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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

740–743

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Smelik, Willem F.

Titel/Untertitel:

The Targum of Judges.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XI, 681 S. 8 = Oudtestamentische Studiën, 36. ISBN 90-04-10365-1.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

"Dieses Buch bildet einen Beitrag zu der aufregenden Frage nach Herkunft und Wachstum des Targums zu den Propheten. Es bietet eine in die Tiefe gehende Analyse des Targums zum Richterbuch auf der Basis neuen Materials (unveröffentlichte Manuskripte), eines neuen Hilfsmittels (einer zweisprachigen Konkordanz) und einer neuen Methode (Konsistenz-Analyse). Ein kritischer Überblick über die bisherige Forschung betreffs der Herkunft und des Wachstums des Targums wird gefolgt von einer Analyse und Kollationen von vielen westlichen Manuskripten, einem systematischen Vergleich des Targums mit den alten Übersetzungen, einer Untersuchung der [hinter ihm stehenden] exegetischen Traditionen und einer umfassenden Überprüfung seiner [inneren] Konsistenz."

Mit dieser Ankündigung im Klappentext umschreibt der Vf. relativ bescheiden, welche bisher noch weitgehend unbekannten Texte bzw. "ungedachten" Ideen in das vorliegende umfangreiche Werk zum Targum zum Richterbuch eingegangen sind. Es bildet einen - gewichtigen - Teil in einem großangelegten Forschungsprogramm zu den Targumen, das unter der Leitung von C. Houtman an der Theologischen Universität der "Gereformeerde Kerken in Nederland" in Kampen durchgeführt wird und dem die Targum- wie die Bibelwissenschaft insgesamt das wichtige Hilfsmittel einer zweisprachigen Konkordanz zum Prophetentargum verdankt, das derzeit im Erscheinen begriffen ist. Auch wenn man dem Vf. im Blick auf seine einer Art "Urtext-Hypothese" verpflichteten (allzu) stark vereinheitlichenden Sicht nicht blind zu folgen gewillt ist (vgl. dazu vor allem Kap. 4.2 "The Consistency of TJon" im Gegensatz zu den S. 187 f. zusammengefaßten Beobachtungen zu Differenzen in der Textüberlieferung): Was hier an genauer Textanalyse und systematischer Gestaltungskraft sichtbar wird, ist auf alle Fälle eindrücklich und verdient Anerkennung.

Unbeschadet dessen, daß sich der Aufbau des Buches eigentlich schon aus obiger Übersetzung des Klappentextes in groben Zügen ersehen ließe, erfordert das umfangreiche Werk natürlich eine ausführlichere Darstellung der mannigfachen in ihm abgehandelten Aspekte: Nach einem kurzen Vorwort (V-VI), dem u.a. zu entnehmen ist, wo überall der Vf. Semitistik bzw. Targumwissenschaft studiert hat bzw. welche Bibliotheken er auf der Suche nach Manuskripten konsultiert hat, und dem obligatorischen (und von systematischer Durchdringung der Materie zeugenden) Inhaltsverzeichnis (VII-XI) folgen insgesamt fünf Kapitel (1-656) sowie vier Indices ("Abbreviations, Equation Index, Index of Authors, Index of Subjects"; 659-681). Ein Literaturverzeichnis (im klassischen Sinn) findet sich allerdings leider nicht. Wer sich rasch einen Überblick über die neuere Literatur verschaffen will, muß sich mühsam über das Autorenregister in Verbindung mit den Anmerkungen an die (Sekundär) Quellen herantasten - ein ärgerliches Manko an diesem ansonsten äußerlich bzw. formal wohlgelungenen Band! Doch nun zum Inhalt:

Schon das erste Kapitel "The Present State of Research Reviewed" (1-112) läßt die Qualität (wie die Grenzen) der vorliegenden Arbeit deutlich erkennen, auch wenn es hier nicht um das eigentliche Interessengebiet des Vf.s geht - die Kollationierung der erhaltenen westlichen Manuskripte und die Kommentierung des Targums zum Richterbuch. Die Aspekte "Language" (1-23), "The Targum’s Setting in Life" (24-40), "The Early History of TJon" (41-74), "Palestinian and Tosefta-Targum" (75-85) und "The Character of Targum Jonathan" (86-110) werden nicht nur relativ breit diskutiert, jeder Abschnitt wird darüber hinaus auch in einer "Recapitulation" so zusammengefaßt, daß sich auch der "schnelle Leser" bzw. der Nicht-Fachmann leicht zurechtfindet. Zu begrüßen ist besonders, daß der Vf. hier am Ende "Desiderata for Further Research" (111-112) übersichtlich in sechs Punkten zusammengefaßt hat, und zwar so, daß die Forschungs-Lücken, die das Buch (noch) nicht schließen konnte, klar erkennbar werden, zugleich aber ein Vorblick auf das bereits Geleistete, d. h. die folgenden Kapitel, gegeben wird. Auch wenn man dem Vf. nicht in allen Annahmen bzw. Thesen folgen kann oder will - etwa in der Behauptung, daß in judäischen Dörfern Hebräisch noch bis ins 2. Jh. n. Chr. hinein die Umgangssprache der Juden war bzw. daß das "Biblische" Hebräisch in dieser Zeit auch noch von Juden im restlichen Palästina zumindest verstanden wurde (vgl. Tabelle, 9) -, anzuerkennen ist, daß der Vf. die wichtigsten Fragen aus dem weiteren Umfeld seines eigentlichen Themas kenntnisreich und in sich stringent diskutiert.

Im 2. Kapitel "The Text of Targum Judges" (113-188) folgt dann der erste eigenständige Forschungsbeitrag: eine gründliche Kollationierung der wichtigsten westlichen Manuskripte von TJon. (Die Ergebnisse dieses Kapitels sollen in absehbarer Zeit in eine kritische Text-Edition eingehen; vgl. 116 Anm. 19). In einer "Introduction" (113-117) erläutert der Vf. zunächst sein Vorgehen in methodischer Hinsicht, wobei er sich auf der einen Seite positiv auf die Edition der (außerhalb seines Interesses liegenden) babylonischen MSS zum TJon durch Martínez Borobio bezieht, sich auf der anderen Seite von Sperbers editorischem Verfahren absetzt. Daß auf diese Einleitung ein Abschnitt mit dem Titel "Error’s in Sperber’s Edition" (117-118) folgt, ist verständlich, aber vom Aufbau des Buches her nicht naheliegend.

Zum eigentlichen Anliegen kommt der Vf. dann in den restlichen Abschnitten dieses Kapitels: Zunächst werden die "Manuscripts" vorgestellt (118-129), so daß "A Provisional Stemma" entworfen werden kann (129-153). Anschließend nimmt der Vf. auch noch Textüberlieferungen in den Blick, wo Passagen aus dem Richterbuch als "Haft.aroth and Festive Readings" erscheinen (153-162), um von dort zur Frage der "Allocation of Substitutions and Glosses" weiterzugehen (162-180). Zuletzt wird im Abschnitt "Targum Jonathan and the Haft.aroth" (180-186) der Frage nachgegangen, ob bzw. inwieweit die Verwendung bestimmter Passagen aus dem Richterbuch als Haft.aroth- sei es im jährlichen, sei es im dreijährigen Lesezyklus - Folgen für die Textüberlieferung des TJon hatte. Eine "Recapitulation" und "Conclusions" (187-188) beschließen auch hier das Kapitel.

Mit der interessanteste, in jedem Falle der für Exegeten unter den Lesern ertragreichste Teil des Buches ist das dritte Kapitel, das den Titel "Among the Ancient Translations" trägt (189-322). Es verweist aber zugleich auch darauf, daß die vorliegende Arbeit - unbeschadet ihrer Verdienste - Grenzen hat: Die Frage der Textdifferenzen zwischen dem MT und den Übersetzungen so zu verhandeln, daß die "hebraica veritas" des ausschließlich unter dem Aspekt "Vorlage" betrachteten MT (so u.a. 189 ff.) als unhinterfragbares Ideologumenon weitergehende Fragen abschneidet, entspricht nicht dem heutigen Erkenntnisstand, fügt sich aber - liest man das Buch "tendenzkritisch" - nahtlos zu Smeliks These der inneren Konsistenz des Targums zum Richterbuch: Die aufgrund von Differenzen in der Überlieferung des hebräischen Textes naheliegende Denkmöglichkeit, daß Fälle, in denen eine (oder mehrere) Version(en) mit TJon zusammengehen, auf eine andere (möglicherweise ältere) Textüberlieferung des biblischen Textes verweisen könnten - Hinweise darauf bieten ja nicht nur die in Qumran gefundenen Rollen mit Texten aus biblischen Büchern, sondern lassen sich auch mittelalterlichen Manuskripten aus jüdischen Gemeinden in Spanien entnehmen - liegt außerhalb des Horizonts der vorliegenden Arbeit.

In den einleitenden Passagen "Scope" (189 f.) und "Methodology" (190-194) erläutert der Vf. kurz, daß es ihm hier ohnehin nicht um Fragen alttestamentlicher Textkritik geht, daß er vielmehr die alten Versionen - Septuaginta (194-232) [mit einem Seitenblick auf Aquila, Symmachus und Theodotion (232-234)], Peshitta (234-290) und Vulgata (291-316) - nur in den Fällen zum Vergleich herangezogen hat, in denen TJon in irgendeiner Weise vom MT abweicht; er bleibt "bei seinen Leisten" - der Analyse des TJon. Weitere einleitende Passagen mit einem (sehr) knappen Überblick über den Forschungsstand der Septuaginta-, Peshitta- und Vulgata-Forschung finden sich jeweils am Anfang der diesen Versionen gewidmeten Abschnitte. Dann folgen Listen, in denen minutiös die einschlägigen Stellen aufgelistet sind. Abgeschlossen werden diese Unter-Abschnitte des dritten Kapitels (wie das ganze Kapitel) mit Schlußfolgerungen. Ihnen ist auch der Unter-Abschnitt 6 zuzuordnen, in dem - relativ unsystematisch - Beobachtungen zum Grad der Konvergenz zwischen den Versionen mit einem Abschnitt zur Übersetzung von ’lhjm in den Versionen kombiniert sind.

Auf das folgende vierte Kapitel ("A Commentary on Targum Judges") ausführlich einzugehen, ist nicht nur aus Raumgründen kaum möglich - umfaßt es doch noch einmal nahezu die Hälfte des ganzen Buches (323-631) -, es ist auch sachlich nicht angezeigt: Der Vf. hat hier eine nach den Erkenntnissen von Kap. 2 bereinigte Fassung des Sperberschen Textes des Targums zum Richterbuch vorgelegt, kombiniert mit einer "wörtlichen" Übersetzung ins Englische und einem Kommentar. Hier Einzelheiten herauszugreifen, gibt wenig Sinn. Man kann nur pauschal festhalten: Wer auch immer exegetisch mit dem Richterbuch befaßt ist, wird die akribische Arbeit Smeliks zum Text des Targums stets in Griffweite auf dem Schreibtisch plaziert haben.

Für den Leser, der sich nur kurz über die Ergebnisse des Buches informieren möchte, hat der Vf. nach diesem voluminösen Teil noch ein Kapitel "Conclusions" angefügt (632-656), das seinerseits wiederum mit einer "Conclusion" abgeschlossen wird (656). Auch wenn die Häufung derartiger Zusammenfassungen etwas übertrieben erscheint - lesenswert ist dieses Schlußkapitel allemal.