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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

198–200

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Gebetsglaube und Gotteszweifel.

Verlag:

Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2001. 287 S. gr.8 = Religion - Geschichte - Gesellschaft, 20. Geb. Euro 10,90. ISBN 3-8258-5379-9.

Rezensent:

Ralf Miggelbrink

Der J. Werbicks Münsteraner Dogmatikerkollegen Thomas Pröpper zum 60. Geburtstag gewidmete Band vereinigt in vier "Teilen" 12 Kapitel zu einer Theologie des Betens. Die zum Teil früher bereits in Aufsatzform veröffentlichten Kapitel bilden, so W., "vorbereitende Studien zu einer systematisch-theologischen Gotteslehre" (13). Mit diesem Projekt knüpft W. an sein Werk "Bilder sind Wege" (München 1992) an. Hatte er damals unter dem Untertitel "Eine Gotteslehre" überraschenderweise eine Analyse bildhafter Gottesrede geboten und mit ihr die durchgängige Reflexion der Subjekt-, Erfahrungs- und Biographiegebundenheit jeglicher Rede von Gott, so fokussiert W. in "Gebetsglaube und Gotteszweifel" den für gläubige Subjekte konstitutiven Grundvollzug erfahrungsgebundener Gottesrede, nämlich das Gebet: "Die Rede von Gott stammt allemal aus der Rede zu Gott, die Theologie aus der Sprache des Gebetes", so W. mit J. B. Metz (83).

W. will die tatsächlichen Gebetserfahrungen und -nöte der Menschen in ihrem epistemologischen Rang für die Theologie wahrnehmen, ohne die Theologie an die Flüchtigkeit einer disparaten Vielheit von Erfahrungen und Befindlichkeiten auszuliefern und ohne die faktischen Erfahrungen der Menschen durch eine theologische Rede von menschlicher Erfahrung im Allgemeinen zu substituieren. Zu diesem Zweck knüpft er im ersten Teil seines Werkes an das in der philosophisch-theologischen Auseinandersetzung um den Glauben in der Moderne vorstrukturierte Feld möglicher Erfahrungen als systematisches Rahmenwerk an. Es spannt sich aus zwischen den Polen des Zweifels und einem Glauben, der gerade in der Praxis des Betens den Grund seiner Gewissheit erfährt. Das Verhältnis von Gottesgewissheit und Zweifel ist auch für den Gläubigen kein ausschließliches, sondern ein koinzidentes. Dieser Wahrheit entspricht W., indem er den Zweifel nicht mit apologetischem Geschütz bekämpft und seine moralische Inkriminierung ausdrücklich zurückweist (17-21). Zweifel und Glaube sind antipodische Daseinsdeutungen, die sich nicht einfach nur ausschließen; deren Vertreter vielmehr in einem produktiven "Konflikt der Interpretationen" (21) da voneinander lernen können, wo nicht mit einer "Hermeneutik des Verdachts" gegeneinander operiert wird, sondern wo das Bedürfnis leitend wird, die Weltdeutung des anderen in ihrer Berechtigung zu verstehen. Das entspricht dem kritischen Anspruch der Kritik ebenso wie dem christlichen Anspruch eines wissenden Glaubens (30).

Als philosophischen Exponenten für eine Hermeneutik des Verdachts gegenüber dem Glauben macht W. nach dem Ende der klassischen Religionskritiken zielsicher Nietzsche aus. Nietzsche rebelliert gegen die jenseitige Verzweckung allen irdischen Lebens (48), ohne aber perspektivistisch die Vielheit der diesseitigen Seinsdeutungen zur letzten Wahrheit zu erheben. Das Gebet kann dieser Situation des zurückgewiesenen metaphysischen Gottes bei gleichzeitiger Verweigerung gegenüber dem totalen Relativismus der Perspektiven entsprechen, insofern es eine Haltung der Offenheit für den erwarteten und erhofften Gott pflegt (57 ff.).

Der zweite Teil (Kap. 3-6) beschreibt Grundzüge einer Theologie des Gebetes: 1) Beten ist ein Akt der Bejahung des Lebens, der seine Kraft nicht aus einer "aggressiven Negation" zieht (65), der die "Weigerung, das Nichthinnehmbare zu bejahen" (71), einschließt, der schließlich bedingungslos, gnadenhaft Lebensmut schenkt (76). 2) Beten ist ein Akt des Vertrauens im Hinblick auf die kommende Gottesherrschaft. So ist es Verweigerung gegenüber der Vertauschung von Sinn und Funktion und potenzierte Sensibilisierung gegenüber der Erfahrung der Sinnlosigkeit (88). Im Gebet bittet der Betende Gott um Gott und kultiviert das Vertrauen auf den unverfügbar anderen als das eigentliche Fundament seines Lebens, darin zugleich die in zweckrational arrangierten Gesellschaften rare Ressource Vertrauen pflegend, ohne sie einfach verfügbar zu machen (106). 3) Auf der Basis der Einsicht in die Unmöglichkeit einer "doktrinalen Theodizee" (119) erscheint das Gebet als Moment an jener praktischen Theodizee, deren Würde darin besteht, dass sie weder Gott noch das Leiden leugnet und dennoch auf der Unvereinbarkeit von beiden im eschatologischen Horizont des erwarteten, eingeklagten göttlichen Handelns beharrt, die spekulative Frage des "Warum?" in die praktische Frage "Wie lange noch?" umdeutend (128). 4) Christliches Beten bleibt gebunden an die im praktischen Handeln bezeugte Zuversicht, "dass Gott die Macht hat, in dieser Welt das heilvoll Neue anzufangen" (135), darin dem "Jüngergebet" des Vaterunser entsprechend (95 f.).

Der dritte Teil (Kap. 7-9) nimmt "Wege" und "Aporien" des Gebetes in den Blick: 1) Als scheiternde wird menschliche Freiheit denkbar als "verantwortete Konsequenz" aus dem nicht selbst Gewollten und Vertretenen (142 f.). Als solche verfehlt sie sich in dem Versuch, sich im dunklen Drang selbst zu behaupten. Das gebetete Schuldbekenntnis eröffnet gerade in der Annahme dieser Verweigerung die Möglichkeitsbedingung ihrer Überwindung (155 f.). 2) Beten bedeutet Lebensdeutung in der Auseinandersetzung mit dem Lebensschicksal Jesu und damit eingeübte Absage an den neuen Nietzscheanismus der "Lebens-Optimierung" (164), die überall da Programm wird, wo die "Selbstbezüglichkeit des Lebens" den letzten Horizont bildet (167) und die Lebensfreudigkeit des Dionysos der Lebensfülle des Weizenkorns entgegengestellt wird (177). 3) Die trinitarische Doxologie ist der eigentliche Erfahrungsort der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität, weil in ihr Gott als der angesprochen wird, als der er sich heilsgeschichtlich gibt. Die Trinität kann als die das Ganze der Welt bestimmende Größe nicht selbstherrlich in vergegenständlichender Weise beschrieben werden mit Aussagen, die vorgeben zu erklären, wie Gott selber an sich lebt und west, sondern nur im Modus vertrauender Hingabe an das Gottgeheimnis (208 f.).

Der vierte Teil (Kap. 10-12) thematisiert den Problemkreis von Beten und Gemeinschaft: 1) Das Gebet lebt von der expressiven Sprache der Bilder, die wie W. in Anlehnung an P. Ricur immer wieder betont, "zu denken geben" (138). Die Kirchengemeinschaft verlangt die denotative Sprache der Glaubensformeln. Letztere muss immer wieder auf die Bildwelt hin geöffnet und mobilisiert werden. Diese Notwendigkeit thematisiert die Negative Theologie. 2) Das Gebet führt aus dem "Herdenglauben" (252) "der direktiven Geschwätzigkeit, die einem sonntags so oft in gut gemeinten Fürbitt-Texten begegnet" (243), in die Einsamkeit der Gottessuche (245 ff.) und der Gottbegegnung (258 f.), in der aber gerade der Grund einer tieferen neu orientierten Gemeinschaft liegt, die eine "Gegenwelt" begründet (248f.) und Beistand in der Praxis des Gebetes erlebbar macht (250 f.). 3) Kühn stellt sich W. im letzten Kapitel seines im guten Sinne elitären, weil theologisch authentischen Entwurfes dem Handlungsfeld der Mehrheit der nachwachsenden Theologinnen und Theologen, nämlich der Schule. Die Schule ist nicht die Gemeinschaft der Glaubenden, die das Wunder erlebt, miteinander vor Gott zur Sprache zu kommen. Dennoch müsste, so W., in ihr die religiöse Sprache als "Sprech- und Handlungskompetenz" erlernbar sein. Für dieses Unterfangen reklamiert W. ausdrücklich den hohen Reflexionsstandard seiner Gebetstheorie, weil sich anders, im Modus der postmodernen Unverbindlichkeit, im Wege eines "Schnupperkurses" nichts von der Religion, die auf einem Grundengagement beruht, begreifen lässt.

W. liefert wirklich eine Gotteslehre in nuce, deren verantwortete Lösungen vieler Detailfragen auf einem konsistenten und sehr gründlich durchdachten theologischen Gesamtentwurf basieren. Die Fußnoten dokumentieren, dass dieser Entwurf vieles auch dem Diskussionsprozess innerhalb der Münsteraner katholischen Fakultät, namentlich mit dem geehrten Th. Pröpper und mit W.s Vorgänger J. B. Metz, verdankt. Die Überschriften erschließen auch nicht auf den zweiten Blick, was in dem jeweiligen Kapitel verhandelt wird. So zwingt der Autor den schnellen Leser, ihm auf seinen Denk-, Um- und Abwegen durch den Text zu folgen, was einer Schule des Betens wohl auch sehr gemäß ist.