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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

180–182

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Crossan, John Dominic, and Jonathan L. Reed

Titel/Untertitel:

Jesus ausgraben. Zwischen den Steinen - hinter den Texten. Aus d. Engl. übers. v. C. Krülls-Hepermann

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 2003. 339 S. m. Abb. u. 1 Kt. 8. Geb. Euro 26,00. ISBN 3-491-77051-3.

Rezensent:

Jens Schröter

Ausgrabungen haben in der neutestamentlichen Wissenschaft derzeit Konjunktur. Unlängst hatte bereits John S. Kloppenborg Verbin die hypothetische zweite Quelle des Mt und Lk "ausgegraben" (Excavating Q, 2000), nunmehr ist Jesus selbst an der Reihe. John Dominic Crossan, der Zunft spätestens durch sein monumentales Jesusbuch (1991, deutsch 1994) sowie etliche Nachfolgewerke aus demselben Umfeld bekannt geworden, hat sich mittlerweile, um beim Ausgraben nicht ins Hintertreffen zu geraten, nach archäologischem Beistand umgesehen und ihn in Jonathan L. Reed, einem Experten für die Archäologie Palästinas und maßgeblich an den Ausgrabungen der Duke University in Galiläa (bes. in Sepphoris) beteiligten Forscher, gefunden. Entstanden ist ein Buch, das sich zum Ziel setzt, literarische und archäologische Erkenntnisse aufeinander zu beziehen und auf diese Weise die Texte durch Realia historisch zu untermauern. Die amerikanische Ausgabe (Excavating Jesus, 2001), die hier in deutscher Übersetzung vorliegt (die farbigen Illustrationen fehlen allerdings), hat in den USA bereits großen Absatz gefunden. Dies kann indes nicht davon abhalten, einige Merkwürdigkeiten zu notieren.

Merkwürdig ist zunächst die - bereits in dem bizarren Titel zum Ausdruck kommende - Vorstellung, die Beschäftigung mit der Vergangenheit ließe sich mit der archäologischen Metapher des "Ausgrabens" beschreiben. Mag dieser Terminus die handwerkliche Tätigkeit des Archäologen zutreffend erfassen, so kann im Blick auf die Bedeutung von Texten oder gar Personen hiervon keine Rede sein. Textinterpretation als Freilegen von Schichten zu verstehen, die sich über die Texte gelegt hätten und für ein "richtiges" Verständnis zu entfernen seien, ist bestenfalls naiv. Wirkungsgeschichte vollzieht sich als Entfaltung, die Texten innewohnende, prinzipiell unbegrenzte Bedeutungspotentiale erhebt und in der der Ausleger immer schon steht. Jeder Interpretationsvorgang - auch der auf archäologische Daten bezogene - hat deshalb den Charakter der Konstruktion und ist ohne historische Einbildungskraft nicht zu haben. Mit der Vorstellung des "Ausgrabens" der Vergangenheit setzt sich dagegen der neopositivistische Trend in Teilen der neueren Jesusforschung, der von hermeneutischen und geschichtsmethodologischen Einsichten nicht getrübt wird, auch in diesem Buch fort.

Merkwürdig ist weiter die Auflistung der je zehn "wichtigsten" (!) archäologischen und exegetischen "Entdeckungen" für das Leben Jesu am Beginn des Buches. Woher dieses "ranking" stammt, erfährt der Leser nicht, auch nicht, warum Masada und Qumran als "Monumente jüdischen Widerstands" angeführt werden, obwohl beide nicht in Galiläa liegen und der in Frage kommende Widerstandskampf erst Jahrzehnte nach Jesus stattfand. Genannt wird hier auch die Pilatus-Inschrift, die, wie man später erfährt, nicht deshalb wichtig sei, weil sie Namen und Amtsbezeichnung des judäischen Präfekten zur Zeit Jesu bezeugt, sondern weil sie den Herrschaftsanspruch Roms in Judäa zum Ausdruck bringe: "... dieses Tiberium errichtete Pontius Pilatus, Präfekt von Judäa" (und man soll wohl ergänzen: "und kein anderer"). Selbst wenn wir diese gewagte Deutung der Inschrift dahingestellt sein lassen (Es ist nicht einmal bekannt, um was für ein Gebäude es sich bei dem Tiberium überhaupt gehandelt hat!), ist nicht deutlich, was sie an spezifischen Erkenntnissen über die Zeit Jesu beisteuert. Die Präfektur in Cäsarea maritima wird zwar bestätigt, mit der Wirksamkeit Jesu hat dies jedoch nicht allzu viel zu tun. Inwiefern die Inschrift also- abgesehen von der Konkretion der Amtsbezeichnung - über das aus den literarischen Quellen Bekannte hinausführen soll, wird nicht recht klar. Die Keramikfunde aus Kefar Hanania (vgl. D. Adan-Bayewitz, Common Pottery in Roman Galilee, 1993) werden dagegen nicht genannt, obwohl es sich hierbei um Zeugnisse handelt, die Aufschluss über die Beziehungen Galiläas zu den umliegenden nicht-jüdischen Gebieten geben und auf diese Weise durchaus zum Bild des antiken Galiläa beitragen könnten.

Zu den zehn wichtigsten exegetischen "Entdeckungen" gehören gleichermaßen die Schriftenfunde von Qumran und Nag Hammadi, die Zweiquellentheorie, die Unabhängigkeit des EvThom, der Did und des EvPetr von den synoptischen Evangelien, die "allgemeine Spruchtradition in der Logienquelle Q und im Thomasevangelium" (gemeint ist wohl: "gemeinsame Spruchtradition", im englischen Text steht "common sayings tradition") sowie Papyruscodices und nomina sacra. Wie Schriftenfunde, Spezialtheorien einiger Forscher, die viele Argumente gegen sich haben, und antike Schreibtechniken unterschiedslos zu "exegetischen Entdeckungen" erklärt werden können, bleibt unerfindlich. Gravierender noch ist, dass durch die äußerst spekulative "Schichtung" der literarischen Quellen sowie das im Hintergrund stehende soziologische Modell der archäologische Befund in das Prokrustesbett einer Theorie von Jesus dem Revolutionär und Weisheitslehrer gezwängt wird, die mehr über das moderne Amerika als über das antike Galiläa zu erkennen gibt.

Merkwürdig und nicht ganz konsequent ist schließlich drittens, dass sich ein Forscher wie C. überhaupt mit der Archäologie Galiläas bzw. Judäas befasst. Nimmt man seine in dem Jesusbuch entwickelte und auch hier vorausgesetzte Einteilung der literarischen Jesusüberlieferungen ernst, lässt sich nur mit Sean Freyne das Fazit ziehen: "... if one were to follow Crossan's methodology to its logical conclusion, that is, use material only from stratum one, it would be difficult to locate Jesus anywhere in particular, certainly not in Galilee" (Galilee and Gospel, 209).

Die einzelnen Kapitel des Buches entwerfen ein Bild, das auf C.s Theorie eines vom Widerstand der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker geprägten Milieus im Palästina des 1. Jh.s basiert und nunmehr archäologisch gestützt werden soll. Das von Jesus proklamierte Reich Gottes sei ein Gegenmodell zur herodianischen Herrschaft, es sei gekennzeichnet durch Mahlgemeinschaften, es ordne sich ein in den jüdischen Widerstand gegen Rom. Man kennt dies schon aus C.s früheren Publikationen; mit den archäologischen Teilen des hier vorliegenden Buches lässt es sich nicht wahrscheinlicher machen und steht auch in keiner organischen Verbindung zu diesen.

Vermutlich ist es der Kompetenz von Reed zu verdanken, dass Thesen wie diejenige eines "heidnischen Galiläa", die noch vor nicht allzu langer Zeit in einigen Publikationen anzutreffen war, in den archäologischen Abschnitten des Buches nicht begegnen. Die jüdische Prägung Galiläas, die Auswertung der Funde von Sepphoris (kein Theater zur Zeit Jesu, zahlreiche Mikwen), die Beschreibung Kafarnaums im 1. Jh. anhand der dortigen Funde ("Haus des Petrus", Synagoge) und vieles mehr beruhen auf zuverlässiger Kenntnis der einschlägigen Grabungsergebnisse, die Reed bereits zuvor in einem überaus lesenswerten Buch (Archaeology and the Galilean Jesus, 2000) publiziert hatte.

Die Teile, in denen die archäologischen Funde aus Galiläa und Judäa beschrieben und ausgewertet werden, sind lesenswert und informieren über den aktuellen Stand der Erkenntnisse. Wenn sie jedoch in das Schema einer angeblich auf Widerstand gegen die herodianische und römische Herrschaft gerichteten Wirksamkeit Jesu eingepasst werden, dann ergibt sich dies, wie schon Freyne in etlichen Beiträgen gezeigt hatte, aus diesem Befund keineswegs. Vermutlich ist dieses Nebeneinander, das zu einem eigenartigen Ungleichgewicht in der Darstellung führt und Textbefund und Archäologie, entgegen der Absicht des Buches, gerade nicht zu integrieren vermag, der Arbeitsteilung zwischen beiden Autoren geschuldet. Kenntnisse über historische Zusammenhänge und archäologische Funde sind für die Jesusforschung unverzichtbar. Sie sollten freilich nicht in den Dienst einer vorgängigen, durchaus streitbaren Theorie über die literarischen Quellen und die Intention des Wirkens Jesu gestellt werden