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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

229 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ng'weshemi, Andrea M.

Titel/Untertitel:

Rediscovering the Human. The Quest for a Christo-Theological Anthropology in Africa.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2002. XIV, 214 S. gr.8 = Studies in Biblical Literature, 39. Geb. Euro 61,80. ISBN 0-8204-5513-X.

Rezensent:

Heinrich Balz

Die von dem tanzanischen Lutheraner A. Ng'weshemi in Chicago geschriebene Dissertation gehört zu den neueren Ansätzen jüngerer Autoren, die, mit nord- und lateinamerikanischen Impulsen, Afrika und die Afrikaner nach mehr als dreißig Jahren politischer Unabhängigkeit wieder gänzlich in der Rolle der Opfer fremder Aggression, nicht der von Beteiligten und Mittätern, sehen. Afrika heute ist für den Vf. wesentlich ein Kontinent von "domination and oppression". Dem steht entgegen, was es vor dem westlichen Einbruch einmal war: "Humanity in African Tradition" (Kap. 1). Die alte Weltsicht war mit Gott und den Ahnen durchgehend religiös bestimmt. Gemeinschaft, nicht Ich-Identität, war Begründung und Höhepunkt des Humanum. Seine Vernunft gibt dem Menschen seine Würde in der Schöpfung; das Leben, das er mit der übrigen Kreatur teilt, ist selbst ein göttliches Attribut. Doch alles dies ist gestört und entfremdet, die Gegenwart ist "An Altered Humanity", Kap. 2.

Der schlimmste Aspekt, die Speerspitze der Aggression ist, was die christlichen Missionare bewirkten: "to be converted by the missionaries meant abandoning what made one African and human" (44); es riss die Bekehrten aus ihrer angestammten Identität und Gemeinschaft. Der Gebrauch der afrikanischen Sprachen in der Verkündigung machte es nicht besser, sondern schlimmer: Indem er alten Wörtern neue christliche Bedeutungen injizierte, beging er "Genozid" (48, Zitat H. Sindima). Identität und Bewährung afrikanischer Würde wäre allein im Widerstand möglich gewesen: Hier spricht ein verwundeter, zorniger afrikanischer Autor, nicht ein am Detail der Geschichte oder auch an der Wirklichkeit der ersten Generation afrikanischer Christen interessierter. Kap. 3, "Reclaiming the African Story", zeigt, dass das westliche Zerstörungswerk gleichwohl nicht vollständig war. Die bessere Vergangenheit ließ sich als zukunftsweisende Vision wiedergewinnen in J. Nyereres afrikanischem Ujamaa-Sozialismus und in K. Kaundas Zambischem Humanismus. "Afrikanische Theologie" fand ihrerseits den Zugang zum afrikanisch religiösen Erbe, um es auf Zukunft und Befreiung auszurichten.

Der Vf. zieht historische Linien und zitiert die bekannten Namen, legt aber keinen Wert auf unterschiedliche Nuancen, gar Gegensätze zwischen afrikanisch theologischen Positionen. Anders als sein tanzanisch lutherischer Landsmann S. I. Munga 1998 und entschlossener noch als E. Martey 1993 (vgl. hierzu H. Balz, Afrikanische Theologie 1991-2000, in ThR 2, 2003) bringt er sie systematisch und geschlossen auf eine Linie, seine eigene. Kap. 4, "Anthropology and Christology" markiert einen neuen, zweiten, von Afrika abgelösten christlich-theologischen Einsatz. Einig mit W. Pannenberg, dass Jesus außer der Offenbarung Gottes auch die Offenbarung des Wesen und der Bestimmung des Menschen ist, setzt der Vf. Anthropologie und Christologie neutestamentlich, genauer synoptisch ins Verhältnis zueinander. Jesus, der wahre, aber sündlose Mensch lebte und lehrte seine Zeitgenossen, besonders die Armen, den Wert und die Würde des Menschseins. Das von ihm verkündete Reich Gottes ist die "restoration and affirmation of humanity".

Lateinamerikanische Themen, besonders von L. Boff, klingen an. Dass dieser Jesus dergestalt, trotz des radikal falschen Ansatzes der weißen Missionare, Schwarzafrika erreicht hat und dass es ihm selber damit ernst ist, ist eine der glücklichen Inkonsequenzen Ng'weshemis. Kap. 5 spezifiziert in vergleichender Paraphrase und Interpretation die enge Verknüpfung von Anthropologie und Christologie bei zwei europäischen Theologen, K. Barth und K. Rahner.

Das abschließende 6. Kap., "Rediscovering the Human: AChristo-Theological Anthropology in Africa", das der ganzen Abhandlung den Titel gibt, setzt ein mit der Kritik Barths und Rahners. Jener sei doketisch, dieser individualistisch verengt. Beiden gegenüber muss afrikanisch in christologischer Anthropologie die Zentralität der Gemeinschaft durch und mit Jesus wiedergewonnen werden. Dann kann Jesus durch Afrikaner mit B. Bujo als "Ancestor and Fulfillment of Life" und zugleich mit L. Boff als "Liberator-Brother of Humanity" verstanden werden. "Jesus becomes the fulfiller of African anthropocentricity" (157). Solche Vision des Humanum kann nur optimistisch sein; sie bricht entschlossen mit den alten pessimistischen Definitionen von Sünde und Heil von Augustin bis Barth. Zu ihm zu gelangen erfordert im gegenwärtigen, von Inhumanität geprägten Afrika eine Rück-Bekehrung, inhaltlich genauer: "this new conversion will seek to alter people's attitudes from self-alienation to self-reconciliation, from inferiority to self-respect, from passivity to being active subjects capable of creating their own history", 164 f. Der Dienst der Kirche in Afrika, verbildlicht mit Ez 37, dem wiederzuerweckenden Totengebein, ist folglich zusammengefasst in dem einen Auftrag: "rehumanization" (166-168).

Das teils verhaltene, teils offene Pathos will eine genuine Erfahrung des Vf.s nicht nur beschreiben, sondern zu ihr bekehren. In umgekehrter Richtung, aber gleicher Absicht wie bei den Missionaren vordem, soll "reconversion" zum verlorenen Humanum stattfinden, das seinerseits, anders als bei B. Bujo und J.-M. Ela, auf die er sich beruft, jeder möglichen theologischen Infragestellung enthoben ist: Gott oder das Divinum geht namenlos ein in endzeitlich verwirklichte Menschheit. Atheistischer Humanismus, mit dem der Vf. sich nicht auseinander setzt, klingt an.

Genuin afrikanisch ist das Insistieren auf "Gemeinschaft" als ständig von Chaos und Anarchie bedrohtem höchsten Wert. Es steht in Spannung sowohl zu den großen Erfolgen pfingstlerischen Christentums mit seiner individualisierten Bekehrungserfahrung vielerorts in Afrika heute wie auch zu den keineswegs den angestammten Bindungen freundlichen Rufen Jesu zur Nachfolge in den Evangelien.

Andere theologische afrikanische Autoren wie O. Kalu, K. Dickson und J. Mugambi verbinden neuerlich die geschichtliche Kritik am Westen mit Kritik an den eigenen nachkolonialen politischen Verhältnissen oder lassen sich, wie Kä Mana, vom Genozid in Ruanda erschüttern. Nichts von alledem berührt Ng'weshemi, der in den USA lebt und lehrt. Vielleicht aber könnte das zwiespältige Erbe seines eigenen Stammes, des tanzanischen Volkes der Sukuma, ihn nachdenklich machen. Bis heute werden dort, mehr als anderswo, Hexen und Hexer in beträchtlicher Zahl umgebracht, was Regierung und lutherische Christen gleichermaßen irritiert (s. dazu W. Behringer, Hexen: Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998, mit Verweis auf afrikanische Autoren). Der Vf. der Dissertation ist jung genug, um sich auch solchen Begegnungen von Humanum und Inhumanität in Afrika künftig noch zuzuwenden.