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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

756–758

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ludwig, Claudia

Titel/Untertitel:

Sonderformen byzantinischer Hagiographie und ihr literarisches Vorbild. Untersuchungen zu den Viten des Äsop, des Philaretos, des Symeon Salos und des Andreas Salos.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1997. XXXII, 409 S. 8 = Berliner Byzantinistische Studien, 3. Kart. DM 118,-. ISBN 3-631-48528-X.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Die vorliegende Untersuchung (eine byzantinistische Dissertation) befaßt sich mit "Sonderformen byzantinischer Hagiographie", worunter die Vfn. ein literarisches Genre versteht, das neben den üblichen Heiligenviten und ihren Vorformen (z. B. den Apostelakten, antiken Romanen und Philosophenviten) steht (4). Zu diesen Sonderformen gehören insbesondere "die beiden einzigen Viten heiliger Narren im griechisch-byzantinischen Bereich" (11), nämlich die des Symeon Salos und des Andreas Salos. Diesen Viten werden zwei weitere an die Seite gestellt, nämlich die des Fabeldichters Äsop und die des Heiligen Philaretos. Die vier Viten haben es allesamt mit "Anti-Helden" (3) zu tun, vor allem aber (und das hat die Vfn. in erster Linie zu ihrer Zusammenstellung veranlaßt) lassen sich in ihnen ähnliche Stilmittel und Motive finden, die aus dem Bereich der Mimik und Komik stammen. Allerdings zeigt sich auch, daß die vier Viten insgesamt keine geschlossene Gruppe bilden.

Das läßt sich schon an der Vita des Äsop beobachten, die die Vfn. zuerst vorstellt (Kap. 1) und an die sie die (aus einer älteren Arbeitshypothese übriggebliebene?) Frage knüpft, "ob die Vita Aesopi nun tatsächlich als Vorbild für die behandelten Sonderformen der Hagiographie anzusehen ist" (12, vgl. 73). Diese Frage allerdings muß sie abschließend, einmal abgesehen vom Aufweis gleicher Stilmittel und einiger inhaltlicher Gemeinsamkeiten mit der Vita Philareti, klar verneinen (387). Immerhin ist die Vita Aesopi ein vorchristliches Produkt; sie entstand vor dem 2. nachchristlichen Jh. (14). Aus der Vita, die - wie die übrigen Viten auch - sehr sorgfältig nach Inhalt und Struktur analysiert und z. T. kommentiert wird, lassen sich etliche Motive herauspräparieren, die ihren eigentlichen Ort auf der Bühne haben könnten (20.25.39.54). Dieser Bezug zur Mimik und Komik findet sich auch in den drei christlichen Viten. Der Schlußteil der Vita Aesopi mit der Schilderung des Todes Aesops läßt dann noch einmal nach einer Verbindung zu späteren Martyrien fragen (67 f.). Anzumerken ist, daß einige Motive der Vita Aesopi von Späteren durchaus als biblisch lesbar gewesen wären, so die Zwei-Wege-Lehre nach Mt 7,13 f. (53), der fingierte Diebstahl nach Gen 44 (61) und auch das Motiv der göttlichen Herzenserkenntnis nach 1Sam 16,7 (30) - genau dieses Motiv taucht dann auch in der Vita des Symeon Salos wieder auf (212).

Die Vita Philareti (Kap. 2) stilisiert den Heiligen nach dem Vorbild Hiobs (und zwar gemäß dem Hiob-Testament) und dann auch nach dem Vorbild Abrahams. Philaretos ist ein heiliger Verschwender, und die zahlreichen komischen Elemente (99. 101) erzeugen fast den Eindruck einer Heiligenparodie (102). Die Vfn. diskutiert ausführlich den historischen Sachgehalt der Vita (bzw. den ihrer einzelnen Teile), die Gründe ihrer Abfassung und die Frage ihrer Datierung in die Zeit Kaiserin Irenes, wobei besonders das Motiv der Brautschau für Irenes Sohn Konstantin VI. eine Rolle spielt. Damit bewegt sie sich im zeitlichen Umfeld der beiden ersten Arbeiten der "Berliner Byzantinistischen Studien" (vgl. dazu ThLZ 120, 1995, 815 f., und ThLZ 122, 1997, 1131-1133) und kommt hier wie andernorts ihrem Vorhaben nach, nicht allein literarhistorisch arbeiten zu wollen (1).

Unter den vier Viten ist die des Symeon Salos (Kap. 3) die kirchenhistorisch wertvollste; zu ihr liegen, besonders durch L. Rydén, etliche Vorarbeiten und auch eine Edition sowie ein Kommentar vor. Die Abfassung durch Leontios von Neapolis fällt in die erste Hälfte des 7. Jh.s (167 f.), der heilige, oft als Imitator Christi gezeichnete Narr selbst gehört ins 6. Jh., und zwar nach Emesa. Ein auffälliges Motiv der Vita ist die aus der Apatheia resultierende sexuelle Indifferenz Symeons (173. 187. 192. 195). Diese Indifferenz nun ist gerade für das syrische Asketentum nicht untypisch, aber auch ein Problem; solches Verhalten und das daraus resultierende Zusammenleben von Frauen und Männern galten ansonsten durchaus als unmoralisch und gar häretisch. Daß die Welt der asexuellen Asketen derart in öffentliche Bäder einbrach, konnte tatsächlich wohl nur bei heiligen Narren toleriert werden; die in der Vita Aesopi so auffällige sexuelle Drastik hätte hierin einen neuen, christlichen Ort gefunden. Eine aus der gleichen Apatheia ähnlich handelnde Gestalt, nämlich der von Photios (Bib. 52) geschilderte Lampetios im 5. Jh., mußte sich u. a. für solches Verhalten aber als Häretiker verunglimpfen lassen, und schon die Syrische Didaskalie setzte sich damit auseinander (instruktiv zum Thema: G. Schöllgen, Balnea mixta, FS K. Thraede, RAC Erg. Bd. 22, 1995, 182-194).

Die aus vielen Einzelepisoden zusammengesetzte Vita des Andreas Salos (Kap. 4) handelt von einem fingierten Heiligen, dessen Verehrung sie überhaupt erst induziert hat (221); ihre Datierung schwankt zwischen dem 7., 9. und 10. Jh. (222). Im übrigen weist die Vfn. darauf hin, daß die Datierungsfrage auch nach Redaktionsstufen aufzuschlüsseln ist (283-290), wobei sie für einzelne Teile der Überlieferung eine Herkunft aus dem 6. Jh., also fast aus der Zeit, in der der Heilige durch die Vita angesiedelt wird, für vorstellbar hält (290).

Im 5. Kapitel ("Saloi oder Heilige Narren") ordnet die Vfn. ihre literaturgeschichtlichen Analysen zusammenfassend kirchenhistorisch ein, wobei die Figur des Symeon Salos noch einmal eine wichtige Rolle spielt. Hier werden nun den Viten der Saloi zum Vergleich die Viten der Styliten an die Seite gestellt, und tatsächlich erscheint manches Verhalten der heiligen Narren als Überspitzung der von den syrischen Asketen gelebten Weltverachtung. Hier hätte man durchaus auch an Theodorets Historia Religiosa anknüpfen können. Aus griechischen und syrischen Quellen (besonders Johannes von Ephesos nach Brooks’ Übersetzung) werden weitere Beispiele für "ungewöhnliche Heilige" (340) beigebracht. Die Vfn. hebt die Aneignung syrischer Traditionen durch die griechisch-byzantinische Sphäre hervor (auch hierfür sind die Styliten ein Beispiel), auch die Frage der dahinterstehenden Auseinandersetzung mit dem Monophysitismus in Syrien (343 f.). Wie andere Asketen suchen auch die heiligen Narren die Nähe zur Stadt und geraten dort in Konkurrenz zu den kirchlichen Autoritäten (so z. B. 294). Ob sich das Motiv der heiligen Narrheit bei den Syrern tatsächlich über einige Parallelen zu den Viten der Saloi hinaus finden läßt, bleibt allerdings fraglich; hier hätte man, etwa mit Hilfe von Vööbus’ und Schiwietz’ Darstellungen, auch andere Motivationen für "fanatische und bizarre Askese" (341) benennen können.

Das 6. Kapitel geht noch einmal zusammenfassend der Frage nach mimischen Elementen in den Viten nach. Schon E. Benz (Heilige Narrheit, Kyrios 3, 1938, 1-55), auf den sich die Vfn. auch gelegentlich bezieht, hatte auf den schauspielerischen, mimischen Charakter der Narren-Existenz hingewiesen. Anhaltspunkte dafür, daß die Viten selbst in bühnenreifer Form existierten, gibt es offenbar nicht.

Die Vfn. leistet mit ihren speziellen Untersuchungen einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der heiligen Narrheit; schon W. Nigg (Der christliche Narr, 1956) hatte seine Sammlung mit Symeon Salos eröffnet.