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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

732–735

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zenger, Erich, u. a.

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Alte Testament.

Verlag:

2. erg. Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996 (1. Aufl. 1995). 447 S. gr. 8 = Kohlhammer Studienbücher Theologie 1,1. Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-014433-2.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Die vorliegende hauptsächlich von Erich Zenger verfaßte1 "Einleitung in das Alte Testament", die im Herbst 1995 veröffentlicht wurde und 1996 bereits in 2. ergänzter Auflage erschienen ist, will in der Einleitungswissenschaft neue Akzente setzen. Vor allem geht es ihr darum, in stärkerer Weise als dies bei den traditionellen Einleitungen in das Alte Testament der Fall war, die "kanonische Endgestalt" des alttestamentichen Textes zu berücksichtigen. Die Einleitung müsse im Auge behalten, daß "nicht die Priesterschrift oder die deuterojesajanische Redaktion, sondern die Tora und das Buch Jesaja ... kanonisiert worden" (9) sind.

Die Berücksichtigung der kanonischen Gestalt des Alten Testaments zeigt sich schon am Aufbau des Werkes, das sich nicht an der angenommenen Entstehungszeit der alttestamentlichen Schriften orientiert, sondern die Abfolge der Bücher im christlichen Kanon zugrundelegt, wobei auch die vom Konzil von Trient 1546 für kanonisch erklärten sog. "deuterokanonischen" Bücher (Tobit, Judit, 1-2 Makkabäer, Weisheit Salomos, Jesus Sirach, Baruch u. a.) einbezogen werden.

Angesichts der Feststellung auf S. 28 der Einleitung, daß "das Urchristentum ... keinen anderen alttestamentlichen Kanon besessen hat als das Judentum, aus dem es hervorging", bleibt dem Leser allerdings unklar, weshalb für den Aufbau des Lehrbuches nicht - wie beispielsweise in dem Einleitungswerk von Rudolf Smend (Die Entstehung des Alten Testaments, 1. Aufl. 1978, 4. Aufl. 1989) - die Reihenfolge der Biblia Hebraica übernommen wurde. Für die jetzt zugrundegelegte Reihenfolge der alttestamentlichen Bücher, die sich u. a. an der deutschen Einheitsübersetzung orientiert, lassen sich kaum alte Traditionen finden, so daß man vorsichtig sein muß, diese Folge der biblischen Bücher für ein kanonisches Verständnis des christlichen Alten Testaments auszuwerten.

Die Orientierung an der kanonischen Gestalt des Alten Testaments zeigt sich vor allem an dem Bemühen der Einleitung, neben der diachronen Fragestellung nach der Entstehung der alttestamentlichen Schriften auch der synchronen Fragestellung nach ihrer Endgestalt gerecht zu werden. Die Darstellung der Einleitungsfragen der einzelnen alttestamentlichen Schriften folgt daher "in der Regel dem Schema: 1. Aufbau des biblischen Buchs (synchrone Lektüre); 2. Entstehung (diachrone Lektüre); 3. Zeit- und theologiegeschichtlicher Kontext; 4. Schwerpunkte der Theologie; 5. Relevanz für (das Judentum und) Christentum heute" (9).

Positiv zu beurteilen ist, daß die Vff. trotz der stärkeren Berücksichtigung der Endgestalt der alttestamentlichen Schriften im allgemeinen die Frage ihrer Entstehung und des Zeitbezuges ihrer literarischen Schichten nicht vernachlässigen. Allerdings vermißt man an einer Reihe von Stellen doch zentrale Informationen der traditionellen Einleitungen. So wird beispielsweise bei der Behandlung des Jesajabuches der Auffassung, daß der Grundbestand von Jes 40-55* auf eine eigenständige Prophetie zurückgehe, nur wenig Beachtung geschenkt: Die spezifische Theologie von Jes 40-55 und die für "Deuterojesaja" typischen "Redegattungen" werden daher kaum thematisiert. Überhaupt kommt die gattungsgeschichtliche Fragestellung - sieht man einmal von der Darstellung der literarischen Formen der Weisheit auf 227-229 ab - in dem vorliegenden Werk zu kurz. Bei den Psalmen fehlte in der 1. Aufl. eine Darstellung der Psalmengattungen (in der 2. Aufl. findet sich jetzt dazu nur ein kurzer 13zeiliger Einschub auf 251). Entsprechendes gilt für die Gattungen der erzählenden, rechtlichen und prophetischen Überlieferung.

Mit der stärkeren Orientierung an der Endgestalt der alttestamentlichen Schriften verbindet sich bei den Vff. der Einleitung die "Hoffnung, daß das in den letzten Jahren stiller gewordene Gespräch zwischen der Exegese und den anderen theologischen Disziplinen wieder intensiver werden könnte" (9 f.). Zu Recht sieht die vorliegende Einleitung ihre Aufgabe darin, die historische Verortung und den historischen Sinn der alttestamentlichen Texte so darzustellen, daß ihre Gegenwartsbedeutung deutlicher wird. Sie beschränkt sich daher nicht auf die Darstellung der Struktur und der Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Bücher, sondern referiert jeweils auch die Schwerpunkte ihrer Theologie und ihrer Relevanz für die Gegenwart. Für künftige Auflagen des Werkes ist allerdings anzuregen, daß im Sinne der genannten Zielsetzung der theologische Ertrag der historisch-kritischen Untersuchung der alttestamentlichen Texte noch detaillierter entfaltet wird. Auch hier sollte der theologische Ertrag der traditionellen diachronen Forschung - vor allem auch der Gattungsforschung - (vgl. hierzu vor allem die detaillierte Darstellung des theologischen Ertrags bei W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, 1. Aufl. 1979; 5. Aufl. 1995) in gleicher Gewichtung wie der der neueren synchronen Fragestellungen Berücksichtigung finden.

Für ein Lehrbuch, das den Ertrag der historisch-kritischen Erforschung der alttestamentlichen Schriften zusammenfassend darstellen will, wirkt sich die von (noch nicht ausdiskutierten) Kontroversen bestimmte Forschungssituation der gegenwärtigen alttestamentlichen Wissenschaft ungünstig aus. Dem Vf. einer Einleitung in das Alte Testament bleibt in dieser Situation nur die Möglichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen und sich für jeweils eine der umstrittenen Positionen des Alten Testaments zu entscheiden. Dabei wird es allerdings darauf ankommen, daß in der Wiedergabe der eigenen Lösungsvorschläge die Beobachtungen der bisherigen exegetischen Forschung hinreichend zum Zuge kommen, wie dies Otto Kaiser in seinen Einleitungswerken (Einleitung in das Alte Testament, 1. Aufl. 1969; 5. Aufl. 1984; Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Bd. 1-3, 1992-1994) vorbildlich vorgeführt hat. Als neue Forschungsparadigmen, an denen sich die vorliegende Einleitung orientiert, nennt Z. vor allem folgende: die Infragestellung der klassischen Quellenhypothese für die Entstehung des Pentateuch, die damit zusammenhängende neue Sicht der sozial- und religionsgeschichtlichen Anfänge Israels mit einer differenzierteren Sicht der Entstehung des alttestamentlichen Monotheismus und schließlich die "stärkere Berücksichtigung der jüdischen Dimensionen des Christentums" (9).

Wie sich diese Vorentscheidungen auswirken, soll im folgenden kurz anhand der Darstellung der Pentateuchprobleme in der vorliegenden Einleitung behandelt werden. Z. (vgl. vor allem 73-75) rechnet mit drei dem Pentateuch zugrundeliegenden Quellen: An den traditionellen Konsens knüpft er dabei zunächst mit der Annahme einer priesterschriftlichen Quelle an, die seiner Meinung nach um 520 v. Chr. im babylonischen Exil entstand (PG, die wahrscheinlich in Lev 9,24 endete) und sich als "utopische Vision" von der "Verwandlung der Welt als Raum konkret erfahrbarer Gottesnähe" (103) im israelitischen Kult verstand. Nachdem dieses Werk von Rückkehrern aus dem Exil nach Jerusalem gebracht worden war, ist es dort durch umfangreiche Ergänzungen (Ps, wozu u. a. auch das Heiligkeitsgesetz Lev 17-26 gehört) zu "einer hierokratischen Verfassung iuris divini" umgewandelt worden (103). Als weitere Quelle sieht Z. - wieder in Anknüpfung an die traditionelle Pentateuchkritik - das deuteronomische Gesetz an, das um 700 in der Zeit des Königs Hiskia entstanden ist und um 622 unter Josia erweitert und schließlich in der Exilszeit in ein von Dtn 1-2Kön 25 reichendes Deuteronomistisches Geschichtswerk integriert wurde. Als dritte Quelle rechnet Z. - und hier beschreitet Z. noch weitgehend ungebahnte Wege - mit einem um 690 in der Zeit des judäischen Königs Manasse entstandenen Jerusalemer Geschichtswerk, das später in der Exilszeit zum sog. "Exilischen Geschichtswerk" erweitert wurde (u. a. durch Hinzufügung des Bundesbuches Ex 20,22-23,33, aber auch der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte Gen 2,4b-11,10*).

Während die Darstellung der Theologie der priesterlichen Schicht und des Deuteronomiums an die Exegese der bisherigen Forschung anknüpfen kann, besteht bei der Annahme eines "Jerusalemer Geschichtswerks" das Problem, daß wichtige theologische Beobachtungen, die im Zusammenhang der bisherigen Forschung zu den nichtpriesterlichen Schichten des Pentateuch erarbeitet wurden, unberücksichtigt bleiben. Z. sieht dieses Problem und versucht es dadurch zu lösen, daß er auf 109-112 die traditionellen Auffassungen über die jahwistische und die elohistische Schicht und ihre jeweilige Theologie kurz referiert. Allerdings sind die theologischen Aussagen dieser Schichten in den von Z. vertretenen Vorstellungen über die Entstehung des nichtpriesterlichen Pentateuch kaum rezipiert. Das "spezifisch jahwistische Vertrags-Konzept" (122 f.), das Z. als zentrale theologische Aussage des nichtpriesterlichen Pentateuch (anhand von Ex 34*: "Programmentwurf einer kämpferischen JHWH-Alleinverehrung"; vgl. . 118) annimmt, kann kaum als Zusammenfassung der bisherigen theologischen Analyse der nichtpriesterlichen Schichten des Pentateuch angesehen werden. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht auch bei Aufnahme der Kritik an der traditionellen Pentateuchentstehungsmodellen es für ein Einleitungslehrbuch geboten ist, sich stärker an der traditionellen Differenzierung zwischen jahwistischen und elohistischen Schichten zu orientieren, wie dies beispielsweise Otto Kaiser getan hat.

Positiv hervorzuheben ist die sehr bewußte Gestaltung des Werkes als Lehrbuch, die seinen Gebrauch durch Studierende sehr erleichtert. Dies gilt vor allem für seine übersichtliche Gliederung, für die zahlreichen Aufbauschemata, Tabellen und Graphiken und schließlich auch für die Anhänge (u. a. Landkarten und Überblicke zur Geschichte Israels).

Insgesamt liegt mit dem vorliegenden Werk eine Einleitung in das Alte Testament vor, die mit der stärkeren Ausrichtung an der synchronen Untersuchung der biblischen Schriften sowohl für das Studium des Alten Testaments als auch für die Forschung wichtige neue Impulse vermittelt und damit eine Lücke in den Lehrbüchern des Alten Testaments schließt.

Fussnoten:

1 Unterstützt wurde Erich Zenger von einer Mitautorin und neun Mitautoren: Silvia Schroer (Weisheit Salomos), Georg Braulik (Deuteronomium und die Theorien über das Deuteronomistische Geschichtswerk), Herbert Niehr (Josua, Richter, Samuel, Könige, Daniel), Georg Steins (Chronik, Esra, Nehemia), Helmut Engel (Tobit, Judit, Makkabäer), Ludger Schwienhorst-Schönberger (Ijob, Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied), Johannes Marböck (Jesus Sirach), Hans-Winfried Jüngling (Jesaja), Ivo Meyer (Jeremia, Klagelieder, Baruch) und Frank-Lothar Hossfeld (Ezechiel).