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Ausgabe:

März/2004

Spalte:

259 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Marguerat, Daniel, et Adrian Curtis [Éds.]:

Titel/Untertitel:

Intertextualités. La Bible en échos.

Verlag:

Genf: Labor et Fides 2000. 322 S. gr.8 = Le Monde de la Bible, 40. Kart. sFr 45,00. ISBN 2-8309-0949-6.

Rezensent:

Jean Zumstein

Dieses Buch sammelt die Beiträge, die im Rahmen des durch die Universität Lausanne organisierten internationalen Kolloquiums "Intertextualité dans les récits bibliques" (30. April-2. Mai 1998) vorgestellt wurden. Sein Thema ist das Phänomen der Intertextualität in der biblischen Tradition (in einem weiten Sinn).

Die Untersuchungen lassen sich in sechs Gruppen einteilen. 1) Das Alte Testament: Adrian Curtis untersucht die historischen Andeutungen, die in den Psalmen vorkommen; Thomas Römer setzt sich mit der doppelten - jüdischen und griechischen - Resonanz auf die Jephta-Erzählung (Ri 11) auseinander; Christophe Nihan versucht, anhand der Kategorien von Riffaterre die intertextuellen Hinweise auf das deuteronomistische Gesetz in 1Sam 8-12 zu identifizieren. 2) Die intertestamentarische Literatur: Pierluigi Piovanelli erforscht die Geschichte der babylonischen Gefangenschaft (ein nach dem ersten Jüdischen Krieg abgefasstes Werk) im Verhältnis zu den Paralipomena von Jeremia, während George Brooke die intertextuellen Auslegungen Qumrans und des Neuen Testaments vergleicht. 3) Die Evangelien: Pierre Keith beschäftigt sich mit der sehr seltsamen Einführung in das Summarium des Gesetzes in Mt 22,34, während Claire-Antoinette Steiner schildert, wie der Prolog des Markus-Evangeliums (mit seinen intertextuellen Referenzen) als Lektüre-Vertrag für das ganze Evangelium funktioniert. Andreas Dettwiler entfaltet die hermeneutische Tragweite des Relecture-Prozesses in den johanneischen Abschiedsreden. 4) Die Apostelgeschichte: Loveday C. Alexander stellt sich die Frage nach dem Typus des Lesers, den die Intertextualität gleichzeitig voraussetzt und bildet. Daniel Marguerat zeigt, wie Lukas in Apg 12 ein bedeutsames Spiel intertextueller Resonanzen organisiert. 5) Paulus: Gerald Downing untersucht das Oppositionsmodell, das zwischen Paulus und der damaligen Kultur entsteht. Am Beispiel von Phil 2,15-16 macht Peter Oakes die Rolle der intertextuellen Frage bei den Übersetzungsoptionen verständlich. 6) Die christlich-apokryphe Literatur: Jean-Daniel Kästli übernimmt die Kategorien von Genette, um eine Klassifizierung der apokryphen Schriften zu erarbeiten. Christiane Furrer enthüllt das Spiel der Verweise, welches zwischen den evangelischen Passionsberichten und den Pilatus-Akten entsteht.

Zuerst ist das innovative Potential des Buches zu begrüßen. Sowohl in der angloamerikanischen als auch in der frankophonen Exegese werden die Beiträge der Literaturwissenschaft immer mehr aufgenommen und zur Geltung gebracht. Neben der narrativen Analyse gehört die Theorie der Intertextualität zu diesen neuen methodischen Ansätzen. Unter einem heuristischen Gesichtspunkt ist die Anwendung der Theorie der Intertextualität auf die biblische Literatur berechtigt und sinnvoll, insofern sowohl das Alte als auch das Neue Testament als Relecture früherer Ereignisse und Texte zu begreifen sind. Dadurch aber wird eine bestimmte, nämlich restriktive Definition der Intertextualität gewählt, die das ganze Buch beherrscht. Unter dem Begriff der Intertextualität ist im Sinne von Genette das Verhältnis der Ko-Präsenz zwischen zwei oder mehreren Texten (durch Zitat, Verweis, Andeutung oder sogar Plagiat) oder das Verhältnis der Derivation von einem Text zum anderen zu verstehen.

Die Entstehungsverhältnisse des Buches - Referate im Rahmen eines internationalen Kolloquiums - führen dazu, dass das Ganze - sei es in der Formulierung der Fragestellung, in der gewählten Methodik oder in der Wahl der untersuchten Texte - keine Einheit aufweist. Diese Mannigfaltigkeit könnte zwar als Nachteil empfunden werden. Sie spiegelt aber eher das Experimentelle, Offene und Kreative des Bandes wider.