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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

168–170

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Capon, Robert Farrar

Titel/Untertitel:

Kingdom, Grace, Judgment. Paradox, Outrage, and Vindication in the Parables of Jesus.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2002 (Combined Edition). X, 522 S. gr.8. Kart. US$ 26,00. ISBN 0-8028-3949-5.

Rezensent:

Kurt Erlemann

Der umfangreiche Band zu den Gleichnissen lässt allein vom Umfang und von der differenzierten Betitelung her schon vieles erwarten. Die programmatischen Äußerungen des Vorworts machen auf Inhalt und Durchführung neugierig. So möchte Capon gegen eine zu große Vertrautheit mit den Gleichnissen und gegen ein zu dogmatisch-glattes Jesusbild angehen. Die Gleichnisse provozierten enorm, und Jesus habe bizarr, unverständlich gesprochen, "he was an ambulatory parable in and of himself" (1). Doch die weiteren Ausführungen lassen an einer allzu fortschrittlichen Exegese zweifeln. So versichert C. ausführlich, dass sich eine kritische Sicht der Parabeln mit einem inspirierten Schriftverständnis sehr wohl vereinbaren lasse (2). Bei einer weiteren Durchsicht fällt auf, dass C. ohne jede explizite Bezugnahme auf die Forschungsgeschichte auskommt (Fußnoten finden sich keine, auch kein Literaturverzeichnis), nur ab und an wird auf bestimmte Forschermeinungen rekurriert - zumeist ohne Namensnennung (z. B. 30). Theologisieren lohne letztlich den Aufwand nicht (149 f.). Das Buch, das nicht als Qualifikationsarbeit ausgewiesen wird, liest sich dementsprechend auch nicht wie eine nach den wissenschaftlich-exegetischen Standards gearbeitete Studie.

Das damit verbundene methodologisch-hermeneutische Problem wird alsbald sichtbar: Ausgehend von einer konsequenten Inspirationslehre bringt C. in großer Freiheit Textaussagen in Zusammenhang, die nach den Regeln der historisch-kritischen Methode nichts oder wenig miteinander zu tun haben. "The Spirit has all uses in mind everywhere: he has full and deliberate control over history throughout the book" (145). Wie er selbst an mehreren Stellen sagt, "spielt" er mit der Schrift und sieht sich darin in guter Tradition (109.145 u. ö.). So wird z. B. regelmäßig das Johannesevangelium und dessen Christologie zur Deutung der synoptischen Gleichnistexte herangezogen. Einige Beispiele mögen das illustrieren:

Die Auslegung des Sämanngleichnisses in Mk 4 spricht von Gottes Wort als dem Samen, der ausgesät wird. Für C. ist klar, dass dieses Wort Jesus Christus als der Logos Gottes (vgl. Joh 1) ist. Er ist ausgestreut in alle Welt (61). Jede andere Deutung sei ein Missverständnis. Der heilige Geist habe durch die Zusammenstellung der vier Evangelien selbst für dieses Verständnis gesorgt, selbst wenn ursprünglich ein anderes Verständnis intendiert gewesen sein sollte (62). "Concepts that he [i. e. der heilige Geist] had not fit in by means of an earlier passage, he easily retrofitted, as it were, by means of a later one" (63). Als das in die Erde gesäte Wort Gottes sei Jesus gestorben, auferstanden und in den Himmel entschwunden (68).

Das Gleichnis vom Fischnetz (Mt 13,47-52) bringt C. mit Joh 12,32 zusammen und deutet es als gegen Kirchenzucht gerichtet: Alle sollen ins Netz der Kirche gesammelt werden, diese habe nicht die Aufgabe des Aussortierens, sondern des Sammelns.

Ein weiterer Problempunkt ist die allzu geradlinig vorausgesetzte Lektüre der Evangelien als mehr oder weniger authentische Biographien des Lebens Jesu. So werden die drei Gleichnisgruppen "parables of kingdom", "parables of grace" und "parables of judgment" entsprechend ihrer Anordnung (die einer kritischen Überprüfung nicht standhält) in den Evangelien bestimmten Lebens- und Bewusstseinsphasen Jesu zugeordnet. So habe Jesus in seiner ersten Wirkungszeit bis zur (ebenfalls historisch gedachten) Speisung der 5000 vor allem von sich selbst als dem Mysterium des Reiches Gottes gesprochen. In einer zweiten Phase - zwischen Speisungswunder und Einzug in Jerusalem - sei Jesus klar geworden, dass er die Welt nicht durch Wundertaten zu erlösen, sondern zu sterben und aufzuerstehen hatte (22. 157), in der letzten, Jerusalemer Phase, habe er dann das Gericht in den Mittelpunkt seiner Gleichnisverkündigung gestellt. Die Rede vom Gericht in Mt 13,36-43 sei eigentlich verfrüht, ein Zugeständnis Jesu an die Gerechtigkeitslogik seiner Hörer (ein "dog biscuit", 108), um endlich Ruhe zu haben.

Mit der Frage einer Bewusstseinsentwicklung Jesu eng verbunden ist C.s ständige Reflexion auf das chalzedonensische Dogma von den beiden Naturen Jesu Christi. Die Vorstellung einer solchen Entwicklung sei der menschlichen Seite Jesu Christi zuzuschreiben. So sei sich Jesu "human mind" vor der Versuchung in der Wüste des göttlichen Plans noch nicht bewusst gewesen (33), aber die dritte Person der Trinität habe diese menschliche Seite Jesu befähigt und geleitet (34). Anfangs habe Jesus keine ausführlichen Gleichnisse gesprochen, erst ab Mk 4, was einer persönlichen Entwicklung entspreche (56).

Abgesehen von den genannten dogmatischen und hermeneutischen Vorgaben entwickelt C. die inhaltliche Seite der Gleichnisbotschaft Jesu wie folgt: Sie lese sich in erster Linie als Absage an eine Vorstellung von "right handed power" (27, unter Rekurs auf die Versuchungsgeschichte) und als Plädoyer für ein Verständnis von Gottesherrschaft und ihrer Durchsetzung im Sinne von "left handed power". Das meint nach C. den Verzicht auf offene Machtdemonstrationen zu Gunsten von sich subtil und gewaltfrei durchsetzender Macht. Aussagen wie Mk 16,19 (deren textkritische Problematik übergangen wird) seien entsprechend so zu deuten, dass Jesus seine ewige "intention to act out of the right hemisphere of God's brain" klarstelle (36). Die ethische Konsequenz dieses Plädoyers sei das Nichtstun, der Verzicht auf Aktivität im Sinne von Werkgerechtigkeit oder im Sinne von Kampf gegen das Böse (so zu Mt 13,24-30, 83 ff.).

Die basileia Gottes ist nach C. vor allem eine paradoxe Herrschaft, die sich menschlichen Vorstellungen ständig widersetzt. Nach Mk 4,10 ff. sei die Gottesherrschaft selbst für die Jünger ein unverständliches Geheimnis (60). Wichtig sind C. der Charakter des Gottesreiches als "mystery" und seine Eigenschaft der "catholicity" (zuerst 64). Nur die Zeichen der Gottesherrschaft seien sichtbar: das Volk Israel, die menschliche Gestalt Jesu Christi und die heilige katholische Kirche (107). Der in den Gleichnissen zu findende Gerichtsgedanke wird von C. im Sinne der Allversöhnungslehre gedeutet: Ins Gericht kommen nur die zuvor auferstandenen und mit Jesus Christus versöhnten Menschen. Verurteilt werden können nur solche, die sich dem Angebot der Versöhnung verweigern (131 f.).

Schließlich liest sich das Buch wie eine Demonstration dogmatisch vorbestimmter, allegorisierender Gleichnisauslegung. So, wenn z. B. die Pointe des Gleichnisses von der vierfachen Saat darauf hinausläuft, dass die, die am wenigsten aktiv sind (das fruchtbare Land), sprich die Heiden, am Ende der ganzen Kirchengeschichte die meisten Früchte bringen - sie scheitern nicht am Logos durch unangemessene Aktivität bzw. Leistung (70 f.). Der Acker, in welchem der Schatz verborgen liegt (Mt 13,44-46), ist Metapher für den Tod als "place in which the mystery's power lies hidden" (116). Der Entdecker des Schatzes sei die katholische Kirche, die als ihr Ziel die Sicherung des Schatzes hat (119). Die Gleichnisse vom Verlorenen in Lk 15 laufen nach C. auf die Erkenntnis hinaus, dass in Tod und Verlorenheit der Schlüssel der Erlösung liegt (185 ff.204). Entsprechend sei das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) als Aufforderung zur imitatio Christi zu lesen - sprich dazu, das Leben eines Outcast und eines Verlorenen auf sich zu nehmen. Der Verwundete verweist dabei auf den Gekreuzigten (212 ff.). Der König im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23-35) weist auf Jesus Christus und seine Bereitschaft, sein Leben für die Menschen aufzugeben (198).

Das Buch kann denen empfohlen werden, die, des Englischen mächtig, jenseits historisch-kritischer Exegese und Erkenntnisse die Glaubensimplikationen der Gleichnisse Jesu auf eine spielerische, kreative Art und Weise und aus dem Blickwinkel zeitgenössischer US-amerikanischer Theologie für sich neu entdecken wollen.