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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

207 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyerberg, Jan

Titel/Untertitel:

Seelsorge als Prozeß. Eine empirische Studie zum Kompetenz- und Berufsprofil von Seelsorgerinnen und Seelsorgern.

Verlag:

Würzburg: Echter 2002. 656 S. m. zahlr. Tab. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 49. Kart. Euro 36,80. ISBN 3-429-02441-2.

Rezensent:

Sabine Bobert

Pluralisierung und Individualisierung in Gesellschaft und Kirche stellen zunehmend komplexere Anforderungen an seelsorgerliches Handeln und erweitern den Katalog seelsorgerlicher Kompetenzanforderungen erheblich. Wie verhalten sich Seelsorge-Lehrbücher mit ihren idealen Leitbildern und Seelsorge-Wirklichkeit zueinander? Welchen Einfluss haben gängige Konzepte auf die Praxis? Welche Schlussfolgerungen sind daraus für die Seelsorge-Ausbildung zu ziehen? - Solchen Fragen geht die empirische Seelsorgeforschung nach, die zunehmend an Boden gewinnt. Im psychotherapeutischen Bereich sind empirische Untersuchungen im Fachzweig der Psychotherapieforschung bereits seit längerem etabliert. Jan Meyerberg, katholischer Theologe und Psychologe, arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis. Ferner verfügt er über langjährige Erfahrungen in der Weiterbildung von haupt- und ehrenamtlichen pastoralen Mitarbeitern. M. benennt die Einflüsse der Psychotherapieforschung für seinen eigenen Forschungsansatz. Wahrscheinlich wäre, vor weiterer Methodenrezeption, hier noch einige Theoriearbeit zu leisten: Wie weit reichen Analogien auf beiden Handlungsfeldern? Wo müsste das methodische Design spezifisch abgewandelt oder erweitert werden?

M. gliedert sein opulentes Werk in zwei Hauptteile: einen theoretischen (21 ff.) sowie einen empirischen (146 ff.). Die theoretischen Überlegungen widmen sich einer theologischen Grundlegung (21 ff.), grenzen den Gegenstand - "das seelsorgerliche Kompetenz- und Berufsprofil" - begrifflich ein (42 ff.) und stellen schließlich das methodische Design der Studie vor (98 ff.). Inhaltlich wird hier meistens summarisch bereits Bekanntes zusammengetragen (vgl. die berufssoziologischen Definitionen, die sozialwissenschaftlichen und theologischen Bestimmungen zu Identität). Ein Novum bilden hingegen die Ausführungen zum adaptierten Sektor der Psychotherapieforschung (101 ff.112 ff.).

Forschungsfeld wurde die Erzdiözese Freiburg (insofern ließe sich aus urbanerer Perspektive nach der Repräsentativität fragen). Methodisch wurde mit Fragebögen gearbeitet (vgl. im Buch-Anhang die Kurz- und Langform). Die Rücklaufquote betrug 363. Die Forschungsergebnisse bleiben zum Teil undurchsichtig. Dies liegt zum Teil an der großen Heterogenität der befragten Seelsorger und Seelsorgerinnen: Befragt wurden neben Priestern ebenso Pastoralreferenten, Gemeindereferenten und Diakone. Zum anderen liegt es an der Falsifikation eigener Forschungshypothesen durch die Ergebnisse. M. ging davon aus, dass seelsorgerliche Orientierungen und Stile vor allem mit den verschiedenen Berufsgruppen variieren werden. Doch "angesichts der empirischen Befunde scheint die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe nur relativ wenig über das seelsorgerliche Kompetenz- und Berufsprofil auszusagen, d. h. es gibt nur relativ wenig spezifische Unterschiede zwischen den Priestern, den Diakonen" etc. (599). Zwar lassen sich dennoch Schwerpunkte feststellen, "so z. B. eine stärkere liturgie- und verkündigungsbezogene Orientierung der Priester oder eine stärkere personen- und begegnungsbezogene Orientierung" der Diakone, der Pastoralreferenten sowie der Gemeindereferenten. Aber ebenso gibt es "eine erhebliche Variation innerhalb der jeweiligen Berufsgruppen" (593). "Das bloße Lebensalter oder die Berufserfahrung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern können ... keine spezifischen Beiträge leisten" (602). Als wichtiger Prädikator für seelsorgerliche Orientierungen und das eigene Berufsethos hingegen erweisen sich Vorbilder. "... was bedeutet dies z. B. für die Phase der Berufseinführung? Bedeutet dies, dass eine Art Modell-Lernen für die Ausbildung von seelsorglich-pastoralen Orientierungen wichtig ist? Welche Vorbilder müssten sich zur Ver- fügung stellen?" (603) Als irritierend erwies sich u. a. der negative Merkmalszusammenhang zwischen "eigener Beratung/ Psychotherapie" einerseits und dem Berufsethos, religiöser Deute-Kompetenz, erlebter Rollensicherheit und insgesamt erlebter Gesprächskompetenz andererseits. Hat eine eigene Beratung/ Psychotherapie tatsächlich negative Auswirkungen? Oder entwickeln sich im Rahmen einer verstärkten kritischen Auseinan- dersetzung selbstkritischere Ansprüche (602 f.)?

Insgesamt bestätigt diese Pilotstudie zunächst die Annahme einer hohen Komplexität des seelsorgerlichen Kompetenz- und Berufsprofils. Trotz des empirischen Ansatzes bei einem Detailbereich professionalisierter Seelsorge verbleibt auch hier "ein hoher Unbestimmtheitsbereich bzw. Anteil an nicht erklärter Variabilität" (599 f.). Dies mag u. a. daran liegen, dass individuelle Identitätsmerkmale nicht in diese Untersuchung einbezogen wurden. Dies merkt auch M. selbst an. Denn Individualität bestimmt gerade nach seiner Seelsorge-Definition seel- sorgerliches Handeln und Selbstverständnis entscheidend mit: "seelsorgerliche Kompetenz zeigt sich in einem Verhaltens- oder Handlungsstil und als solcher ist seelsorgerliche Kompetenz an die Person der Seelsorgerin bzw. des Seelsorgers gebunden bzw. Teil der Identität und Persönlichkeit" (588 f.). Insofern kann künftig viel von empirischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Kompetenzmerkmalen erwartet werden. Ferner verweist M. auf wichtige Ergänzungen durch Forschung auf der Gegenseite als Außenkriterium: "die Befragung auch der Menschen, die seelsorglich begleitet werden" (589, Anm. 36). Ferner wären Vergleichsstudien aus anderen Regionen sowie Verlaufsstudien zur beruflichen Sozialisation wünschenswert. Ebenso bieten sich, nach dieser Makrostudie, Mikrostudien zur weiteren Erforschung detaillierter Zusammenhänge an. Hierfür kann die etablierte Psychotherapieforschung weiterhin wichtige Anregungen geben.

M. hat einen groß angelegten Versuch unternommen und ist mitunter von der Komplexität der Details und von undurchsichtig bleibenden Zusammenhängen erdrückt worden. (Zur besseren eigenen Orientierung beim Lesen empfiehlt sich, bei den jeweiligen Zusammenfassungen einzusteigen.) Dennoch ist die Arbeit als Pionierleistung zu würdigen. Die umfangreiche Studie von M. erweist mit ihren z. T. falsifizierten Hypothesen und offenen Fragen, dass eine empirische Seelsorgeforschung sich erst zu konstituieren beginnt. Zugleich verdeutlicht sie jedoch auch, wie komplex bereits das Berufsprofil geworden ist. Und wie wichtig es ist, diese Komplexität empirisch im Blick zu behalten.