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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

148–150

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Magness, Jodi

Titel/Untertitel:

The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2002. XLVI, 238 S. m. 66 Abb. gr.8 = Studies in the Dead Sea Scrolls and Related Literature. Lw. US$ 26,00. ISBN 0-8028-4589-4.

Rezensent:

Gabriele Faßbeck

Jodi Magness' Band stellt die erste monographische Behandlung der Archäologie Qumrans dar, seit im Jahre 1961 die Schweich Lectures des Ausgräbers Roland de Vaux publiziert wurden. Auf Grund dieser Tatsache kommt ihrem Buch im Rahmen der Qumranforschung ein hoher Stellenwert zu. Dies gilt, obwohl das Werk nicht streng wissenschaftlich, sondern auf den interessierten Nichtfachmann ausgerichtet ist. M., Professorin am Department of Religious Studies der University of North Carolina at Chapel Hill, ist im letzten Jahrzehnt vielfach durch Publikationen zu Qumran und durch ihre ausgezeichnete Materialkenntnis hervorgetreten. M.s Buch zeugt zugleich von der neuen Rolle, die archäologische Aspekte in der immer noch erregten wissenschaftlichen Diskussion um die Identifikation der Ruinenstätte Chirbet Qumran spielen.

M. unterteilt ihre Darstellung zur Archäologie Qumrans in zehn Kapitel, die im Stile eines Studienbuches jeweils mit ausführlich kommentierten Literaturhinweisen enden. Dem Band sind 66 Abbildungen beigegeben (leider oft von unerklärlich schlechter Qualität) sowie vier Indices. Die zehn Kapitel bieten zunächst eine kurze Einführung in arbeitstechnische Grundlagen der Palästinaarchäologie sowie die Kontroverse um Qumran (Kap. 1). Dem folgt eine kurze Forschungsgeschichte zu Chirbet Qumran und den Schriftrollenfunden (Kap. 2). Kap. 3 erstellt den Verständnisrahmen für die archäologische Analyse und zeigt, dass M. sich der auf de Vaux zurückgehenden Identifikation Qumrans als des religiösen Gemeinschaftszentrums der Essener grundsätzlich verpflichtet weiß. Nachdem die Autorin in Kap. 4 ihre von de Vaux leicht abweichende Chronologie für Chirbet Qumran vorgestellt hat (Beginn der Siedlung ca. 100 v. Chr., keine Siedlungslücke nach dem Erdbeben von 31 v. Chr), wendet sie sich in den Kapiteln 5-9 Einzelaspekten der Qumranarchäologie zu. Besonderen Stellenwert genießen darunter die Keramikfunde (insbesondere die zylindrischen Vorratsgefäße, die als "scroll jars" bekannt geworden sind), eine als Toilette interpretierte Anlage, die rätselhaften Funde von Töpfen mit Tierknochen, das Wassersystem und der Friedhof. Kap. 10 beschließt das Werk mit einem Exkurs zu den Qumran im Süden benachbarten Ortslagen En Feschcha und En el-Ghuweir.

Ihrem bereits auf S. 13 geäußerten Grundsatz treu, zieht M. für ihr Verständnis der jeweiligen archäologischen Befunde stets das Zeugnis der Schriftrollen heran, so dass in ihrer Besprechung Fundbeschreibung und Textinterpretation abwechseln. Hierin liegt zugleich der nach Ansicht der Rezn. schwerwiegendste Mangel des Buches. Obwohl M. dank ihrer archäologischen Kompetenz viele über de Vaux hinausgehende und oft den Ausgräber korrigierende Beobachtungen beizutragen vermag, lässt sie sich von einem auf Basis der Textinterpretation (Schriftrollen und antike Zeugnisse über die Essener) entworfenen Bild von der Qumran-Essenersekte ihre Perspektive auf das archäologische Material vorgeben. Genau das war bereits bei de Vaux der Fall, und auf den Ausgräber und die archäologische Diskussion der Anlage seither trifft unzweifelhaft das pessimistische Bonmot eines der Großen der Palästinaarchäologie zu: "The old saying that a man finds what he is looking for in a subject is too true: or if he has not enough insight to ensure finding what he looks for, it is at least sadly true that he does not find anything he does not look for" (Flinders M. Petrie, zitiert nach I. Hodder, The Archaeological Process: An Introduction, 1999, 22). Dabei steht hier gar nicht zur Debatte, ob de Vaux' bzw. M.s Verständnis der Anlage als zutreffend zu beurteilen ist oder nicht. Es geht im Gegenteil um eine wichtige methodische Grundentscheidung. M. läuft mit ihrem Vorgehen Gefahr, diejenigen Daten des archäologischen Befundes zu vernachlässigen, die sich ihrem vorgängigen Gesamtverständnis sperren. Diese m. E. unnötige Selbstbescheidung der Archäologin nützt letztlich niemandem, auch nicht den Textforschern, die die kritische Stimme der Archäologie vermissen müssen. Für den Leser bedeutet dies praktisch, dass er an keiner Stelle des Buches einen rein deskriptiven Gesamtüberblick über den archäologischen Befund unter Einschluss der Kleinfunde erhält, soweit zum heutigen Zeitpunkt überhaupt noch rekonstruierbar (M. spricht das Problem des lückenhaften Publikationsstandes und des mangelhaften Erhaltungszustandes des Fundmaterials mit Recht mehrfach an). Dem Leser wird die archäologische Situation nur in ihrer bereits auf eine bestimmte Weise interpretierten Form zugänglich.

Dem geschilderten Hauptmangel des Buches sind viele Detailprobleme verwandt, von denen im Folgenden nur drei kurz benannt werden sollen: 1. Die zylindrischen Vorratsgefäße ("scroll jars"): Wie ist es zu verstehen, dass diese Gefäße erst in herodianischer Zeit aufkommen (und zwar zeitgleich mit ihren Gegenstücken in Jericho), wenn das halakhische Problem, das sie vorgeblich lösen, die Sekte bereits seit Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (mutmaßliches Abfassungsdatum für 4QMMT) verfolgt? Dauerte es so lange, bis die Qumran-Essener die besondere Eignung dieser speziellen Pithoi für ihre Reinheitsbelange entdeckten? Und wie ist dann die genaue zeitliche Parallele mit Jericho zu erklären? Ist es nicht doch einfacher, stattdessen schlicht mit einer lokalen Variante von Vorratskrügen zu rechnen? Warum diskutiert M. in diesem Zusammenhang nicht die zahlreichen Steingefäßfragmente, die sich in Qumran fanden? 2. Die Tierknochenfunde: M.s Verständnis der in Qumran in Töpfen beerdigten Tierknochen als unrein (127) und die u. a. darauf basierenden weit reichenden Hypothesen zum "sacred space at Qumran" basieren auf einer ungenauen Lektüre von 11QT 51:4 und 4QMMT B 21-22, wo jeweils von den Knochen unreiner Tiere die Rede ist, die ebenfalls als unrein betrachtet werden. Als Archäologin muss M. zudem beachten, dass der zooarchäologische Kontext für das Verständnis der Topffunde verloren ist, denn de Vaux hat mit Ausnahme der Knochen in den Töpfen keine Tierknochen dokumentiert. 3. Der Friedhof: Obwohl M. die neuesten Analysen der Skelettreste für ihre Darstellung berücksichtigt, geht sie irre in der Annahme, dass de Vaux' willkürliche Auswahl von Gräbern für die archäologische Untersuchung ein Garant für statistische Repräsentativität der Ergebnisse wäre. Sie verwechselt hier das Ausgraben von "random graves" (172) mit dem statistischen Begriff von "randomness" und der in der Statistik durchaus legitimen Methode des "random sampling" (D. H. Thomas, Refiguring Anthropology, 1986, 125 ff.).

Unglücklicherweise leidet M.s Buch zudem unter hastiger Redaktionsarbeit. M.s zahlreiche bereits veröffentlichte Vorarbeiten haben mitunter wörtlichen Eingang in ihr Buch gefunden und sind dabei oft nur flüchtig redaktionell verklammert worden (vgl. nur ihr Fazit auf S. 89, das die vorangehende Analyse der Keramik erstaunlich ungenau zusammenfasst, dagegen fast wörtlich einem Aufsatz von 1994 entlehnt ist). Dennoch ist das Werk unbestritten einer kritischen Lektüre würdig, und jeder Leser wird, ebenso wie die Rezn., die Auseinandersetzung damit als anregend und lehrreich empfinden.