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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

209–211

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bitter, Gottfried, Englert, Rudolf, Miller, Gabriele, u. Karl Ernst Nipkow [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe. Redaktion: D. Blum.

Verlag:

München: Kösel 2002. 566 S. m. Abb. gr.8. Kart. 24,95. ISBN 3-466-36597-X.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Da sich im Laufe von fast 20 Jahren viele "Kontexte" geändert hätten, halten die Herausgeber eine "Neukonzeption" des bewährten "Handbuchs religionspädagogischer Grundbegriffe" von 1986 für notwendig. Der "Neuentwurf" will "das Vielstimmige und Vielgestaltige religionspädagogischer Praxis und Theorie in ein offenes Rahmenkonzept" stellen, "auf Plausibilität und Praktikabilität ausgelegt" sein und "Studierenden wie Praktikern als ein umfassendes, aktuelles, in gleicher Weise hermeneutisches wie pragmatisch orientiertes Nachschlagewerk" dienen. Diesen Zielvorstellungen wird das Buch mindestens ver- sierten Lesern gegenüber gerecht, Anfängern verlangen Niveau und Diktion nicht weniger Artikel beträchtliche Anstrengungen ab. Religionspädagogik diene "der wissenschaftlichen Reflexion und Orientierung religiöser Lernprozesse". Die Herausgeber verstehen sie als christliche Religionspädagogik, die als "Teildisziplin der Praktischen Theologie [...] eingeordnet" ist und sich von einer Religionspädagogik auf religionswissenschaftlicher Basis unterscheidet, welche die Wahrheitsfrage ausklammert. Damit meint "religiöses Lernen" keineswegs "einen normativen Prägevorgang", sondern "durchaus ein dialogisches und ergebnisoffenenes Gespräch zwischen dem Glauben der Juden und Christen einerseits und den Erfahrungen und Lebensperspektiven der Menschen heute andererseits" (15).

Die 120 Autoren orientieren sich in etwa ebenso vielen Artikeln, die im Einzelnen individuelles Profil und insgesamt die Pluralität heutiger Religionspädagogik spiegeln, zwanglos an diesen Vorgaben. Die einzelnen Beiträge sind jeweils für sich verständlich, gewinnen jedoch an Bedeutung durch die Einordnung in eines von insgesamt fünf thematischen Feldern:

"I Grundlagen der Religionspädagogik". Hier wird die Religionspädagogik als Fach thematisiert sowie Grundstrukturen der (religiösen) Erziehung und ihrer Einbettung. "II Ausgangspunkte religionspädagogischen Handelns". Hier geht es einesteils um das lernende Subjekt und die darauf einwirkenden sozial-kulturellen Faktoren, andernteils um zentrale Themen und Symbole der christlichen Botschaft. "III Dimensionen und Schwerpunkte religiösen Lernens". Als teilthematische Schwerpunkte treten hier "Überlieferung", "Wahrnehmung und Handeln", "Gottesdienst und Glaubensreflexion" sowie "Pluralismus und Individualisierung" auf. Unter "IV Räume religiösen Lernens" werden die "Lernorte" "Familie", "Gemeinde", "Schule" und "Gesellschaft" genannt. Den Abschluss bildet das Feld "V Wege religiösen Lernens", das sich didaktischen, methodischen und medialen Problemen zuwendet. Diese Anordnung drängt sich nicht jedem auf, erscheint jedoch bei geringen systematischen Ansprüchen als möglich. Immerhin fragt man sich, warum lernendes Subjekt und inhaltliches Gegenüber zusammen unter "Ausgangspunkte" genannt werden und ob unter III nicht ein Potpourri geboten wird.

Insgesamt wird das neue Handbuch seinem Anspruch, Praktikern theoretisch fundierte Orientierung zu bieten, gerecht. Die Sprache der meisten Autoren ist gut lesbar und verständlich. Es liefert gediegene theologische, religionstheoretische, pädagogische und religionspädagogische Information und regt den Leser zum eigenen Nachdenken an. Fast alle wichtigen Teilthemen werden abgehandelt. Zu wünschen wären allerdings noch eigene Artikel zu "Lernen", "Einstellung", "Heiliger Geist" und "Trinität". Mancher Praktiker wird wohl auch eine Anleitung zur Unterrichtsplanung vermissen. Etwas verschwommen bleibt der Sprachgebrauch von Religion/religiös sowie die Beziehung dieser Ausdrücke zu Christentum/christlich. Hier wäre ein eigener Artikel wünschenswert, der auch die christlich-theologische Bewertung nicht-christlicher Religion/Weltanschauung behandelt. Sind etwa nachchristliches Judentum und Christentum einander so nahe, wie die Rede vom "Glauben der Juden und Christen" (15) und Ausdrücke wie "der jüdisch-christliche Gott" (23), "die jüdisch-christliche Tradition" (57) und "der jüdisch-christliche Glaube" (279) suggerieren? Als ob aus jüdischer Sicht ein anderes Christentum akzeptabel wäre als ein christologisch reduziertes, und als wäre aus christlicher die Leugnung des Kyrios Jesus belanglos! Die wichtige Aufgabe des friedlichen Zusammenlebens und der wechselseitigen Achtung von Juden und Christen kann nicht dogmatisch gelöst werden, sondern nur pädagogisch-ethisch!

In einem Handbuch, das nach dem Willen der Herausgeber theologisch und nicht nur religionstheoretisch sein soll, müssten auf der Inhaltsebene die klare Konturierung und die Sperrigkeit des Christlichen deutlicher herauskommen und auf der Zielebene die Förderung christlicher Glaubenspraxis. Nicht-christliche Vorverständisse und Daseinsorientierungen gehen nicht einfach kontinuierlich in christlichen Glauben über. Die christliche Botschaft verhält sich zu ihnen sperrig: Sie ruft zu einer Hinwendung zu Christus auf, die nicht ohne (vielfach schmerzliche) Abwendung von konkurrierenden religiösen Größen sein kann (1Thess 1,9). Die Eigenart des Christlichen tritt nur dann klar heraus, wenn auch sein Gegensatz zu Judentum, Islam, aufgeklärtem Humanismus u. a. thematisiert wird. Zwar ist zuzustimmen, dass jedem eine selbstverantwortliche Entwicklung seines eigenen Glaubensverständnisses ermöglicht werden muss. Doch muss er auch die Vorgaben der Glaubensgemeinschaft (Dogmen, Bekenntnisse) kennen und sich fragen, wie er mit ihnen zurecht kommt. Dazu müssen ihm die revelatio, die revelata und ihre authentische kirchliche Interpretation klar vor Augen gestellt werden. Ausdrücke wie "Glaube der Kirche" (320) begegnen in dem Handbuch zu selten; die Aufgabe der Glaubensförderung tritt gegenüber eher allgemein-pädagogischen Intentionen stellenweise zu sehr zurück (34.57 f.386) oder bleibt verklausuliert unter ihnen verborgen.

Insgesamt hinterlässt das Handbuch beim Leser einen recht positiven Eindruck. Wer kurze und gediegene Information zum Stand der deutschsprachigen religionspädagogischen Theoriebildung sucht, wird bestens bedient.