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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

731 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Veijola, Timo [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen.

Verlag:

Helsinki: Finnische Exegetische Gesellschaft; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. VI, 296 S. gr.8 = Schriften der Finnischen Exegetischen Gesellschaft, 62.

Rezensent:

Konstantin Zobel

Die zehn Beiträge des Sammelbandes, die auf einem Deuteronomium-Symposium im Oktober 1995 in Finnland als Referate gehalten wurden, richten ihr hauptsächliches Augenmerk auf die dtn Gesetze, was zum einen der internationalen Forschungslage und zum anderen der Tatsache zu verdanken ist, daß das Symposium als Tagung der "Projektgruppe für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte" veranstaltet wurde (Vorwort). Der Horizont der Fragestellungen ist beachtlich; neben textgeschichtlichen Überlegungen werden ausgehend von den Kap. 12-26 Beobachtungen zur literarischen Gestalt des Buches, zu redaktions- und traditionsgeschichtlichen Phänomenen innerhalb und außerhalb des AT sowie zur Methodik insgesamt vorgetragen. Im folgenden werden die Beiträge in der gebotenen Kürze dargestellt.

Im ersten Aufsatz (Anneli Aejmelaeus, Die Septuaginta des Deuteronomiums; 1-22) vergleicht die Vfn. ausführlich ausgewählte sprachliche Konstruktionen der griechischen Übersetzung mit dem hebräischen Text und plädiert dafür, "den Übersetzer als ein Individuum, mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Interessen und Neigungen, kennenzulernen, und die verschiedenen Faktoren der Textgeschichte vielseitig zu berücksichtigen" (22). Der Übersetzer arbeitete wie ein Schriftgelehrter und übersetzte dunkle Stellen mit Hilfe von Parallelen.

Georg Braulik (Weitere Beobachtungen zur Beziehung zwischen dem Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium 19-25; 23-55) behandelt, Vorarbeiten weiterführend, drei Gesetzesparallelen (Lev 20,10 - Dtn 22,22; Lev 20,11 - Dtn 23,1; Lev 25,35-38 - Dtn 23,20-21). Seine These (23) lautet, "daß die meisten Gesetze in Dtn 19-25 aufgrund eines juristischen Bedarfs bei der Neuordnung des sozial-gesellschaftlichen Lebens in frühnachexilischer Zeit in das deuteronomische Gesetzeskorpus gekommen sind. Dabei wurden sie entsprechend der Abfolge des 5. bis 10. Dekalogsgebots ... systematisiert." Dieser sog. dekalogischen Redaktion lag Lev 19 bereits vor, so daß sie die Gesetze im Dtn nach ihren Systematisierungsprinzipien formulieren und anordnen konnte ("Novellierung des Heiligkeitsgesetzes durch Dtn 19-25", 51).

Der Beitrag von Jan Christian Gertz (56-80) über Die Passa-Massot-Ordnung im deuteronomischen Festkalender Dtn 16,1-8 kommt zu dem Ergebnis, daß der Festkalender eine genuine Prägung des "dt Gesetzgebers" ist - und stimmt hier mit dem nachstehenden Aufsatz überein -, der die traditionellen Pascha- und Mazzotbestimmungen übernahm und umprägte. Die Vereinigung beider Feste, durch die die aus Exodus bekannte Dreizahl der Wallfahrtsfeste wieder erreicht wurde (jetzt: Pascha/Mazzot, Wochenfest und Laubhütten), scheint durch sein "charakteristisches Bemühen veranlaßt worden ..., praktikable Lösungen in der Umsetzung der Zentralisationsidee zu finden" (68).

Siegfried Kreuzer geht in seiner Untersuchung Die Exodustradition im Deuteronomium (81-106) von der Beobachtung aus, daß diese Tradition in der bisherigen Forschung eine eher marginale Rolle gespielt hat. Die Analyse der Belege führt zu dem Ergebnis (101): "... die Exodustradition kam mit dem Passah-Mazzotfest in das Deuteronomium. Der Exodusbezug der beiden Feste wurde dabei verstärkt und konkretisiert." Ihre einzelnen Elemente konnten "zur Begründung bzw. Historisierung in kultische und ethische Weisungen eingefügt" werden (ebd.), was zu einer Theologisierung des deuteronomischen Rechts beitrug (vgl. ebd.).

Über den ,Color Hieremianus’ des Deuteronomiums handelt Christoph Levin (107-126), und er beantwortet die Frage, wie die vielfach beobachtete Affinität zwischen dem Jer-Buch und dem Rahmen des Dtn zu erklären sei, dahingehend, daß sich Jeremia und das Deuteronomium gegenseitig beeinflußt haben. So entstand nach dem Exil die Bundestheologie "als der Versuch einer bewußten Wiederherstellung des Verhältnisses zwischen Jahwe und seinem Volk" (124) in unmittelbarem Rückgriff auf Jer 7,23 und der Dekalog als direkter Niederschlag der prophetischen Scheltrede.

Norbert Lohfink (Fortschreibung? Zur Technik von Rechtsrevisionen im deuteronomischen Bereich, erörtert an Deuteronomium 12, Ex 21,2-11 und Dtn 15,12-18; 127-171) reflektiert kritisch die vielen neueren Analysen zum dtn Recht zugrunde liegenden und seit langem umstrittenen methodologischen Voraussetzungen, unter denen sich das sog. Fortschreibungsmodell großer Beliebtheit erfreut. Am Beispiel von Dtn 12 und 15,12 ff. wird gezeigt, daß im dtn Recht eine "vorlageverwischende" "tiefgreifende Neuformulierung", eine Rechtsrevision, zu erkennen ist (145), weshalb der Vf. für den "Vergleich paralleler Texte aus dem Deuteronomium und seinen noch erhaltenen Vorlagen" plädiert (148).



Martti Nissinen (172-195) vergleicht das Thema Falsche Prophetie in neuassyrischer und deuteronomistischer Darstellung anhand von Dtn 13,2-6; 18,15-22 und zwei neuassyrischen Texten (SAA 2 6 und ABL 1217+). Obwohl es im AT keinen "Mangel an Kriterien" zur Unterscheidung im speziellen Fall gab, kam es jedoch nicht zur Ausprägung einer "handfeste[n] Kriteriologie" (174), weshalb der Inhalt der Prophezeiung das Kriterium schlechthin wurde. Verstieß eine Prophezeiung gegen das Hauptgebot des Dtn bzw. gegen die neuassyrische Königsideologie, war damit zugleich auch das Urteil Pseudoprophetie gesprochen.

Eckart Otto (Deuteronomium 4: Die Pentateuchredaktion im Deuteronomiumsrahmen; 196-222) geht von der Beobachtung aus, daß Dtn 4, 5 und 29-30 aufeinander zu beziehen sind. Dabei wird Kap. 5 (Horebbund) durch Kap. 29 (Moabbund) korrigiert, anschließend beide Kapitel durch Kap. 4. "Die Fortschreibung in Dtn 5 und die Moabbundtheorie in Dtn 29-30 reagieren auf die zunehmende Aufwertung des Sinai im Tetrateuch ... Mit Dtn 4,1-40 kehrt sich diese gegen die Priesterschrift gerichtete Bewegung innerhalb des Deuteronomiumrahmens um zugunsten einer erneuten Aufwertung der Horeboffenbarung und einer damit verbundenen ... Abwertung des deuteronomischen Gesetzes, das nicht mehr als vermittelte Offenbarung, sondern die Horeboffenbarung auslegende mosaische Gesetzeslehre interpretiert wird" (221).

Udo Rüterswörden untersucht Das Böse in der deuteronomischen Schultheologie (223-241) ausgehend von den sieben sog. bicarta-Gesetzen. Nach der Analyse von Dtn 13 kommt der Vf. zu dem Ergebnis: ,Böse’ meint "eine Qualität von Handlungen, die innerhalb der Gesellschaft ihren Ort haben". Mit den Gesetzen wird "die Gesellschaft ... in die Lage versetzt, solchem Handeln entgegenzuwirken" (229). Traditionsgeschichtlich gehen diese Gesetze auf das BB zurück; die (Dis-)Qualifizierung einer Handlung als ,böse’ ist jedoch Übernahme prophetischer Terminologie und Theologie des 8. Jh.s. Die Nachwirkung läßt sich im DtrG erkennen, wo das ,Böse’ der Bruch der berît ist.

Der letzte Beitrag stammt von Timo Veijola (Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium; 242-276) und faßt eingangs den Ertrag von drei publizierten Aufsätzen des Vf.s zum Thema zusammen. Anschließend wird anhand von Dtn 7 und 15,1-11 die These einer bundestheologischen dtr Bearbeitung (DtrB) erprobt und als Ergebnis festgehalten, daß sie ein "relativ spätes Stadium in der Redaktionsgeschichte des Dtn vertritt", im Rahmen und im Corpus begegnet, sich "locker an dem Schema des Bundesformulars" orientiert (257) und dessen Elemente Segen und Fluch zur Grundlage einer Alternativpredigt macht. Abschließend wird die Tragfähigkeit der These an vier ihr naheliegenden Redaktionsmodellen überprüft. - Ein ausführliches Stellenregister steht auf 277-294.

Der beachtenswerte Aufsatzband verdankt seinen Reiz sicherlich der Tatsache, daß hier in eindrucksvoller Weise der gegenwärtige status quo der neueren Forschung dokumentiert wird, indem anschaulich die verschiedenen methodischen Zugänge sowie die ihnen geschuldeten Ergebnisse der letzten Jahrzehnte dargestellt werden.

Dabei wird deutlich, daß neben Thesen, die sich inzwischen eines breiten Konsenses erfreuen, auch eine stattliche Anzahl von Hypothesen existiert, deren Tragfähigkeit sich in Zukunft erweisen muß. Nolens volens ist dafür der Band selbst ein Zeugnis. Angesichts der unglaublichen Komplexität der am Dtn zu verhandelnden Fragestellungen vermag der Rez. darin jedoch keinen Mangel zu erkennen, sondern ist der Ansicht, daß die vorliegende Aufsatzsammlung deren Beantwortung ein gutes Stück voranzutreiben vermag.