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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

735–737

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Golling, Ralf u. Peter von der Osten-Sacken [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hermann L. Strack und das Institutum Judaicum in Berlin. Mit Anhang über das Institut Kirche und Judentum.

Verlag:

Berlin: Institut Kirche und Judentum 1996. 237 S. gr. 8 = Studien zu Kirche und Israel, 17. Pp. DM 24,80. ISBN 3-923095-68-6.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Seit seiner Gründung im Jahre 1960 hat das Berliner "Institut Kirche und Judentum" einen wichtigen Beitrag für die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen geleistet. In zahlreichen Veröffentlichungen und Lehrangeboten hat es nicht nur zur Verbreitung fundierter Kenntnisse über das Judentum beigetragen, sondern zugleich auch durch sein Bemühen um lebendige Begegnung und Dialog prägend gewirkt.

Die Neubegründung des Institutes an der Humboldt-Universität, die 1995 im Rahmen der Fusion theologischer Ausbildungsstätten in Berlin stattfand und mit einem Umzug in die Stadtmitte (Dom) verbunden war, galt den Herausgebern des anzuzeigenden Bandes als ein gegebener Anlaß, die eigene Arbeit in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen. Denn mit dieser neuen Zuordnung zur Universität rückt auch die Geschichte des alten "Institutum Judaicum Berolinense" wieder in den Blick. 1883 durch Hermann Leberecht Strack begründet, überstand es wechselvolle Zeiten, bis seine Arbeit 1956 schließlich zum Erliegen kam. Da die Geschichte des Institutes wesentlich von der Persönlichkeit Stracks bestimmt war, stehen sein Leben und Werk auch im Mittelpunkt. Insgesamt aber ist ein Buch entstanden, das die Geschichte jüdischer Studien im Kontext protestantischer Theologie in Berlin nachzeichnet und dabei ein lebendiges Bild von Persönlichkeiten, Traditionen und Wandlungen entstehen läßt.

Der Band vereinigt nach einem Vorwort Peter von der Osten-Sackens verschiedene Beiträge, die sich vor allem um die Untersuchungen Gollings gruppieren. Ein erster Teil steht unter der Überschrift "Hermann L. Strack und das Judentum". Von Golling wurde dabei "Der Beitrag Hermann L. Stracks zur Erschließung des Judentums" erarbeitet, Günter Stemberger schildert "Hermann L. Stracks Beitrag zur Erforschung der rabbinischen Literatur." In einem zweiten Teil unter der Überschrift "Das Institutum Judaicum Berolinense" stellt Golling "Das Institutum Judaicum in Berlin" unter seinen verschiedenen Leitern sowie "Die Bibliothek des Institutum Judaicum" vor. Ein dritter Teil trägt die Überschrift "Dokumentation" und bietet Dokumente (kommentiert durch von der Osten-Sacken), die in Briefen, Gutachten und Berichten Einblicke in die Institutsgeschichte vermitteln. Eine bibliographische Zusammenstellung der "Schriften des Institutum Judaicum in Berlin" sowie 10 Abbildungen (Porträts, Faksimiles, Buchtitel) fügen sich an. Anhangweise kommen dann in einem vierten Teil Texte zum Abdruck, die das Institut Kirche und Judentum betreffen. Neben der Ansprache Martin Stöhrs zur Neueröffnung des Institutes 1995 stehen weitere Grußworte, die Bedeutung und Zielsetzung der nunmehr als "Zentrum für christlich-jüdische Studien an der Humboldt-Universität zu Berlin" bezeichneten Einrichtung unterstreichen. Eine bibliographische Übersicht über die Schriftenreihen des Institutes dokumentiert seine breitgefächerte wissenschaftliche Arbeit. Mit einem Autoren- und Personenregister schließt der Band.

Interessante Aufschlüsse bieten vor allem die Untersuchungen zu Persönlichkeit und Lebenswerk H. L. Stracks. Dabei kommt seine Wirksamkeit zwischen wissenschaftlich-aufklärerischer und christlich-judenmissionarischer Bemühung differenziert zur Sprache. Sie erhält ihr besonderes Profil durch die Herausforderungen der Zeit. Denn einerseits galt es, dem Mangel an Kenntnis unter christlichen Theologen durch eine neue Erschließung der rabbinischen Quellen abzuhelfen, andererseits der antisemitischen Propaganda mit ihren Unterstellungen und Verdrehungen jüdischer Theologie entgegenzutreten. Persönliche Auseinandersetzungen wie etwa die mit dem Hofprediger A. Stöcker klingen immer wieder an, wobei das Interesse des Lesers an Details freilich mehr geweckt als schon befriedigt wird. Die literarischen Arbeiten Stracks konzentrierten sich vor allem auf die kritische Ausgabe von Mischnatraktaten, die inzwischen zu einem Standardwerk gewordene "Einleitung in Talmud und Midrasch" sowie Untersuchungen, die den alten Stereotypen antijüdischer Polemik mit fundierten theologischen Informationen begegneten. Zu den Lehrern des Berliner Rabbinerseminares pflegte er persönliche Kontakte. Auch hier erkannte man seine wissenschaftlichen Leistungen an, die von den ursprünglichen judenmissionarischen Intentionen weitgehend unbeeinflußt blieben. Ansätze eines Gespräches kamen dann allerdings erst unter Stracks Nachfolger Hugo Greßmann zustande, der nun auch unter ausdrücklichem Verzicht auf jede missionarische Absicht die wissenschaftliche Erforschung des nachbiblischen Judentums zur alleinigen Aufgabe des Institutes erklärte. 1925/26 lud er jüdische Wissenschaftler zu Vorträgen in das Institutum Judaicum ein, um so im Rahmen der Lehrveranstaltungen eine Selbstdarstellung jüdischer Theologie zu ermöglichen.

Auch wenn sich diese hoffnungsvollen Anfänge nicht fortsetzten, blieben die Grundsätze Greßmanns bis zum Ende des Institutum Judaicum 1956 bestehen. Allein unter der Leitung von J. Hempel (1938-1944) verkehrten sich die Zielsetzungen nach Maßgabe der nationalsozialistischen Ideologie, ohne sich jedoch in nennenswerten Aktivitäten niederzuschlagen. Mit Leonhard Rost begann nach dem Krieg noch einmal ein Neuanfang - mit seinem Weggang 1956 endete die Geschichte des Strack’schen Institutes. Allein die Bibliothek mit ihren Beständen aus Stracks und Greßmanns Schenkungen bildete weiterhin einen reichen Fundus für jüdische Studien. Während das Institutum Judaicum Berolinense im Rahmen der Fakultät als ein Privatissimum bestanden und sein Leiter einen alttestamentlichen Lehrstuhl bekleidet hatte, wurde das Institut Kirche und Judentum 1995 nun auch institutionell als eine Einrichtung der Fakultät neu eröffnet. Daß es seine Gründung einer Initiative der Landeskirche verdankt und seit 1960 zunächst an einer kirchlichen Hochschule beheimatet war, zeigt erneut den Zeitbezug jüdischer Studien an. Ganz bewußt stand von Anfang an die Notwendigkeit eines Neuanfanges zwischen Christen und Juden nach Auschwitz im Mittelpunkt. Was dabei bereits erreicht ist, zeigt die bibliographische Übersicht der Veröffentlichungen auf eindrucksvolle Weise.

Das Buch ist mehr als die Darstellung eines Kapitels Wissenschaftsgeschichte geworden. Es führt die Bedingtheiten und Aufgabenstellungen jüdischer Studien in christlicher Verantwortung am Beispiel Berlins anschaulich vor Augen. Damit aber werden auch Stellenwert und Notwendigkeit ihrer institutionellen Verankerung in der theologischen Ausbildung überhaupt sichtbar. Den informativen und spannend geschriebenen Beiträgen, die den Rückblick in das Licht neuer Perspektiven zu stellen vermögen, bleibt deshalb gerade in Zeiten wissenschaftspolitischer Probleme eine breite Leserschaft zu wünschen.