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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

266–268

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Kaiser, Otto: 2() Kaiser, Otto:

Titel/Untertitel:

1) Anweisungen zum gelingenden, gesegneten und ewigen Leben. Eine Einführung in die spätbiblischen Weisheitsbücher.

2) Zwischen Athen und Jerusalem. Studien zur griechischen und biblischen Theologie, ihrer Eigenart und ihrem Verhältnis.

Verlag:

1) Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 129 S. 8 = Forum Theologische Literaturzeitung, 9. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-374-02067-4.

2) Berlin-New York: de Gruyter 2003. VIII, 324 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 320. Lw. Euro 88,00. ISBN 3-11-017577-0.

Rezensent:

Johannes Marböck

Die zur Rezension vorliegenden Werke des wissenschaftlich noch höchst agilen 80-jährigen Marburger Gelehrten stellen zwei sehr unterschiedliche literarische Gattungen mit je verschiedenem Adressatenkreis dar; beide sind jedoch charakteristisch für Otto Kaisers Schaffen der letzten Jahre.

Der Sammelband der BZAW Zwischen Athen und Jerusalem vereinigt mit Ausnahme der bisher unpublizierten Studie zur Bindung Isaaks (199-224) Veröffentlichungen der Jahre 1998-2002 unter dem fundamental-theologischen Aspekt der Eigenart und Verantwortung des biblischen Glaubenszeugnisses vor dem Horizont zeitgenössischen Denkens damals und heute. Es ist nicht möglich, die 14 Studien im Einzelnen vorzustellen. Die Bedeutung der griechischen Welt für die alttestamentliche Theologie (1-38) gibt das Thema des Bandes vor und ist als magistrale informative Summa der einschlägigen Studien Kaisers für Exegeten, Altphilologen und Geistesgeschichtler in gleicher Weise interessant. Am Beispiel von Hiob, Kohelet, Sirach und Weisheit Salomos zeigt K. den Beitrag hellenistischen Denkens für die Bewältigung der jüdischen Sinnkrise. Die Bewegung geht dabei sowohl vom Orient in den griechischen Raum als auch umgekehrt. Fazit: "Athen und Jerusalem sind seither keine unversöhnlichen Gegner mehr, sondern, wenn auch in unterschiedlicher Weise, die Ursprungsstätten der Theologie." (38)

Drei Studien zu den Nomoi, Platons opus postumum: Gott und Mensch als Gesetzgeber in Platons Nomoi (63-80), Gott als Lenker des menschlichen Schicksals in Platons Nomoi (80- 103), Das Deuteronomium und Platons Nomoi. Einladung zu einem Vergleich (39-62), gelten dem Zusammenhang zwischen Gott als Maß aller Dinge und der menschlichen Gesetzgebung, der platonischen Antwort auf die Theodizeefrage durch den Jenseitsmythos (Reinkarnation) sowie der grundsätzlichen Einheit der religiösen und sittlichen Grundwerte, auch wenn sich Denkrichtungen (Dtn: von Gott her; Plato: zu Gott hin) unterscheiden, aber auch ergänzen (61 f.). Die Studie zu Xenophons Frömmigkeit bezüglich Vorzeichen und Orakel (105-133) am Beispiel der Anabasis illustriert indirekt die vorexilische Praxis Israels.

Zwei Beiträge vergleichen biblisches und außerbiblisches Denken: Der eine Gott und die Götter der Welt (135-152) zeigt die Unterschiede zwischen biblischem und griechischem Monotheismus: Israels Monotheismus (von Dtn 6,4-9 über 1Kön 18 zu Sach 14,9) geht von konkreten Abgrenzungen aus, der griechische (Xenophanes) fragt nach den tragenden Voraussetzungen aller Dinge. Gemeinsam ist beiden die Vernunftgemäßheit der Botschaft vom einen Gott als transzendentem Grund der Welt. Von der Schöpfungsmacht des Wortes Gottes (153-165) konfrontiert monophysitische altorientalische Schöpfungsvorstellungen (Zusammenfallen von Theogonie und Kosmogonie) mit dem der ganzen Welt gegenübergestellten Gott der Bibel. Beiträge zur Anthropologie im Alten Testament (Schönheit: 167-178; Freiheit: 179-198) finden ihre Weiterführung in drei Sirachstudien, denen K.s besonderes Interesse gilt: Der Mensch als Geschöpf Gottes. Aspekte der Anthropologie Ben Siras (225-243), Carpe diem und Memento mori in Dichtung und Denken der Alten bei Kohelet und Ben Sira (247-74) sowie Das Verständnis des Todes bei Ben Sira (275- 292) kreisen, angeregt von Fragen der griechisch-hellenistischen Welt, um die Todesgrenze und das dem Verzicht auf eschatologische Spekulation entsprechende menschliche Verhalten (Gelassenheit, Gottesfurcht, Annahme des Todesgeschicks).

Der hervorragend erschlossene Band besticht durch die immer seltenere Synthese altorientalischen, biblischen und klassischen Fachwissens, ebenso durch den Eros, mit philosophisch reflektierter exegetischer Arbeit Grundfragen des gegenwärtigen Menschen zu dienen. Wenn K. das Fazit vieler Beiträge mit gewissem Nachdruck (in großer Marburger Tradition) auf existential-philosophische Gegebenheiten zurückführt (versöhnte Annahme der Endlichkeit; Gott als transzendenter Grund des Daseins usw.; vgl. u. a. 151 f.273 f.), stellt sich dem Rez. dabei die Frage nach Unverzichtbarkeit, Rolle bzw. Gewicht der konkreten Geschichte Israels im Alten Testament bzw. auch der Gestalt Jesu von Nazaret, gerade im Kontext der Begegnung von Kulturen.

Das dem Gedächtnis von Josef Schreiner gewidmete Bändchen Anweisungen zum gelingenden, gesegneten und ewigen Leben fasst in geschlossener, prägnanter Form die Ernte der Beschäftigung K.s mit den spätbiblischen, insbesondere den deuterokanonischen Weisheitsschriften für gebildete Bibelleser zusammen.

Kap. 1 (9-31) skizziert die Forschung zur historischen und literarischen Entwicklung der biblischen Weisheit (Schriftkultur; Salomo und die salomonischen Weisheitsschriften: Antwort auf assyrisch-babylonische Weisheit?). An den Stadien des Ijobbuches mit seinem Aufbrechen von Systematisierungen durch den Deus absconditus und die Haltung der Gottesfurcht illustriert K. die Geschichte der Weisheit bis ins 3. Jh. v. Chr.

Kap. 2: Kohelet oder die Frage nach dem Glück des vergänglichen Lebens (32-56) gilt dem radikalsten der dargestellten Zeugen. Konsequenz aus dem Endlichkeitsschock und dem Kreislauf der nichtigen Bestrebungen der Menschen im Angesicht des Memento mori ist der Rat zum Genießen des vergänglichen Glückes und als abschließende Summe die Gottesfurcht als Ermöglichung der via media zwischen Übergerechtigkeit und selbstsicherer Bosheit.

Dass der Weisheit des Jesus Sirach als Gottes Weisheit im Wort der Weisen und in der Tora (Kap. 3: 57-88) besonderes Augenmerk gilt, mag Zeichen einer Wahlverwandtschaft sein. So zeichnet der evangelische Theologe die Reflexionen des liberal-konservativen Juden (62) über die universale und spezielle Verleihung der Weisheit in Nähe und Unterscheidung zum stoischen Weltgesetz in einer Weise nach, dass der Rez. geradezu das scholastische Axiom gratia supponit ac perficit naturam zu lesen vermeint (vgl. 71 f.). Im Abschnitt über des Menschen Endlichkeit, Gottes Barmherzigkeit und das Leben angesichts des Todes, der ein Stück über Kohelet hinausweist, begegnen sich wohl in gesegnetem Alter gereifte persönliche Erfahrungen. Ähnliches wäre von der Rechtfertigung der Güte der Welt und vom Grund des Glaubens und Lehrens Ben Siras (Überlieferung; Gottesfurcht) zu sagen.

Kap. 4 zur Weisheit Salomos oder von der Weisheit als Führerin zum ewigen Leben (89-116) entfaltet als Botschaft der Trostschrift für angefochtene gebildete Juden Alexandriens um die Zeitenwende, dass Gerechtigkeit unsterblich ist, in den Aussagen über Wesen und Wirken der Weisheit aber auch Gottes Transzendenz in ihrem Verhältnis zur von seiner Vernunft regierten Welt.

Zusammenfassend fragt K. nach der Gewichtung der weisheitlichen Vorgaben der Gottesfurcht und des verborgenen Gottes in den behandelten Schriften bzw. nach dem Aufgreifen neuer Themen. So stellt Kohelet den Deus absconditus in den Vordergrund, damit der Mensch Gott fürchte (Koh 3,10-14), und offenbart sich als Weiser, der nach Ewigkeit dürstet, doch nur Endlichkeit gefunden hat (119). Sirach bewältigt bei seinem Versuch denkender Rechtfertigung der Gerechtigkeit Gottes die Zerrissenheit der Wirklichkeit in Gottvertrauen und Demut, als ein Theologe, der die Grenzen der Erfahrung nicht überschreitet (121 f.), während die Weisheit Salomos mit dem Geheimnis der Unsterblichkeit an dieser Grenze einsetzt und weiterführt. - Phil 4,8 bzw. Thess 5,21 Prüfet alles, das Gute behaltet sind Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Worte und Lehren jener Weisen für uns Christen.

Die anspruchsvolle Einleitung zeigt die Weiterführung biblischer Offenbarung in der Begegnung mit dem Denken der hellenistischen Epoche, sie erweist die behandelten Schriften aber auch als Plädoyer für gelingendes, gesegnetes und ewiges Leben. Die Erschließung deuterokanonischer Schriften ist zugleich ein höchst dankenswerter ökumenischer Beitrag des evangelischen Theologen, dem noch Schaffenskraft für weiteres Schöpfen aus Wissen und Erfahrung gewünscht sei!