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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

766–769

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Flogaus, Reinhard

Titel/Untertitel:

Theosis bei Palamas und Luther. Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 471 S. gr.8= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 78. Geb. DM 158,-. ISBN 3-525-56286-1.

Rezensent:

Theodor Dieter

F. hat sich für seine Berliner Dissertation eine gewaltige Aufgabe gestellt: Die Theosislehre von Gregorios Palamas (1296-1359) und die Vergöttlichungsaussagen bei Martin Luther sollen im Zusammenhang der betreffenden Theologien dargestellt und miteinander verglichen werden (6); bei Palamas soll darüber hinaus das Verhältnis seiner Theologie zur philosophischen Tradition und zu den Schriften der Väter (74) untersucht werden, während im Luther-Kapitel F. auch die Thesen der finnischen Luther-Forschung, die Theosislehre bilde einen Schnittpunkt orthodoxer und lutherischer Tradition und die Teilhabe an Christus habe "real-ontischen" Charakter, überprüfen will (36-38).

Nach einer umfangreichen Einleitung in die komplexe Problematik, die biblische, historische und systematische Aspekte kenntnisreich berücksichtigt, und der Erläuterung der Aufgabenstellung (13-75) stellt F. im zweiten Kapitel (77-284) die Unterscheidung von Gottes Wesen und Energie bei Palamas dar (77-109) und erörtert dann die "Auswirkungen" dieser Distinktion auf Gotteslehre (110-138), Anthropologie (139-158) und Soteriologie (159-271). Die Darlegung zeugt von einer souveränen Kenntnis der Texte, die Fülle der minutiös aufgezeigten Bezüge zu Tradition und zeitgenössischen Gegnern ist höchst aufschlußreich (allerdings weniger die philosophischen, die nicht selten etwas schematisch bleiben). Wertvoll ist, daß F. die Belege für seine Ausführungen nicht nur nennt, sondern meistens die Zitate auch griechisch ausschreibt. Besonders hervorzuheben ist die geradezu sensationell zu nennende Entdeckung, daß Palamas an mehreren Stellen in den Capita und in der 16. Homilie entweder Sätze wörtlich aus Augustins De trinitate (in der Planudes-Übersetzung) übernimmt oder inhaltlich übereinstimmend formuliert (98-109; 112 f.; 143-158; 238-261).

Nach F. unterscheidet Palamas Wesen und Energie Gottes als Seinsstufen (im Verhältnis von Ursache und Verursachtem mit Subordination des letzteren) in Gott voneinander. Allein die Energien sind partizipierbar, daher auch nicht die Hypostasen als solche. Weil die Energien Energien der ousia Gottes sind, ist für Palamas’ Verständnis von Gottes Handeln und Offenbaren wie auch der Teilhabe an ihm entscheidend, ob die Energien als von den Hypostasen "geprägt" gedacht oder ihr "Gebrauch" bestimmten Hypostasen besonders zugeschrieben werden kann. F. meint - mit guten Argumenten - , daß die Energien "von der hypostatischen Distinktion" unberührt bleiben (280; so schon Podskalsky, Wendebourg u. a.). Damit kann "die Erfahrbarkeit des trinitarischen Gottes in seiner Ökonomie nicht mehr theologisch begründet werden" (284). Diese Interpretation hat allerdings die Konsequenz, daß zahlreiche Aussagen von Palamas als bloßes Traditionsgut, das theoretisch nicht mehr eingeholt werden kann (210), verstanden werden müssen.

Das folgende Kapitel über das Vergöttlichungsmotiv in der Theologie Luthers (285-380) ist viel kürzer als das Palamas-Kapitel. Über nicht wenige der Texte, die F. hier heranzieht, ist in den letzten Jahrzehnten sehr viel geforscht worden. Vieles in diesem Kapitel ist wohlvertraut. Allerdings benutzt F. die Sekundärliteratur relativ sparsam. So fehlt, um nur ein Beispiel zu nennen, zum "partim-partim" die wichtige Studie von W. Joest, Gesetz und Freiheit (31961). F. interpretiert die betreffenden Luther-Texte meist nur kurz; er bringt nach eigener Systematik Texte aus sehr verschiedenen Jahren zusammen, wodurch deren Profil nicht immer zum Tragen kommt und in der Forschung herausgearbeitete Unterschiede zurücktreten.

Die Systematik selbst und ihre Durchführung sind einleuchtend: F. beginnt mit der Frage der "Verborgenheit Gottes" (285-300) und damit nach der "Umgrenzung des Bereiches" (285) der Teilhabe an Gott. Im zweiten Teil erörtert er den "fröhlichen Wechsel" als Teilhabe an den Gütern Christi (301-325), während der dritte Teil (326-352) die "Vergöttlichung des Glaubenden" als "Partizipation an nomen, natura und forma Dei" (326) zum Thema hat. F. sagt mit Recht: "Die Teilhabe an der göttlichen Natur bedeutet für [Luther] ... nichts anderes als die Partizipation an den Heilsgütern durch die Einwohnung Christi im Glaubenden" (328). Der vierte Teil handelt von der "Simul-Struktur der Vergöttlichung" (353-374) und damit von der Weise der Teilhabe. Diese erhält ihren besonderen Charakter als "Partizipation am Kreuz Christi" (357) und durch das Ineinander von "Vergöttlichung und Verknechtung" (365). Die Darstellung ist kundig, konzentriert und klar - manchmal allerdings zu klar angesichts der Komplexität des Gegenstandes.

F. verbindet seine Darlegung mit einer teils expliziten, teils impliziten Auseinandersetzung mit dem finnischen Verständnis von Vergöttlichung bei Luther. Daß dieser die unio mit Christus nicht, wie T. Mannermaa eine Zeitlang meinte, in den Bahnen der Substanzontologie versteht, sondern im Sinn einer relationalen Ontologie, macht F. deutlich. Wie jedoch diese Ontologie zu denken ist, erläutert er nicht (trotz 416-432 und der Hervorhebung der Bedeutung der "ontologischen Frage"; 415 f.). Er teilt offenbar die in der Luther-Forschung verbreitete Meinung, die Beschreibung relationaler Sachverhalte und die Betonung, daß diese bei Luther für das Verständnis des Seins des Menschen coram Deo von grundlegender Bedetung sind, sei schon eine solche Ontologie, obgleich Ontologie das Seiende als Seiendes oder das Sein als solches und seine Bestimmungen zu erfassen hat. Eine relationale Ontologie hat zu klären, was eine Relation ist, welche Typen von Relationen es gibt, wie sich Relationen zu den Relata "verhalten", ob relationale Ontologie schlechthin allgemein oder "aspekthaft" ist (allein das Sein coram Deo betreffend) und wie sie sich in diesem Fall etwa zu einer Substanzontologie (das Sein coram mundo betreffend) verhält, und ob sie aktualistisch zu verstehen ist (377). Eine solche Ontologie ist in den theologischen Einsichten Luthers impliziert, aber bei ihm nicht ausgearbeitet, und auch die Lutherforschung hat diese Erkenntnisse nicht in einer Ontologie entfaltet.

Es wäre eine ungebührliche Forderung an den Vf. einer Dissertation, eine solche Ontologie entwickeln zu sollen, aber ohne eine solche Explikation bleibt die Bedeutung vieler Aussagen von F. unausgewiesen.

So sagt er etwa ohne weiteres: Die "beiden verschiedenen Ebenen der Ontologie, d.h. das absolute Sein und das relationale Sein, dürfen nicht miteinander vermengt werden" (333, cf. 377). Der Sinn dieses Satz ist unklar, solange offen ist, ob es sich dabei um eine Unterscheidung innerhalb einer Ontologie oder um eine Unterscheidung zwischen zwei Ontologien handelt, wie die Unterscheidung zu begründen ist und in welchem Verhältnis das Unterschiedene zueinander steht. F. betont, das punctum saliens bei Luther bleibe "die Gleichsetzung der Substanz mit der extrinsezistischen Qualität" (334). Während die Begriffe "Substanz" und "Qualität" in einer Substanzontologie eine wohldefinierte Bedeutung haben, ist unklar, was sie in dem zitierten Satz, der ein Urteil der relationalen Ontologie sein will, besagen sollen. Zwar gebraucht Luther gerne traditionelle philosophische Begriffe in neuen Kontexten, aber mit der ständigen Wiederholung dieses metaphorischen Begriffsgebrauchs, wie sie in der Lutherforschung üblich geworden ist, gewinnt man keine Ontologie Luthers. "Die Realität dieses [neuen] Seins liegt gerade in seiner Exzentrik und nicht im vorfindlichen Sein des Menschen." (342) Wenn so das "a priori relationale ... Sein" (ebd.) des Glaubenden durch Negation des offenbar nicht relational zu denkenden vorfindlichen Seins bestimmt wird, dann bleibt man der abgelehnten Substanzontologie gerade in der Negation verhaftet und denkt nicht wahrhaft relational; das "Verhältnis" von relatio und relatum erweist sich im Wort "Exzentrik" als ungeklärt.

F. kritisiert mit Recht, daß der finnische Ausdruck "real-ontisch" (bezogen auf die Teilhabe an Christus) unklar ist (338). Seine eigene Charakterisierung der Rechtfertigung als "ontologisches Geschehen" ist aber nicht weniger unklar. Wodurch wird ein Geschehen zu einem ontologischen Geschehen? Wie bei den Finnen ist dieser Begriff v. a. durch die Opposition zu einer "ausschließlich forensisch" (414) verstandenen Rechtfertigung bestimmt. Die Worte "ontologisch" wie "real-ontisch" werden bei F. wie in der finnischen Forschung gebraucht, um theologische Sachverhalte (z. B. den Zusammenhang von extra nos und in nobis) erfassen zu können; sie nehmen eine nicht vorhandene Klarheit in Anspruch. Umgekehrt scheinen sie je und dann vom zu denkenden Sachverhalt eine gewisse inhaltliche Bestimmung zu erhalten, die jedoch nicht zu einer ontologischen Klärung weitergeführt wird. Es wäre besser, die theologischen Probleme zu erörtern, ohne solche Worte zu gebrauchen, um dann - von der gelungenen theologischen Klärung aus - zu einer ontologischen Reflexion zu kommen. Dazu müssen die Ebenen von theologischem Urteil und ontologischer Explikation klar unterschieden werden.

Daß F. das Wort "real" in "real-ontisch" mit Berufung auf Luthers "fundamentale ... Unterscheidung von ,in fide’ und ,in re’" (415; 347 f.; 378) kritisiert, ist nicht einleuchtend, weil er selbst von "Glaubenswirklichkeit" (413) spricht, v. a. aber, weil das augustinische Motiv "nondum in visione, sed in fide, nondum in re, sed in spe" (so 413) zwar biblische Bezüge aufnimmt, sie aber gerade metaphysisch und nicht relational-ontologisch auslegt. Auch wenn Luther das Motiv aufgegriffen hat, widerspricht es seinem reifen Denken: Was sollte "wirklicher" sein als die in der promissio Christi zugesagte und im Glauben ergriffene Sündenvergebung? Deren Wirklichkeit wird von ihrer Verborgenheit nicht aufgehoben.

F. beansprucht, im 4.Kapitel (381-440) einen Vergleich der Theosiskonzeptionen von Palamas und Luther durchzuführen, um die finnische These, das Motiv der Vergöttlichung bei Luther sei ein "Schnitt- und Berührungspunkt" von lutherischer und orthodoxer Theologie, zu überprüfen. Allerdings klärt F. nicht, welcher Anspruch präzise mit dieser These verbunden ist; im Verlauf des Kapitels bestreitet er dann gleichwohl energisch, daß von "einem wirklichen Schnittpunkt" gesprochen werden könne (420; Hv. v. Rez.). Das Fehlen jener Klärung ist auch darum mißlich, weil Palamas für den finnisch-orthodoxen Dialog nur am Rand eine Rolle spielte und weil er - trotz seiner überragenden Bedeutung - nicht die ganze orthodoxe Tradition repräsentiert, erst recht nicht in der Interpretation von F. Stellt man diesen Einwand zurück, dann wird man mit Gewinn zur Kenntnis nehmen, wie F. zahlreiche, oft tiefgreifende Unterschiede in den Fragen von Verborgenheit und Offenbarung, Sünde und Gnade, Ökonomie und Trinität, Synergie und schließlich Ontologie darlegt.

Einen Vergleich im strengen Sinn aber unternimmt er nicht; denn dazu wäre die Herstellung der Vergleichbarkeit von Lehrstücken, die in höchst unterschiedlichen Gesamtentwürfen stehen, erfordert. F. erwähnt zwar das hier bestehende hermeneutische Problem (392), sucht aber nicht nach einer dritten Ebene über oder neben den beiden Entwürfen, die einen Vergleich ermöglichen würde. Dem entspricht, daß er zwar sporadisch auf einige Ergebnisse des ökumenischen Dialogs mit den orthodoxen Kirchen eingeht (z. B. 403-411), nicht aber auf den Dialog selbst, der sich, mit vielen Mängeln behaftet, um jene dritte Ebene bemüht.

F. schließt mit einem eindrücklichen Prospekt über die "Lehre von der Vergöttlichung des Menschen in evangelischer Verantwortung" (432-440); darin entwickelt er das Verständnis des göttlichen Seins von 1Joh 4 her und versteht die Vergöttlichung des Menschen als "Aufnahme des an die in Jesus Christus geschehene Offenbarung Gottes als Liebe Glaubenden in diese Liebe selbst" (439).

F. hat eine an trefflichen Einsichten sehr reiche Studie vorgelegt. Das glänzende Palamas-Kapitel ist eine Herausforderung an die orthodoxe Theologie, ihr Verhältnis zur eigenen Tradition erneut zu prüfen; das Luther-Kapitel erinnert energisch an lutherische Ausgangspunkte im ökumenischen Gespräch mit den orthodoxen Kirchen. Auch die Vergewisserung positioneller Identitäten ist ein wichtiger Beitrag zum Gespräch, selbst wenn dieses darüber hinausführt.