Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

190–194

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ackermann, Stephan

Titel/Untertitel:

Kirche als Person. Zur ekklesiologischen Relevanz des personal-symbolischen Verständnisses der Kirche.

Verlag:

Würzburg: Echter 2001. XIV, 375 S. 8 = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 31. Kart. Euro 24,50. ISBN 3-429-02302-5.

Rezensent:

Matthias Haudel

Die Untersuchung Stephan Ackermanns, die von der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main als Dissertation angenommen wurde, beinhaltet den Versuch, angesichts der Gefahr eines primär funktional-organisatorischen Kirchenverständnisses "eine bessere theologische Vermittlung der Vorstellung bzw. Rede von der Kirche als einer Person oder einem Subjekt" (6) zu bieten. Mit einer angemesseneren Darlegung der Vorstellung von der Kirche als einer personalen gott-menschlichen Größe möchte A. die "Blässe" (10) überwinden, die dem Gedanken der Kirche als Person bzw. Subjekt gegenwärtig innewohnt. Deshalb beabsichtigt A., die "Sachhaltigkeit" und "Sinnhaftigkeit" (6) dieses Gedankens nachzuweisen, und zwar durch die Analyse zentraler personaler Ekklesia-Symbole (Kirche als "Leib", "Jungfrau-Braut-Gattin", "Mutter" oder "keusche Dirne"). Bevor gezeigt wird, ob sich dieser Versuch als hilfreich für die gegenwärtigen Bemühungen ekklesiologischer Selbstdefinition der Kirchen erweist, soll die Darlegung der einzelnen Arbeitsschritte A.s erfolgen.

Im ersten Teil untersucht A. das Zeugnis der Theologiegeschichte auf die personal-symbolischen Zugänge zum Selbstverständnis der Kirche.

Er beginnt mit den neutestamentlichen und patristischen Grundlagen der genannten Ecclesia-Symbole und zeigt, dass die Symbole unterschiedliche Akzente setzen, wenn etwa das Symbol der "Mutter" die Kirche oft als Gegenüber der Glaubenden erscheinen lässt, während das Bild von der "Braut" die Kirche gemeinsam mit den Glaubenden als Gegenüber Christi versteht (I. Kap.). Es schließt sich die Analyse der strukturellen Ausdifferenzierung der Symbole im Mittelalter an (II. Kap.), die sich statt auf das Verhältnis "Christus-Glaubende" auf das Verhältnis der Glaubenden untereinander (Klerus-Laien) konzentriert. Im Mittelalter stehen die Symbole (bes. das Leib-Symbol) zunehmend im Dienst des universalen päpstlichen Machtanspruchs, insofern der Papst mit dem Haupt des Leibes identifiziert wird (die "Mutter" Kirche gilt jetzt als "Herrin"). Doch je weniger sich das spätmittelalterliche Papsttum als Repräsentant des einen Subjekts "Kirche" eignet, desto mehr gewinnt das Subjekt der einzelnen Glaubenden in der Epoche der Devotio moderna an Bedeutung. Bei diesen Darlegungen fällt auf, dass A. die Theologiegeschichte vornehmlich auf die - durchaus auch kritisch betrachtete - römisch-katholische Entwicklung reduziert. Das Zeugnis ostkirchlicher Theologiegeschichte mit anderen Zugängen zu den personalen Ecclesia-Symbolen und entsprechend divergierenden ekklesiologischen Konsequenzen findet kaum Beachtung.

Stärkere Berücksichtigung findet im III. Kap. das Verständnis der personalen Ecclesia-Symbole in der Reformation, die auf die ursprünglichen paulinischen und patristischen Grundlagen zurückgriff. A. erkennt neben der Bezugnahme der Reformatoren auf den "Leib Christi" und die "Mutter" Kirche zwar deutlich, dass die Reformation durch den erneuten pneumatologischen Zugang zur Ekklesiologie - in Verbindung mit der Abwehr des mittelalterlichen Klerikalismus - die unsichtbare Dimension der Kirche in Erinnerung ruft. Aber das differenzierte Verhältnis von verborgener und sichtbarer Kirche, das etwa Luther in pneumatologisch-christologischer Differenzierung aufzeigt, bringt die Analyse nicht zum Vorschein. Klarer streicht A. dann wieder die jeweiligen Engführungen in nachreformatorischer Zeit heraus, die mit den von der Gegenreformation hervorgerufenen Polarisierungen einhergingen. Während das Motiv der "Ecclesia Mater" im Protestantismus nicht zuletzt als Gegenreaktion auf die römisch-katholische Prägung des Motivs (hierarchisch, disziplinierend) zurücktrat, folgte aus der Identitätssicherung des Katholizismus gegenüber Reformation und Aufklärung eine Konsolidierung des juridisch-hierarchischen Verständnisses der "heiligen Mutter Kirche", die Gehorsam verlangt. Die zuweilen bis zur Ununterscheidbarkeit mit Christus geeinte Kirche existiert demnach in den sichtbaren Strukturen der römisch-katholischen Kirche, die unter dem Papst als dem Stellvertreter Christi geeint ist. Obwohl A. in der entsprechenden Definition des Jurisdiktionsprimats und des infalliblen päpstlichen Lehramts (I. Vatikanum) eine Engführung personaler Ekklesiologie erkennt (Konzentration auf den Papst als Subjekt), sieht er durch die Kirchenkonstitution von 1870 "eine neue Stufe des reflexen Selbst-Bewußtseins der Kirche als Subjekt in der Heilsökonomie Gottes erreicht" (96). Mit dieser Formulierung A.s scheint sich die Kirche als Subjekt in der Heilsgeschichte mit den trinitarischen Personen nahezu auf eine Stufe zu stellen.

A. skizziert im IV. Kap. zunächst die entsprechende Kennzeichnung der Kirche als "altera Christi persona" (Enzyklika Mystici Corporis 1943) sowie die - im Kontext des Mariendogmas von 1950 zunehmende - mariologische Verankerung der Kirche (Maria als Trägerin des Gnadenpleromas der Kirche, das sich aus Maria in die Kirche ergießt). Danach entfaltet er die Überwindung der ekklesiologischen Engführung des I. Vatikanums (primatial charakterisiertes ekklesiologisches Subjekt) durch die Communio-Ekklesiologie des II. Vatikanums (Begründung des ekklesiologischen Subjekts in der Gemeinschaft der Glaubenden). Die Besinnung auf den heilsökonomischen trinitätstheologischen Ansatz, der seit dem II. Vatikanum vielfach die Grundlage der Communio-Ekklesiologie bildet, findet bei A. jedoch keine Beachtung, weshalb die Kriterien des von A. vorausgesetzten ekklesiologischen "Bewußtwerdungs- und Identitätsbestimmungsprozesses" (121) unklar bleiben.

Im zweiten Teil der Untersuchung analysiert A. drei theologische Entwürfe, die explizit von der Personalität der Kirche sprechen (C. Journet, H. Mühlen, H. U. von Balthasar).

Nach A. gelangt Journet mit einer statischen Ekklesiologie zur direkten Identifikation von juridisch-hierarchischer katholischer Kirche und Kirche Jesu Christi, weil er biblisch-symbolische Aussagen in thomistischer Hermeneutik univokem Denken unterwerfe und die Beziehung zwischen trinitarischem Gott und Kirche nicht auf Grund der personalen Selbstmitteilung Gottes definiere, sondern nach dem Prinzip "Ursache-Wirkung". Bei Mühlen sieht A. die Gefahr, dass dessen pneumatozentrische Begründung der Ekklesiologie lediglich dazu führt, den Christozentrismus durch einen Pneumatozentrismus zu ersetzen, so dass der Aspekt der Communio von Personen weiterhin verdeckt bleibt. Denn als Mysterium des Heiligen Geistes entspricht die Kirche bei Mühlen dem innertrinitarischen Geist, der eine Person in und aus zwei Personen verkörpert, weshalb die Kirche das eine "Wir in Person" darstellt. Die eigentliche Ursache der trinitarisch-ekklesiologischen Engführung Mühlens kommt bei A. wiederum nicht zum Tragen, da er sich nicht mit den westlich-filioquistisch geprägten trinitätstheologischen Einseitigkeiten Mühlens auseinander setzt. An von Balthasars Ansatz der Vernetzung verschiedener Ecclesia-Symbole lässt sich laut A. anknüpfen, da von Balthasar die Person "Kirche" als Einheit von Personen in ihrem Bezug zu Christus und untereinander definiere, indem er auf Grund der Analogia entis die reale Verschränkung von Person und Gestalt garantiere. Doch gerade hierauf beruht von Balthasars mangelnde Unterscheidung zwischen göttlichen und menschlichen Strukturen, die z. B. zur - von A. nicht kritisierten - Identifikation der Personalität Christi und Marias führt. Beiden wird eine für die Kirche konstitutive Personalität zugeschrieben, die ein "bleibendes Voraus der Ganzheit Kirche vor einzelnen" (285) beinhaltet und innerhalb derer sich erst wahre menschliche Personalität realisieren lässt, insofern sich die Glaubenden in dieser Personalität zur gesamtkirchlichen Dimension weiten und als Kirche fühlen oder handeln- geschart um das grenzenlose Jawort Marias: "Ideale und reale Kirche fallen in einem heilen personalen Kern, der Maria Immaculata, zusammen" (286). Maria kann in der Kirche also als Trägerin des ekklesiologischen Gnadenpleromas an die Stelle Christi treten, während der Selbststand der Glaubenden im kirchlichen Gesamtsubjekt aufzugehen droht.

Weil die personalen Ecclesia-Symbole nicht differenziert trinitätstheologisch im Verhältnis von "Gegenüber und Nähe" Gottes verstanden werden, sondern auf der Basis von Menschen, die als Realsymbole der Kirche gelten (z. B. Maria als Realsymbol der Kirche oder Petrus als Realsymbol der amtlichen Dimension), vermag die christologisch-pneumatologische Konstitution der Kirche - wie gezeigt - in eine mariologische Konstitution überzugehen. A. verweist zwar im dritten Teil der Untersuchung, der seine hermeneutische Vergewisserung über eine angemessene zeitgenössische personale Rede von der Kirche enthält, auf die Entsprechung von innertrinitarischer und ekkle- siologischer Communio, aber dieser Hinweis bleibt pauschal und ohne Konkretion. Das hängt damit zusammen, dass A. "die nähere Entfaltung einer Communio-Ekklesiologie" für "überflüssig" hält, weil es diesbezüglich bereits "umfangreiche und überzeugende ekklesiologische Entwürfe" (314 f.) gebe (z. B. G. Greshake, M. Volf etc.). A. übersieht, dass die von ihm genannten Konzeptionen zu divergierenden trinitätstheologischen und ekklesiologischen Ergebnissen gelangen und dass seine pauschalen Hinweise auf die Analogie von trinitarischer und ekklesiologischer Communio nicht aussagekräftig sind. Wenn A. lediglich auf den Zusammenhang von Identität und Differenz hinweist, der im kommunialen Subjekt "Kirche" bestehe und der deshalb über die monolithisch-primatiale Beschreibung des kirchlichen Subjekts hinaus die Berücksichtigung der Gemeinschaft aller Glaubenden verlange, ist damit über das "Wie" des Zusammenhangs von Einheit und Vielfalt ebenso wenig gesagt wie über die trinitätstheologischen Grundlagen dieses Zusammenhangs, die besonders die Verhältnisbestimmung von Christologie und Pneumatologie betreffen.

Der Beachtung dieser Zusammenhänge fällt jedoch gerade in einer Zeit maßgebliche Bedeutung zu, in der sich sowohl die ekklesiologische Selbstdefinition der Kirchen als auch die bilateralen und multilateralen ökumenischen Bemühungen auf das neutestamentlich begründete trinitarische Verständnis von "Gemeinschaft" (Koinonia, Communio) beziehen. Es lässt sich nämlich nachweisen, dass diese Bemühungen der Auseinandersetzung mit den jeweiligen trinitätstheologischen Ansätzen bedürfen, insofern sich die trinitätstheologischen - und die mit ihnen einhergehenden hermeneutischen - Divergenzen in den ekklesiologischen Divergenzen widerspiegeln (vgl. zum detaillierten kirchengeschichtlichen, systematischen und ökumenischen Nachweis dieser Zusammenhänge und zur Eröffnung einer begründeten ökumenischen Perspektive Matthias Haudel: Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes. Grundlage eines ökumenischen Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnisses - im Druck).

Da sich A. nicht eingehend mit der materialen Grundlage der Ekklesiologie, nämlich der Gotteslehre bzw. der Trinitätslehre, auseinander setzt und sich nur auf die personalen Ekklesia-Symbole konzentriert, kann er zwar durch eine differenziertere und ganzheitlichere Zuordnung dieser Symbole gewisse Einseitigkeiten römisch-katholischer Ekklesiologie aufzeigen und eine angemessenere Beachtung aller Glaubenden (auch der Laien) oder der Sündhaftigkeit der Kirche anmahnen, aber er unterliegt zugleich selbst einer einseitigen Korporativ-Ekklesiologie, die aus dem wenig reflektierten trinitätstheologischen Ansatz und entsprechenden trinitätstheologischen Engführungen resultiert. Indem A. den Heiligen Geist in Anlehnung an Mühlen filioquistisch geprägt als die eine "Wir-Einheit" versteht (fehlende Eigenständigkeit des Geistes), definiert er die Kirche analog als ein personales Subjekt, das eine rein relationale "Wir-Communio"-Einheit verkörpert, die den Selbststand der Glaubenden kaum zur Geltung kommen lässt, zumal A. deren Gemeinschaft mit der innertrinitarischen Perichorese vergleicht. Hier werden göttliche und menschliche Strukturen vorschnell identifiziert, weil das differenzierte Verhältnis von Christologie und Pneumatologie mit seinen Folgen für das differenzierte Verhältnis von "Gegenüber und Nähe" Gottes keine Beachtung findet.

So betont A. nicht die pneumatologisch konstituierte gegenseitige Einwohnung von Gott und Glaubenden, sondern die gegenseitige Einwohnung von Glaubenden und der Kirche. Die Einzelperson geht im Subjekt der Kirche auf, das nach A. die ontologische und temporale Vorordnung der Universalkirche verlangt, deren strukturelle Vollgestalt in der Geschichte durch die römisch-katholische Kirche verkörpert wird. Die Glaubenden erhalten ihre wahre Identität nur durch die totale Identifikation mit der genannten Kirche. Als eschatologisches Ziel nennt A. nicht das Reich Gottes, sondern die Vollendung dieser Kirche.

Dass A. den heilsgeschichtlichen Selbstfindungsprozess der Kirche maßgeblich in der römisch-katholischen Tradition ansiedelt, liegt nicht zuletzt an der Vernachlässigung der formalen hermeneutischen Kriterien bzw. an seiner wenig differenzierten Verhältnisbestimmung von Schrift, Tradition und Kirche. Römisch-katholische Tradition und Glaubenserfahrung erhalten bei A. normative Geltung. Hier hätte die Wahrnehmung des längst erzielten ökumenischen Durchbruchs im Verhältnis von Schrift, Tradition und Kirche eine angemessenere ökumenische Weite ermöglicht (vgl. zum Nachweis dieses ökumenischen Durchbruchs Matthias Haudel: Die Bibel und die Einheit der Kirchen. Eine Untersuchung der Studien von "Glauben und Kirchenverfassung" = Kirche und Konfession, 34. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993, 21995). Darüber hinaus würde die Beachtung des Unterschieds zwischen göttlichen und menschlichen Strukturen, die mit einer differenzierten Trinitätslehre einhergeht, zugleich A.s mariologische Konstitution der Kirche in Frage stellen, nach der Maria - wie Christus - als unzerstörbarer und sündloser heiliger Kern der Kirche gilt, der die Kirche heiligt.

So bleibt es zwar das unbestrittene Verdienst der Untersuchung A.s, innerhalb der ausführlich analysierten Geschichte der Ekklesia-Symbole ekklesiologische Engführungen und Ansätze für deren Überwindung aufgezeigt zu haben. Aber A.s Untersuchung lässt auf Grund ihrer Defizite zugleich erkennen, dass es der differenzierten Beachtung der formalen hermeneutischen Kriterien (Verhältnis von Schrift, Tradition und Kirche) sowie der materialen trinitätstheologischen Grundlagen der Ekklesiologie bedarf, um tragende und konkrete Kriterien für ein Kirchenverständnis zu erlangen, das über die Identifikation mit der eigenen kirchlichen Tradition hinauszugehen vermag.