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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

751–753

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zwiep, Arie W.

Titel/Untertitel:

The Ascension of the Messiah in Lukan Christology.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1997. XIII, 291 S. gr.8. = NT.SU, 87. Geb. $ 110,-. ISBN 90-04-10897-1.

Rezensent:

Hans Klein

Die Himmelfahrt Jesu ist ein viel diskutiertes Nebenthema biblischer Theologie. Der Vf. kann für die Zeit von 1900 bis 1996 394 Studien zu diesem Thema anführen. Das zeigt an, daß die Beschäftigung mit ihm wahrscheinlich auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen wird. Dadurch ist das Eingehen auf diese Problematik 25 Jahre nach dem Erscheinen von Gerhard Lohfinks umfassenden Studien in einer Monographie vollauf gerechtfertigt.

Die Arbeit wurde bei James D. G. Dunn in Durham als Dissertation 1996 angenommen und nach einer Durchsicht veröffentlicht. Wie eingehend sich der Vf. mit dem Thema beschäftigt hat, zeigt das 60 Seiten umfassende Literaturverzeichnis (200-259). Es liegt eine klar gegliederte, sorgfältig argumentierende, umsichtig vorgehende und alle Winkel der Problematik ausleuchtende Studie vor, eine Monographie, wie man sie sich zu einem begrenzten Thema nur wünschen kann.

Kapitel I (1-35) bringt einen ausführlichen Forschungsbericht, der mit der Sicht von David Friedrich Strauß beginnt und die wichtigsten Ergebnisse der Forschung wie auch deren Ansätze bis in die allerjüngste Vergangenheit offenlegt. Als Ergebnis hält der Vf. fest, daß die Mehrheit der Forscher Lk 24,50-53 und Apg 1,1-12 Lukas zuschreiben, der auch für die Formulierungen verantwortlich ist (33). Ob er an Traditionen gebunden war oder die Abschnitte selbst schuf, will der Vf. in seiner Studie klären.

In Kapitel II (36-79) geht er den Entrückungstraditionen im frühen Judentum nach und streift dabei auch die babylonischen und griechisch-römischen Texte (37 f.). Letztere scheinen ihm allerdings zum Verständnis der lk Überlieferung kaum relevant, weil Lk nicht Jesu Vergöttlichung und Unsterblichkeit thematisiere. Die Entrückung Jesu sei von den jüdischen Texten her vollauf erklärbar. Wesentlich sind dabei die Traditionen über die Entrückung des Henoch, Moses, Elias, des Esra und des Baruch. Bei den beiden letzteren findet er auch die Notiz, daß sie 40 Tage vor ihrer Entrückung ihre Lehre festlegen, was den Vf. zur These nötigt, daß das 40-Tage-Schema zunächst die Belehrung der Jünger Jesu im Blick habe und weniger die Zeitspanne zwischen Ostern und Pfingsten. Bei der Erörterung von Hen 70f. (54 f.) macht der Vf. die für das Studium aller antiken Texte methodisch wichtige Feststellung, daß zwischen 71,13 und 71,14 etwas ausgefallen sein dürfte.

In Kapitel III (80-117) tritt die Entrückungs-Christologie des Lukas ins Gesichtsfeld. Eingehend werden alle wesentlichen Fragen der Texte Lk 24,50-53 und Apg 1,1-12, aber auch die verwandten Stellen Lk 9,51; Apg 1,21 f. sowie 3,19-21 besprochen. Lk 24,50-53 versteht er weitgehend von Sir 50,19-23 her (87 f.116), während er die Himmelfahrt nach 40 Tagen von der Vorbereitung der Jünger zum Zeugendienst deutet. Die Himmelfahrt selbst sei das Spiegelbild der künftigen Parusie: Wie er von der Wolke aufgenommen wurde, werde Jesus mit der Wolke wiederkehren. Ein Widerspruch zwischen beiden Texten, dem Ende des Evangeliums und dem Anfang der Apostelgeschichte, besteht nicht - sie haben, wie der Vf. in einer Tabelle (118) zeigt, den gleichen Aufbau.

Im IV. Kapitel (119-144) geht der Vf. den urchristlichen Vorstellungen von Erhöhung und Himmelfahrt minutiös nach. Er bespricht die Kombination von Auferstehung und Erhöhung (121-131) und den besonderen Einfluß von Ps 110 für die Erhöhungschristologie, die Verbindung von Himmelfahrt und Erhöhung im sekundären Markus-Schluß (Mk 16,19), die er als späte Sicht kennzeichnet (131-133), sowie das Modell Herabkunft und Auffahrt besonders im Johannesevangelium (133-138), um endlich weitere Texte, die von der Erhöhung sprechen, ins Blickfeld treten zu lassen - auch ferner stehende (Mk 2,19f.; Röm 10,6-8; 1Tim 3,16). Wichtig erscheint mir hier, daß er S. 135 zu Joh 3,13 feststellt, daß für Johannes die Erhöhung bereits geschehen ist, während sie für den dort redenden Jesus noch nicht erfolgt sein kann. Hier wird ein "post-Easter view-point" (135) herausgestellt, der auch für Lukas bedeutsam sein könnte.

Das V. Kap. (145-166) bringt einen Durchgang durch alle Texte, die dem Verständnis des Zusammenhanges von Auferstehung, Erhöhung und Himmelfahrt dienen. Hier werden die immer wieder besprochenen Stellen - Lk 22,69 (147-150), 23,42f (150 f.), 24,26 (151 f.) sowie Apg 2,32; 5,31 und 10,30-37 (153-163) - durchgesehen. Der Vf. glaubt, daß diese Texte von einer einheitlichen Sicht her gesehen werden können, nach der Jesu Erhöhung bei der Auferstehung erfolgte und er bei seinem Tod mit dem Schächer am Kreuz nur ins Paradies, noch nicht in den Himmel entrückt wurde und daß die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt der Belehrung der Jünger dienen sollte, wobei vorausgesetzt ist, daß Jesus als Erhöhter zu ihnen kommt.

Im VI. Kapitel (167-193) kommt der Vf. auf die Implikationen seiner Sicht für Eschatologie und Christologie zu sprechen. Er rechnet im Gegenzug zu H .Conzelmann und E. Gräßer damit, daß Lk eine Naherwartung pflegte, aber schon durch die Tatsache, daß er Jesus seine Jünger 40 Tage lehrt, mit einer längeren Zeit zwischen Ostern und der Parusie rechne. In der Apg korrigiere er bereits Mißverständnisse, die sich aus dem Evangelium ergeben, Lk sei apologetisch-antidoketisch motiviert.

Das kurze VII. Kapitel (190-199) bringt eine Zusammenfassung der Studie. Hier wird betont, daß Lk seine Quellen betreffend die Himmelfahrt so verarbeitet hat, daß sie nicht mehr rekonstruierbar sind. Tendenziell sei er von Gen 5,24; 2Kor 2; Mal 3,22 f.; Sir 48,9-12 abhängig, wobei der Vf. selbstverständlich damit rechnet, daß Lk die Eliatraditionen kennt.

Die Studie vermittelt den Eindruck, Lk hätte in Blick auf die Himmelfahrt eine geschlossenen Konzeption gehabt, so daß sich die Differenzen zwischen dem Ende seines Evangeliums und dem Beginn der Apostelgeschichte letztlich zusammensehen ließen. Darin ist dem Vf. wohl zuzustimmen. Lk hat auch sonst über manche Ereignisse unterschiedlich berichtet - man denke nur an die Verschiedenartigkeit der drei Darstellungen über das Damaskusereignis (Apg 9; 22; 26) oder an die weiterführenden Aussagen des daheimgebliebenen Sohnes (Lk 15,30) gegenüber dem Bericht über den verlorenen Sohn (15,13).

Weniger sicher bin ich mir, ob das Vierzig-Tage-Schema allein aus der jüdischen Apokalyptik abgeleitet werden kann. Die Parallelen sind zwar beeindruckend, aber bei uns im Osten glaubt man, daß die Toten 40 Tage zwischen Himmel und Erde schweben, bis sie entweichen. An dieser Stelle wäre die Frage möglich, ob es nicht doch noch eine Parallele zu Apg 1 gibt, die die Rückfrage nach einer Quelle notwendig macht. Der Vf. weiß, daß schon Chrysostomus aus Apg 1,12 schloß, die Himmelfahrt habe ursprünglich an einem Sabbat stattgefunden (108). Die markinische Verklärungsgeschichte (Mk 9) wird "nach sechs Tagen" angesetzt. Rechnet man von Ostern, ist es ein Sabbat. Und der Schluß der Geschichte Mk 9,8 hat eine sprachlich kaum zumutbare Einschränkung nach der verdoppelten Verneinung. Man muß wohl schließen, daß die vormk Quelle mit dem Vermerk schloß: "sie sahen überhaupt niemanden mehr." Dann hat Lk Apg 1,9-12 eine zersägte, aufs allernötigste reduzierte Variante von Mk 9,2-8 verarbeitet, eine Variante der Art wie sie später im unechten Mk-Schluß mehrfach begegnen.

Das lk Gesamtkonzept kann auch anders gesehen werden, als es von Zwiep entfaltet wird. Lk 23,42 f. kann so verstanden werden, daß Jesus in das Paradies im Himmel aufgenommen wird, daß er dann zu Ostern kommt und sich seinen Leib nimmt, um leiblich erscheinen zu können, bis er 40 Tage später ganz in den Himmel aufgenommen wird. Lk 22,69 und 24,26 können in diesem Sinne ausgelegt werden. Die direkte Erhöhung im Tode sollte nicht so leichtfertig heruntergespielt werden, wie das auf S. 177 geschieht. Dann aber stehen auch hellenistische Motive im Hintergrund, was der Vf. vorsichtshalber nicht bestreitet, aber auch nicht in Anwendung bringt.

Das alles aber schmälert in keiner Weise den Wert dieser hervorragenden, methodisch sauber erarbeiteten, umsichtigen und gelehrten Arbeit. Sie kann als Standardwerk zum Thema für die nächsten 25 Jahre angesehen werden.