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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

205 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hauenstein, Hans Ulrich

Titel/Untertitel:

Auf den Spuren des Gebets. Methoden und Ergebnisse der empirischen Gebetsforschung.

Verlag:

Heidelberg-Kröning: Asanger 2002. VIII, 279 S. m. Tab. 8. Kart. Euro 29,00. ISBN 3-89334-395-4.

Rezensent:

Michael Domsgen

Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete und gekürzte Fassung der Dissertationsschrift des Vf.s, die im Frühjahr 2001 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde. H. möchte darin dem auf die Spur kommen, "was Menschen meinen, wenn sie sagen, sie selber oder andere würden zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten und unter bestimmten Umständen beten" (5). Damit richtet er konsequent den Blick auf die Subjekte religiösen Verhaltens und Erlebens und wendet sich gegen eine "positionell-normative Auffassung von Theologie" (10). Seinen eigenen Ansatz lokalisiert er positionell "im weitesten Sinn in einer liberalen Tradition" als einer, "der mit dogmatischen Positionen und humanwissenschaftlichen Erkenntnissen im Gespräch ist und beide in ihrer Relativität zu verstehen versucht" (14). Er sieht sich dabei in der Tradition des belgischen Religionspsychologen André Godin, dessen Arbeit er entscheidende Impulse verdankt, wie er ausdrücklich vermerkt.

Grundlage seiner Überlegungen sind bereits vorliegende empirische Arbeiten, die er methodologisch genauer untersucht. Seiner Meinung nach verdankt sich das, was bestimmte Individuen unter dem Gebet verstehen, ebenso wie die Ergebnisse der empirischen Gebetsforschung bestimmten konstruktiven Prozessen, wobei zwischen beiden eine Beziehung besteht. Deren Bindeglied bilden nach H. so genannte Gebetskonzepte. Er versteht darunter Vermittlungsinstanzen, die die Transformation vom Gebetsvorgang (also dem, was Menschen tun oder erleben, wenn sie beten, bzw. das, was sie als Handlungen oder Erlebnisse meinen, wenn sie von anderen Personen sagen, dass sie beten) zum Gebet (als der Beschreibung und Deutung der Gebetsvorgänge) begleiten oder bewirken.

Die Aufhellung und Entfaltung dieser Verknüpfungen auf verschiedenen Ebenen ist "das zentrale Thema und Ziel dieses Buches" (8). Nach H. gibt diese Analyse nicht nur Aufschluss über den Forschungsprozess, sondern auch über den Forschungsgegenstand selbst.

Unter diesen Prämissen bietet H. zuerst einen Überblick über empirische Zugangsmöglichkeiten zum Gebet (mittels Beobachtung, Experiment, Befragung). Hier ist der Gebetsvorgang selbst Gegenstand der Untersuchungen, wobei H. deutlich zeigen kann, dass "dieser Gegenstand in einem Geflecht von unterschiedlichen Konzepten eingebettet ist" (48), die sowohl die "Betenden" als auch die Untersuchenden betreffen. Nicht unmittelbar auf den Gebetsvorgang beziehen sich Untersuchungen zu Gebetsanalogien, die anschließend in den Blick genommen werden. Hier legt H. seine Arbeitsdefinition des Gebets vor, wobei er sich vom verbreiteten Gebetsverständnis als Zuwendung zu einer höheren Macht abgrenzt, weil die dabei vorausgesetzte Hermeneutik mit einer theologischen Vorentscheidung (die Annahme eines personalen göttlichen Gegenübers) gekoppelt ist. Er versteht unter Beten ein menschliches Verhalten, "das eine Hinwendung zu einer Instanz ausdrückt oder anstrebt, die vom Subjekt dieses Verhaltens als von sich selber unterschieden erlebt oder verstanden wird" (50). Unter Verweis auf Becks empirische Gebetsstudie von 1906 betont er, dass die Frage, "ob das angenommene Gegenüber (die höhere Macht) eine eigenständige Grösse oder nur Teil des oder der Betenden ist, ... selber nicht Folge empirischer Beobachtung" sein kann, sondern "durch das dogmatische Raster induziert" wird, "innerhalb dessen die empirischen Daten interpretiert werden" (52).

In einem nächsten Schritt wendet sich H. Untersuchungen zu, die Äußerungen über Gebetsvorgänge zum Gegenstand haben. Nach Typisierung und Analyse dieser Äußerungen kommt er zu dem Schluss, dass die Kontextualisierung von Äußerungen zum Gebet und von ihren Subjekten für eine empirische Beschreibung von Gebetsvorgängen zentral ist, weil sie die damit verknüpften Gebetskonzepte prägen. Unter der Frage "Wovon hängt es ab, ob und wie wir beten?" beschäftigt sich H. im Schlusskapitel deshalb mit einzelnen Gebetsaspekten. Er möchte damit die Breite von Fragestellungen aufzeigen, in die Gebetsvorgänge und Gebetskonzepte in empirischer Perspektive eingebettet worden sind. In den Äußerungen zum Gebet artikulieren sich situative, biographische, soziale, sozioökonomische, religiös-kulturelle und andere Kontexte, die letztlich das mitprägen, was als Gebet wahrgenommen und beschrieben wird. Nach H. zeigt sich das spezifisch Religiöse "in der Verwendung religiöser Konzepte bei der Deutung der Gebetsvorgänge und in der Orientierung an der religiösen Tradition bei der Bestimmung dessen, was als Gebet überhaupt in Frage kommt" (234).

Auch die Forschungssettings der empirischen Untersuchungen zum Gebet gehören "in gewissem Sinn" (ebd.) zu den Kontexten, die Wahrnehmung, Beschreibung und Erlebnis von Gebet prägen. In der Summe lässt sich eine Fülle von Zusammenhängen zwischen individuellen Gebetskonzepten und verschiedenen kontextuellen Faktoren benennen. "Was fehlt" - und darauf weist H. zum Abschluss zu Recht hin -, "ist eine Mikroanalyse konkreter individueller Gebetsvorgänge und Gebetskonzeptualisierungen in ihrem Kontext. Diese wäre die Voraussetzung dafür, dass die empirische Vielfalt von Bezügen geordnet und auf diese Vorgänge hin bezogen werden könnte" (235).

Insgesamt gesehen hat H. eine gewinnbringende Arbeit für "eine Reise durch die Psychologie auf den Spuren des Betens" (4) vorgelegt. Die von ihm vorgetragenen Analysen unter methodologischer Perspektive sind überzeugend und gut nachvollziehbar. Sie schärfen die Sinne für eine differenzierte Wahrnehmung empirischer Forschung zum Gebet. Insofern ist Ingrid Josephs Recht zu geben, die in ihrem Geleitwort schreibt, die zukünftige Forschung komme "nicht um Hauenstein herum" (ebd.). Anfragen ergeben sich unter dem Gesichtspunkt einer theologischen Profilierung. Zwar bemerkt H., dass sein Thema "im Wesentlichen kein theologisches im Sinn theologischer Positionen, sondern ein methodologisches" (231) sei. Doch verweist er zu Recht darauf, dass dabei die Theologie "unumgänglich mit ins Spiel kommt" (ebd.). Seine Kritik an einer positionell-normativen Theologie, die nicht danach fragt, was betende Menschen selbst von ihrem Tun denken, wie sie es deuten und verstehen, ist durchaus berechtigt. Doch fragt sich, ob durch die "Subjektivierung der Definitionsmacht" (233) das Pendel nun nicht einfach in die andere Richtung ausschlägt, ohne dadurch wirklich theologische Positionen und individuelle Gebetspraxis miteinander zu vermitteln.