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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

215–217

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hoenen, Raimund

Titel/Untertitel:

Vom Religionsunterricht zur kirchlichen Unterweisung. Otto Güldenberg und die Anfänge der ostdeutschen Katechetik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 356 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 28,00. ISBN 3-374-02046-1.

Rezensent:

Peter C. Bloth

Dem vorliegenden Buch geht es darum, erstmalig das Lebenswerk des "Lehrerbildners", Professors und Katechetikers Otto Güldenberg (1891-1975) darzustellen und innerhalb seiner Zeit zu verstehen. Der Vf., seit 1984 gleichsam im selben Amt wie Güldenberg, nämlich am 1949 gegründeten Katechetischen Oberseminar (seit 1990 Kirchliche Hochschule) Naumburg, danach seit 1993 an der Pädagogischen Hochschule Erfurt und seit 1995 als Professor für Evangelische Theologie und Didaktik des Religionsunterrichts an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig, hat dafür Güldenbergs Bibliographie von 1928 bis 1960 (181-186) sowie Stücke aus dessen umfangreichem Manuskript- und Dokumentennachlass, Vorträgen und Vorlesungen von 1930 bis 1962 zusammengestellt (186-252.194 f. chronologische "Übersicht der Lehrangebote" am Oberseminar Naumburg 1950-1959). Darüber hinaus nutzt er wichtige Quellen (Verzeichnis: 324 f.) aus Nachlässen Dritter und aus Kirchen- bzw. Universitätsakten. Das Buch bietet ferner ein Auswahl-"Verzeichnis der Lehrpläne für Religionsunterricht und Christenlehre (1936-1977)" (328- 330); an diesen Plänen, zumal seit 1945, lässt sich nämlich ein gut Teil derjenigen Entwicklung ablesen, in der das Lehr- und Unterweisungshandeln der "ostdeutschen Katechetik" nach Theoriebildung und Praxisvollzug Gestalt gewann. Dass Güldenberg an zweien dieser Lehrpläne sozusagen namhaft, für Katechetik und kirchliche Öffentlichkeit sogar namengebend beteiligt war (vor 1945: 76 mit Anm. 198; 1946: 328; 1952 und Neufassung 1959: 329 f.), zeigt die Bedeutung, die ihm, wie kaum einem zweiten neben Oskar Ziegner in Thüringen (1892- 1963; vgl. 320-323) und einigen anderen (s. bes. 26), für den Beginn einer planmäßigen "kirchlichen Unterweisung" im sowjetischen Besatzungsgebiet und für ihre ersten Ausformungen in der späteren DDR bis etwa 1965/68 zukommt.

Schon solche anscheinend formalen Beobachtungen machen deutlich, dass mit H.s, aus langer Forschung erwachsener Arbeit mehr als nur eine auf die "Anfänge" gerichtete Vervollständigung der nicht wenigen Veröffentlichungen vorliegt, die sich beginnend in den siebziger Jahren, vor allem jedoch seit der "Wende" mit Christenlehre und Katechumenat in der DDR beschäftigten (vgl. etwa ThLZ 102 [1977], 139 ff.). Für weitergehende Untersuchungen ist deshalb besonders verdienstvoll, dass der Vf. eine alphabetische "biographisch-bibliographische Übersicht" (255-324) derjenigen Personen von "Baltin, Walter (1908-1973)" bis "Zimmermann, Walter (1902-1972)" beigibt, die großenteils die ostdeutsche "kirchliche Unterweisung" selbst mitgeprägt haben oder vor wie nach der Wende zu deren Erforschung beitrugen. Die Berücksichtigung des damit erheblich überschaubarer gewordenen Gesamt dürfte es zukünftig besser ermöglichen, historisches Werden und vorwärts weisenden Gewinn dieser bedeutsamen Epoche katechetischen und religionspädagogischen Wirkens zu würdigen.

Güldenbergs Biographie, vom Vf. in knapper, genauer "Skizze" (28-49) nachgezeichnet, kann als ein in mancher Hinsicht exemplarischer Werdegang gelten, denn er führte aus dem Volksschullehrerstand - Anstellung seit 1914 in Anhalt - über gymnasiale Reifeprüfung und mit Dr. phil.-Promotion beendetes Universitätsstudium (1921-1926) zur Berufung als Studienrat für Deutsch und Evangelische Religion in Halle/S. (1929/33). Neben dem Praktischen Theologen Karl Eger arbeitete Güldenberg religionspädagogisch mit Studenten der Theologischen Fakultät der "Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg", was diese dazu bewog, ihm im August 1933 den Grad eines Lic.theol. h.c. (Urkunde: 30) zu verleihen.

Nachdem die 1930 gegründete Pädagogische Akademie Halle mit der "Gleichschaltung" zur "Hochschule für Lehrerbildung" in M. Rang, G. Geißler und A. Reichwein schon im Mai 1933 ihre wichtigsten Lehrer verloren hatte, übernahm Güldenberg ab WS 1933/34 die Religionspädagogik; im Gefolge der Verlegung der Hochschule für Lehrerbildung Halle nach Hirschberg/Schl. 1934 wurde er, der im selben Jahre in die SA eintrat, dort "am 7.1.1935 zum Professor für evangelische Religionslehre und Methodik des Religionsunterrichts ernannt". Seit 1937 mit gleichem Lehrauftrag an die Hochschule für Lehrerbildung Hannover versetzt, wo er einem "schriftlichen SA-Befehl" zum Eintritt in die NSDAP folgte, arbeitete Güldenberg nebenamtlich unter Th. Ellwein in der Berliner Kirchenkanzlei der DEK an den "Lehrplänen bzw. Richtlinien für den Religionsunterricht mit" - wohl seine erste gründlichere Berührung mit religionsdidaktischen Planungsaufgaben, die dann nach 1945 unter den völlig veränderten Perspektiven einer "kirchlichen Unterweisung" zu einem Zentrum seiner Arbeit werden sollten. Als 1941 an der zur "Lehrerbildungsanstalt" (LBA) umgewandelten Hochschule für Lehrerbildung Religionslehre "aus dem Studienplan gestrichen" wurde, endete Güldenbergs Tätigkeit mit seiner Versetzung als Studienrat an das Naumburger Domgymnasium, in die Stadt also, in welcher er nach der Gründung des Katechetischen Seminars (1947) und des Oberseminars (1949/50) durch die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) seinen entscheidenden Anteil für die "ostdeutsche Katechetik" bis 1959 erbracht hat (Zitate des Absatzes: 32-44).

Sichtbar wird, wie eng Güldenbergs Leben und Werk, in manchem z. B. Helmuth Kittel (1902-1984; 289 f., vgl. 50) vergleichbar, mit dem Geschick der Lehrerbildung in Deutschland verbunden war. Hieran zeigt sich ein weiteres Stück Exemplarizität von Güldenbergs Arbeit, dass sie wohl nur aus dem, seit 1919 bis in die Nachkriegszeit die deutschen Länder und Staaten bestimmenden Struktur- und Machtgefüge um das Lehren und Lernen von Religion verstehbar ist. Der Vf. verdeutlicht das, übrigens im Urteil auch zur Person bemerkenswert zurückhaltend und gerecht, nicht zuletzt daran, dass und warum der "zum 31.3.1946 fristlos aus dem [scil. staatlichen] öffentlichen Dienst" entlassene Güldenberg alsbald zum "Katecheten" und 1947 zum "Provinzialkatecheten" der KPS berufen wurde. Aus H.s Buch geht durch materialreiche Konzentration auf die Verhältnisse in dieser Landeskirche zugleich hervor, wie unterschiedlich sich die Voraussetzungen für Katechetenausbildung und "kirchliche Unterweisung" in den ostdeutschen Kirchen gestalteten.

Auf dieser Basis erwächst die - insgesamt vielleicht zu vorsichtige - Kritik des Vf.s an heutigen Darstellungen von Zeit und Ertrag der "ostdeutschen Katechetik". Er kritisiert mit Recht einige Arbeiten, die ihr seit der Wende und nach der von den neuen Bundesländern bis auf Brandenburg und Berlin vollzogenen Rückkehr (?) zum Religionsunterricht gemäß Art.7,3 GG gewidmet wurden, z. B. N. Hueck, G. Kluchert und A. Leschinsky neben den Büchern von Ch. Grethlein und der Textsammlung von K. E. Nipkow/F. Schweitzer (vgl. 11-22 und Literatur-Verzeichnis). Solche Kritik würde sicherlich deutlicher ausfallen, wenn der Vf. seine meist am Exempel Güldenberg vorgenommene Differenzierung theologischer Grundlagen der katechetischen Protagonisten weiter vorangetrieben hätte, als es Teil-Überschriften wie etwa "Kultursynthese statt Kulturkritik" (50 ff.), "Zwei-Reiche-Pädagogik" (61 ff.), "Kirchliche[!] Unterweisung" (122 ff.) u. ä. erkennen lassen. Man möchte sich das beispielsweise analog zu jener theologischen wie pädagogischen Vertiefung dessen wünschen, was H. in seiner Darstellung der EKD-Synodaltagung 1958 über "Erziehung" in Berlin-Weißensee schildert und an Güldenbergs dortigem Vortrag (183, Nr. 34) spannungsvoll zeigt (46 ff.). Denn passte nicht doch gerade seine, damals freilich kaum noch von allen Katechetikern oder gar Kirchen in der DDR geteilte Klage über den Ausschluss "unserer Christenlehre" aus dem "schulischen Jugendleben" zu jenem berühmten, nach Ost und West kritischen Satz aus dem "Schulwort" der Synode: "Die Kirche ist zu einem freien Dienst in einer freien Schule bereit"?

Das Buch darf unumwunden als Bereicherung der Fragestellungen und Ergebnisse religionsdidaktischer Forschung bezeichnet werden. Man wünscht ihm deshalb viele nachdenkliche Leser und zwar in Ost und West, die am Lehren und Lernen von Religion in Kirche und Schule interessiert sind.