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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

378–380

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Joerg, U. u. D. M. Hoffmann

Titel/Untertitel:

(1) Die Bibel in der Schweiz. Ursprung und Geschichte. Hrsg. von der Schweizerischen Bibelgesellschaft.
(2) La Bible en Suisse. Origines et Histoire. Ouvrage publ. par la Société biblique suisse.

Verlag:

(1) Basel: Schwabe 1997. 352 S. m. 192 farb. Abb. 4. Lw. DM 150,-. ISBN 3-7965-1004-3.
(2) Basel: Schwabe 1997. 352 S. m. 192 farb. Abb. 4. Lw. DM 150,-. ISBN 3-7965-1005-1.

Rezensent:

Herbert Kohler

Das Interesse des vorliegenden Bandes ist es, die kulturelle und religiöse Bedeutung der Bibel anhand der Bibelausgaben darzustellen, die über die Jahrhunderte hinweg, für den Kulturraum der Schweiz, gemacht wurden. Sorgfältig gearbeitet und überaus gewichtig liegt er vor uns, dieser Band, der eigentlich so etwas wie ein ausgebauter Ausstellungskat alog ist.

1991 feierte die Schweiz 700 Jahre Eidgenossenschaft. Die Schweizerische Bibelgesellschaft nahm dieses Jubiläum zum Anlaß, eine Ausstellung zu konzipieren, die die Geschichte der Bibel im eigenen Land nachzeichnen sollte. Die Ausstellung wurde weit herum gezeigt, mit großem Erfolg. Das Material der Ausstellung wurde erweitert und ergänzt, durch namhafte Autoren aus Wissenschaft und Kirche.

Der Aufbau ist chronologisch: Das Mittelalter (23-142) und die Reformationszeit (145-256) bilden die beiden großen Hauptteile, das 19. Jh. (257-294) und das 20. Jh. (297-337) bilden die beiden kleineren Seitenteile. Geleitworte aus Politik und Kirche und eine Einführung des Redaktors am Anfang, ein wertvolles, ausführliches Register am Ausgang (Verzeichnis aller im Text erwähnten Bibelmanuskripte, Bibeldrucke und Teildrucke) sowie ein Glossar bilden den Rahmen des Bandes.

Dieser Streifzug durch die Geschichte zeigt die wichtigen Bibel-Orte:

Er beginnt mit Martin Bodmers phänomenaler Sammlung in Genf-Cologny. Bodmer sammelt nach rein literarischen Kriterien frühchristliche Handschriften (etwa die älteste Handschrift zum Johannesevangelium), betrachtet die biblischen Texte als Weltliteratur.

Die Klöster mit ihrer ausgeprägten Schreib- und Illustrationskultur schaffen die wohl schönsten Bilderbibeln: Kloster Sankt Gallen mit der Stiftsbibliothek, Kloster Einsiedeln und Engelberg, dann die bedeutenden Stadt- und Universitätsbibliotheken: Burgerbibliothek Bern, Zentralbibliotheken in Zürich, Basel (während der Konzilszeit). Verborgene Trouvaillen lernt man kennen: etwa eine ashkenasische Bibelausgabe des 13. Jh.s (in Paris gelagert). Immer ist der Text reich verziert, ornamentiert, ausgestaltet mit Bildern, mit Kalligraphie. Die Bibel soll schön sein und kostbar, farbig und vergoldet; soll die Kostbarkeit ihres Inhalts sinnfällig anzeigen.

Von der Reformationszeit kennt man die drei Hauptorte der Bibeledition: Basel am Kreuzweg Europas, mit bedeutenden Druckern (Adam Petri), mit einer Begeisterung für Luther und seine Schriften, die wissenschaftliche Ausgabe des Erasmus, aber ebenso wichtig: Genf unter Theodor Beza, dem Nachfolger Calvins, mit einer kritischen Ausgabe (lateinisch-griech.), Zürich: Zwingli und die Prophezey, die Suche nach einem eigenen, alemannischen Sprachprofil (gegenüber Luthers Oberdeutsch), gedruckt mit Froschauers Druckkunst. Daneben aber auch Bern mit seiner Piscator-Bibel. Speziell aber ist die erste Bibel in Romanisch, dem Idiom am Rand, die eine lange Tradition romanischer Bibeln begründet. Später dann die italienischen Bibeln, auf der Diodati-Bibel gründend, gemacht für die Flüchtlinge und Auswanderer.

Immer zeigt sich in dieser Epoche, wie mit Hilfe der übersetzten Schrift die eigene Sprache gelernt und gepflegt wird. Die Bibel wird zum Volks- und zum Schulbuch. Mit ihr wird Alphabetisierung betrieben und selbständiges, mündiges Christentum befördert. Der Wortlaut der Schrift tritt in den Vordergrund, die Bilder und Illustrationen treten zurück.

Das 19. Jh. ist die Zeit der Bibelgesellschaften: in Basel und Genf. Vor allem über das Basler Missionshaus wird die Übersetzung in die außereuropäischen Sprachen betrieben. Jetzt geht es nicht um die kostbare Ausgabe, sondern um die Volksausgabe. Ziel ist es, daß jeder Haushalt eine Bibel erhält. Dies ist die Arbeit der "Kolporteure", der Vertreter, Hausierer, die mit ihren Bauchläden die Bibel unter die Leute bringen. Die Bibel soll gewöhnlich sein, kein Buch nur für Eingeweihte.

Das 20. Jh. ist die Epoche der nochmaligen Vervielfältigung. Noch nie gab es so viele und so viele verschiedene Bibelausgaben. Neben die klassisch-reformatorische Ausgabe tritt nun der Versuch, in Umgangssprache die Bibel zum Leser zu bringen: Die Mitarbeit beim Projekt "Gute Nachricht" belegt dies, Versuche in "français courant" schließen sich an. Daneben gibt es eine bedeutende Autorenübersetzung, die Schlachter-Bibel, die heute als Neue Genfer Übersetzung neu bearbeitet wird.

Große interkonfessionelle Projekte sind in Arbeit, die "Traduction oecumenique de la Bible", und schließlich in den 80er und 90er Jahren die Mundart-Bibeln: allen voran die berndeutsche Übersetzung des Alten und Neuen Testaments.

Der Band dokumentiert auf reichhaltige Weise die schweizerische Bibel-Geographie. Er macht deutlich, daß Bibelausgaben immer regional sind, Ortstraditionen verkörpern. Er zeigt eine Vielfalt, auch eine konfessionelle Umstrittenheit der Schrift, die nur dem kirchengeschichtlich Kundigen bekannt war. Der Liberalismus des 19. Jh.s, der für Bekenntisfreiheit plädiert und der dann für die Kirchenordnungen wichtig wird, erhebt die Bibel zum Regulativ: An und mit ihr sollen die Standpunkte bezogen und überprüft werden.

Die Zeit im ausgehenden Jahrhundert mag neue Frage stellen: Die Bibel auf CD-ROM erscheint anders als der prächtige Foliant von früher. Nach diesem Buch wissen wir viel mehr über die Übersetzung, die Herstellung und den Vertrieb der Bibel. Wir wissen aber immer noch wenig über deren faktischen Gebrauch in der Kirche, in Gruppen, im privaten Gebrauch, in nichtreligiösem Zusammenhang.

Ernüchtern mag uns die Tatsache, daß die Bibel zwar immer noch viel verkauft wird, wenige Zeitgenossen sich aber als deren regelmäßige Leserinnen und Leser einstufen. Der Gebrauch der Bibel - dies wäre ein weiteres spannendes Feld zur Geschichte der Bibel in unserer Epoche auf der Schwelle.