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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

166–168

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Badiou, Alain

Titel/Untertitel:

Paulus. Die Begründung des Universalismus. Aus d. Franz. übers. v. H. Jatho

Verlag:

München: sequenzia 2002. 204 S. 8. Kart. Euro 19,00. ISBN 3-936488-00-2.

Rezensent:

Christian Noack

Anzuzeigen ist ein Paulusbuch aus der Werkstatt des in Paris lehrenden französischen Philosophen Alain Badiou (*1937), das 1997 in Frankreich erschien (Saint Paul. La fondation de l'universalisme) und nun von Heinz Jatho ins Deutsche übersetzt wurde. B. versucht darin, zentrale Strukturen seiner eigenen politischen Philosophie in Anverwandlung an paulinische Theologie und Praxis zu entwickeln, d. h. er möchte eine Theorie des Subjekts begründen, die Subjektivität als Folge eines zufälligen Ereignisses bestimmt, ohne das Wahrheitsmotiv dabei zu opfern. Wahrheit wird daher von B. als universale Singularität bestimmt, also als ein ereignishaftes Phänomen, das nicht im sozial Vorgegebenen verankert ist, sondern als Bekenntnis eine durch das Ereignis ausgelöste Überzeugung ausdrückt. Genau diese Form des Wahrheitsbegriffs meint B. schon bei Paulus nachweisen zu können.

B. beginnt seine eigentliche Paulusinterpretation, die sich vor allem auf zwei Paulusstudien (G. Bornkamm, Paulus, 1974; S. Breton, Saint Paul, 1988) stützt, mit einer Schilderung der Berufung des Paulus und seinen nachfolgenden kirchenpolitischen Aktivitäten (33-59). Die Briefe werden als kämpferische und von taktischen Erwägungen beeinflusste "Interventionen" gelesen.

Das Zentrum des Buches bildet die "Theorie der Diskurse" (77-103). Der Vf. unterscheidet - ausgehend von 1Kor 1,17 ff.- zwischen einem "griechischen" Diskurs der Weisheit, einem "jüdischen" Diskurs des Zeichens und einem "christlichen" Diskurs des Ereignisses. Der "griechische" Diskurs sei kosmisch orientiert; Weisheit sei die Einsicht in die Natur als geordnete Entfaltung des Seins und damit Anpassung an die kosmische Ordnung. Im "jüdischen" Diskurs sei der Schlüssel zum Heil die Entzifferung der göttlichen Zeichen, zu denen auch die Tora gehöre. Die universale Heilslogik bei Paulus hingegen entziehe sich diesen beiden mit vorgegebenen Ordnungen operierenden Diskursen, sie sei vielmehr durch das "Ereignis" der Auferstehung bestimmt: B. charakterisiert es mit Adjektiven wie "akosmisch", "illegal" oder "neu". Paulus sei folglich weder bezeugender Prophet noch erinnernder Philosoph; vielmehr sei er Apostel, der die universalen Möglichkeiten benennt, die das kontingente Ereignis der Auferstehung - für B. reine Fiktion - eröffnet hat.

Subjekte, die am Ereignis gnadenhaft teilhaben, gewinnen eine Subjektivität, die in ein "nicht ... sondern" geteilt ist: "Unsere These ist in der Tat die, dass ein ereignishafter Bruch sein Subjekt immer in der geteilten Form eines Nicht ... sondern konstituiert und dass genau diese Form der Träger des Universalen ist" (120). Entscheidend sei dabei, dass nur die fortdauernde Teilung des Subjekts die Universalität garantiert (121).

Dem Gesetz (141-159) wird eine partikularisierende Funktion zugeschrieben. Es sei in seiner eingrenzenden Struktur zum universalen "für alle" ungeeignet. Mit einer Logik des Rechts und der Pflicht habe es "kontrollierenden" Charakter, während sich die Gnade sowohl der Kontrolle als auch der begrenzten Zahl entziehe und mit ihrem grundlosen Wesen genau deshalb an alle gerichtet sei. Die Liebe sei folgerichtig das "transliterale" Gesetz des Geistes; sie stehe für die Garantie, dass "die Universalität, die der Wahrheit nach dem Ereignis eignet, sich beständig in die Welt einschreibt und die Subjekte auf den Weg des Lebens verpflichtet" (166).

Wie nun kann sich die universale Wahrheit in einer Welt der Partikularitäten entfalten? Bei Paulus vollzieht sich die Außerkraftsetzung der Differenzen und Gebräuche nach Ansicht des Vf.s "in ihnen und durch sie hindurch" (182). Paulus zeige eine "tolerante Indifferenz gegenüber den Differenzen" (184), die in der Fähigkeit bestehe, die Differenzen selbst frei von Kasuistik zu praktizieren. Wahrheit erschließe sich gerade im Durchqueren der Differenzen: "Ob Mann oder Frau, Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, worauf es ankommt, ist, dass die Differenzen das Universale, das ihnen geschieht, wie eine Gnade tragen. Und umgekehrt bewahrt das Universale selbst seine Realität nur, indem es in den Differenzen die Fähigkeit erkennt, zu tragen, was ihnen an Universalem geschieht" (196).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass B. bei Paulus Sinnstrukturen, die seinen eigenen philosophischen Anliegen entsprechen, mit einer für Fachexegeten ungewohnten, aber gerade damit anregenden Begrifflichkeit herausarbeitet. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Vorgehen "subjektiv" ist - B. bekennt sich explizit zu dieser Vorgehensweise -, erinnern seine dichten Ausführungen daran, dass sich in den Paulusbriefen innovative Sinnbildungen nachweisen lassen, die auch dem philosophischen Wahrheitsdiskurs Impulse geben können (zu einem ernst zu nehmenden Gesprächspartner wurde Paulus in letzter Zeit auch bei J. Taubes und S. Zizek, zwei anderen politischen Philosophen). B. hält so die Frage nach dem "philosophischen" und damit auch nach dem "politischen" Paulus offen, und das nicht nur als eine theologische, sondern auch als historische Problemstellung.