen aktiv wird. Die Alternative hinsichtlich eines Vergeltungsdenkens lautet also nicht: Entweder Gott greift lohnend und strafend ein oder die Vorgänge werden rein innerweltlich aufgefaßt. Es gibt eine dritte Möglichkeit, nämlich die, Gottes Handeln nur mit einem der beiden Aspekte Lohn bzw. Strafe in Verbindung zu bringen." (7) Und so lautet die These: "In bestimmten Texten des Alten Testaments wird das Schicksal der Guten ausdrücklich auf ein rettendes Handeln Gottes zurückgeführt, während das Schicksal der Schlechten stets mit passiven oder unpersönlichen Wendungen beschrieben wird, ohne daß sich diese Verteilung der genera verbi (hier: Verbstämme) bzw. unpersönlichen Formulierungen als Stilmittel erklären ließe." (8)

Die für sie relevanten Texte hat die Vfn. durch die Lektüre der Schrift in Übersetzung sowie durch Konkordanzarbeit in Anlehnung an O. Keels "Feinde und Gottesleugner" (1969) ermittelt (Pss 37; 1; 6; 14; 20; 25; 27; 36; 40; 70; 49; 57; 63; 71; 91; 92; 104; 112; 118; 141; zuzüglich Prov 1-9). Im knappen Blick auf die Forschungslage konzentriert sie sich auf Klaus Kochs Ausführungen zum Tun-Ergehen-Zusammenhang als "schicksalwirkender Tatsphäre" und Jan Assmanns These einer "konnektiven Gerechtigkeit", wobei sie letztere als "wichtiges Korrektiv" (29) zu Kochs Verständnis bewertet. Als eigenen Begriff führt sie die "salvifikative Gerechtigkeit" ein: "Auf der Seite der Störung der Gerechtigkeitsordnung herrscht so etwas wie Autodestruktivität im Sinne des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Dagegen stellt Gott (in den einschlägigen Texten) dann die Gerechtigkeit wieder her, indem er aus dieser an sich selbst untergehenden Welt diejenigen herausrettet, die sich von ihm retten lassen wollen." (31)

Den Auftakt der Textanalysen bildet Ps 37, der eine ausführlichere Behandlung erfährt als Ausgangstext und zugleich Musterbeispiel für die methodische Durchführung aller weiteren Exegesen; diese umfassen im Anschluss an den Abdruck von MT und einer deutschen Übersetzung zunächst Abschnitte zu Einheitlichkeit, Gattung und Datierung, die sich an Standpunkten der neueren Psalmenexegese orientieren. Die behandelten Psalmen (wie dann auch Prov 1-9) werden - mit Ausnahme von Ps 6 und den offen gelassenen Datierungen von Pss 20 und 104 - nachexilisch, "spät" oder "eher spät" angesetzt. Den meisten Raum nehmen jeweils die Ausführungen "Zur These" ein, in denen die Vfn. ihre in der Einleitung vorgestellte These aus dem Psalm heraus zu belegen sucht. Dabei stellt sie in tabellarischen Übersichten Aussagen über das Ergehen der Guten/Schlechten sowie Bezeichnungen für diese Gruppen zusammen. Für Ps 37 (und die übrigen ausgewählten Psalmen) ergibt sich, "daß in keinem einzigen Vers das Ende der Schlechten in einen ausdrücklichen Kausalzusammenhang mit göttlichem Handeln gebracht wird" (54). Die "Mehrzahl der ausgewählten Psalmen [ist] durch Eschatologie bzw. eine allgemeine, unspezifische apokalyptische Grundstimmung geprägt" (303), einige trügen auch messianische Züge.

Die Schlussüberlegungen greifen die in der Einleitung thetisch im Vorgriff formulierten Erträge der Textanalysen auf, wollen aber zusätzlich das Gespräch mit der Systematischen Theologie suchen. Den Anfang machen Gedanken zur "Armentheologie": Sie deutet die Ursprungserfahrung des Exodusgeschehens als einer Rettung aus Armut und Unterdrückung um, da die Armen und Unterdrückten nun eine Gruppierung innerhalb Israels bilden. In 11 bis 12 der behandelten Psalmen sieht die Vfn. sicher diese Armentheologie als Deutungshintergrund gegeben. Dass die Feinde in den ausgewählten Psalmen sowohl persönliche Feinde des jeweils einzelnen Beters (in dem sich im Konkreten das Allgemeine zeigt) als auch JHWHs Feinde sind, weil sie sich von der Tora abgewandt haben und damit vom Glauben abgefallen sind, spiegelt innerisraelitische Konflikte wider. Im Hintergrund der behandelten Psalmen sieht die Vfn. die Überzeugung von einem universalen Unheilszusammenhang, der jede menschliche Aktion beeinflusst. Deshalb bedürfe jedes gute Handeln einer eigenen Entscheidung und Anstrengung. Selbstausschluss und Festhalten an JHWH sind als Alternativen möglich, weil Gott diese Freiheit in seiner Schöpfung gewollt habe. Sodann fallen einige wenige Streiflichter auf die biblische "Erbsündenlehre": Diese ist in den einschlägigen Texten der Urgeschichte sowie in den Psalmen greifbar; sie bringen die Gebrochenheit menschlicher Existenz zum Ausdruck, insbesondere die Sintflutgeschichte, die die Dialektik der Universalität der Sünde und die Radikalität der Liebe des Schöpfergottes benenne. Die untersuchten Psalmen machen einen allgemeinen Unheilszusammenhang bewusst, eine "Dynamik des und der Bösen, in die jemand auch gegen seinen Willen hineingezogen und verstrickt werden kann. Zugleich ist diese Darstellung der Wirklichkeit in einigen Texten getragen von der Hoffnung auf göttliche Vergebung, die allein diesen Zusammenhang zu durchbrechen vermag" (332).

Obwohl es sprachlich von den verwendeten Verbalstämmen her möglich wäre, wird der Untergang der "Feinde" nicht in kausalen Zusammenhang mit Gottes Handeln gebracht. Die Feinde schließen sich selbst aus - ihr Geschick interessiert in den behandelten Psalmen letztlich nicht. Entscheidend ist vielmehr die Hoffnungsgewissheit der Beter, die darauf vertrauen, dass Gottes Eingreifen sie als Gerechte aus dem allgemeinen Unheilszusammenhang der Welt erretten werde.

Insgesamt gesehen bietet die Vfn. in erster Linie Analysen von Psalmen (die Ausführungen zu Prov 1-9 spielen dabei nur anhangsweise eine Rolle), die sie unter dem Aspekt der "Rettung der Guten durch Gott und der Selbstzerstörung der Bösen" ausgewählt hat. Man wird zu bedenken geben müssen, dass es - wie die Vfn. selbst bemerkt (314) - zahlreiche "Armenpsalmen" gibt, die von einem strafenden Handeln Gottes reden. Eine Verhältnisbestimmung zu jenen Texten wäre ein Desiderat. Durch Vergleiche mit dieser umfangreicheren Textgruppe im Psalter hätte die Vfn. ihrer These mehr Profil geben können und wäre gegebenenfalls zu einer prägnanteren Aussage zur Theologiegeschichte des Alten Testamentes gelangt.