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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

769 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Meier, Ralph

Titel/Untertitel:

Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 310 S. gr. 8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 80. Kart. DM 89,-. ISBN 3-525-56287-X.

Rezensent:

Michael Basse

Hans Joachim Iwand (1899-1960), einem der bedeutenden Theologen dieses Jahrhunderts, der Luthers reformatorischen Ansatz im Horizont der Theologie Karl Barths entfaltet hat, wird in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Die vorliegende Studie (Dissertation Erlangen-Nürnberg 1995) befaßt sich mit einem zentralen Thema bei Iwand wie in der Theologie überhaupt. Dabei wählt der Vf. einen systematisch-theologischen Ansatz, den er ausdrücklich von einer kirchengeschichtlichen sowie biographischen Vorgehensweise abgrenzt, so daß letztere allein dort berücksichtigt werden soll, wo sich die theologischen Anschauungen Iwands verändert haben (16). Diese strenge methodische Abgrenzung läßt sich, wie der Duktus der Arbeit auch zeigt, gerade bei diesem Thema nicht einhalten, zumal der Vf. selbst immer wieder betont, daß Iwand "seine Theologie in der Auseinandersetzung mit der Irrlehre seiner Zeit [entfaltet]" (56 u. 161). Eine eingehendere Berücksichtigung der theologiegeschichtlichen Zusammenhänge hätte der vorliegenden Untersuchung aber noch deutlichere Konturen und damit auch noch mehr systematisch-theologisches Gewicht verliehen.

In einem ersten Teil wird Iwands Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium in den Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Christologie eingeordnet (36 ff.). Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gründet in der Lehre von der Heiligen Schrift, wobei Iwand später - darin Barth folgend - von der Identifikation der Schrift mit dem Wort Gottes Abstand nimmt (45 ff.). Wird die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht vollzogen, so ergeben sich daraus entweder ein nomistischer oder ein antinomistischer "Irrweg" (71). Die Ethisierung und damit Vergesetzlichung der Rechtfertigungslehre läßt sich besonders deutlich bei Albrecht Ritschl und auch noch an der Lutherinterpretation Karl Holls aufzeigen (73 ff.). Gegen den Antinomismus und in Abgrenzung zu der politisch instrumentalisierten Lehre vom Volksnomos hält Iwand an der Gesetzespredigt gerade um des Evangeliums willen fest (82 ff.). Dabei betont er den Offenbarungscharakter des Gesetzes, insofern dieses "hinausweist auf Jesus Christus hin, vom Sinai nach Golgatha" (96). In dieser Perspektive kann Iwand dann Barths Umstellung von ,Evangelium und Gesetz’ aufgreifen (98 u. 154 ff.). Die eigentliche Aufgabe des Gesetzes besteht in seinem usus elenchticus, d.h. in seiner Funktion, die Sünde vor Gott zu erkennen und zu bekennen (105 f.). Dieser Selbsterkenntnis, die zugleich Gotteserkenntnis ist, korrespondiert die Annahme von Gottes rechtfertigendem Urteil (111). Neben der sündenaufdeckenden Funktion des Gesetzes - und dem von Iwand kaum thematisierten usus politicus legis - steht der tertius usus legis, d. h. seine bewahrende Funktion, wobei Iwand die Einheit von Rechtfertigung und Heiligung betont, um so einem Nomismus entgegenzuwirken (123 f.). Inhalt des Evangeliums ist die Gerechtigkeit Gottes in Christo, die dem Menschen nicht nur zugesprochen wird, sondern ein neues Sein im Menschen schafft (136 f.). So läßt sich in dem Rahmen von Gesetz und Evangelium eine theologische Anthropologie in der Relation von ,Fleisch und Geist’ entwickeln, deren Zielpunkt der versöhnte Mensch ist (165 ff.).

In einem zweiten Teil werden die ethischen Konsequenzen der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium aufgezeigt (183 ff.). Aus der rechtfertigungstheologischen Grundlegung der Ethik ergibt sich die Vorordnung der Person vor sein Werk (184 ff.). Der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium korrespondiert im Hinblick auf die politische Ethik Iwands seine Auffassung der Zwei-Reiche-Lehre, wobei sich auch in dieser Perspektive im Anschluß an Barth eine zunehmende Akzentuierung der in Christus versöhnten Welt nachzeichnen läßt, die insbesondere Iwands Entwurf des Darmstädter Wortes von 1947 und sein Engagement für den Frieden in den fünfziger Jahren bestimmte (202 ff.).

In einem dritten Teil wird dargelegt, daß die Predigt den eigentlichen Zielpunkt von Iwands Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium bezeichnet (229 f.). Die Zielrichtung der Predigt von Gesetz und Evangelium ergibt sich aus der fundamentalen Unterscheidung von Buchstabe und Geist. Wie das Evangelium nur als "Amt des Geistes" verkündet werden kann, so auch das Gesetz, sofern es als lebendigmachendes und nicht als tötendes Wort Gottes verstanden werden soll (237 ff.). Daß Iwand hier nicht nur eine Predigttheorie entwickelt hat, wird an einigen seiner Predigten exemplarisch nachgezeichnet (248 ff.).

Von der begrenzten theologiegeschichtlichen Perspektive abgesehen überzeugen insgesamt die klare Struktur und die präzise Darstellung dieser Untersuchung. Die systematisch-theologischen Konsequenzen werden im Schlußteil angedeutet, sie müßten aber noch weiter entfaltet werden, um dann auch ihre praktisch-theologische Relevanz aufzuzeigen.