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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

204 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gutmann, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Mit den Toten leben - eine evangelische Perspektive.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 229 S. 8. Kart. Euro 19,95. ISBN 3-579-05192-X.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Im Gegensatz zum Verständnis des Todes als einer "die Lebensverhältnisse total abbrechenden Verhältnislosigkeit" (E. Jüngel) bestimmt G. die Beziehung zwischen Lebenden und Toten als wechselseitig. Die Toten sind zwar tot, aber "in einer gegenüber den Alltagsbeziehungen vollständig anderen, neuen, unberechenbaren Weise" besteht doch eine Reziprozität zwischen ihnen und den Lebenden, und die Toten "müssen lernen, dass sie tot sind" (9). Eine Fülle von Informationen und Denkanstößen aus Theologie und Ethnologie, Psychoanalyse und Sozialwissenschaften wird dargeboten, um diesen zumal in evangelischer Perspektive fremd anmutenden Gedanken plausibel zu machen. Biblische Meditationen sowie Beispiele aus Filmen und aus der Literatur ergänzen die theoretische Argumentation.

Sterben und Tod unter den Bedingungen der Spätmoderne ist Inhalt des 1. Kap. Hier werden empirische Befunde theologisch reflektiert, aber auch bereits praktische Fragen der Bestattung wie Musikwünsche bei Trauerfeiern berücksichtigt. Im 2. Kap. wird das Thema insbesondere in Auseinandersetzung mit W. Gräb in die gegenwärtige praktisch-theologische Theoriediskussion eingebunden und davor gewarnt, Plausibilität auf Selbstthematisierung zu verkürzen. Luthers "Sermon von der Bereitung zum Sterben" beschreibt dagegen die doppelte Bewegung der Austreibung heilloser Ein-Bildungen und der heilsamen Einkörperung in Christus. Das 3. Kap. interpretiert Passion und Auferstehung als befreienden Tausch, wobei der Deutung des Opfers für das Ver- ständnis der Passion besondere Aufmerksamkeit zukommt und die Auferstehung im Gegensatz zum Absolutheitsanspruch moderner Subjektivität als "Eintreten eschatologischer Zeit mit energetischer Macht" (133) verstanden wird. Die Taufe bestimmt als Übergang vom Tod zum Leben die Grenze zwischen Tod und Leben neu, sie entmächtigt die biologische Todesgrenze und verbindet Lebende und Tote in der Gemeinschaft der Heiligen. Damit ist eine theologische Grundlage für das im 4. Kap. vorgetragene Plädoyer gegen die Ausgrenzung der Toten geschaffen. G. warnt davor, die gesellschaftliche Verdrängung theologisch zu reduplizieren. Das 5.Kap. gibt praktische Hinweise zur Trauerbegleitung, zur Aufgabe der evangelischen Bestattung und zur Bestattungspredigt. Ein Predigtbeispiel schließt das anregende, en- gagiert geschriebene Buch ab, dem ein Namenregister angefügt ist.

Das Buch regt eindringlich dazu an, die protestantische "Verhältnislosigkeit" zu den Toten zu überdenken. Warum ist die Bezeichnung "Totensonntag" so verpönt, dass selbst G. lieber vom "Ewigkeitssonntag" spricht, obwohl es an jedem Sonntag um die Ewigkeit geht? Nach der Lektüre des Buches überlege ich, ob meine Meinung, die Toten seien in der Bestattungsliturgie nicht anzureden, der Korrektur bedarf. Nicht verstanden habe ich, dass die Toten noch etwas lernen sollen, und fremd bleibt mir die Anrede der Verstorbenen in der Bestattungspredigt, wie G. sie praktiziert (224 f.). Auch kann ich die Fürbitte für Verstorbene nicht problemlos mit Luthers Sicht in Einklang bringen (161). Diese Anfragen zeigen nur, wie stark dieses Buch zum Mit- und Nachdenken anregt.