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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

140–142

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ratzinger, Joseph Kardinal

Titel/Untertitel:

Glaube - Wahrheit - Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen.

Verlag:

2. Aufl. Freiburg-Basel-Wien: Herder 2003. 220 S. 8. Geb. Euro 16,90. ISBN 3-451-28110-4.

Rezensent:

Horst Bürkle

Die Erklärung Dominus Iesus, die die Kongregation für die Glaubenslehre der Katholischen Kirche im Jahre 2000 veröffentlichte, wollte Orientierungshilfe geben angesichts einer zeitgeistlichen Desorientierung, in der die Profile des christlichen Glaubens zu verschwimmen drohen.

Befördert durch ein unverbindliches Meinungsangebot pluraler Optionen für gleich gültige Anschauungen haben sich in der Theologie zunehmend Wegbereiter einer "pluralistischen" Theorie der Religionen gefunden. Die Forderung nach gleicherweise Gültigem erscheint dabei wie eine Konzession an die inzwischen auch von der Meinungsforschung statistisch erhobene vorherrschende Haltung der Gleichgültigkeit in Sachen Religion und Glaube. Eine "immer enger zusammenrückende Welt mit ihren Religionen und Kulturen", wie das Zweite Vatikanische Konzil (Nostra aetate, 1) die veränderte Geisteslage beschrieb, hat nicht nur eine profiliertere Kenntnisnahme unter ihnen befördert, sondern auch einen allgemeinen Relativismus in Bezug auf beide nach sich gezogen.

Der jetzt erschienene neue Band Joseph Kardinal Ratzingers, des langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation, nimmt diese Entwicklung zum Anlass, um in drei Kapiteln diese Zusammenhänge zu untersuchen und in religions- und kulturwissenschaftlichen Analysen theologisch fundierte Antworten zu geben.

"Einheit und Vielfalt der Religionen. Der Ort des christlichen Glaubens in der Religionsgeschichte" nimmt ein Thema auf, dass der Vf. Karl Rahner anlässlich seines 60. Geburtstages als Beitrag zu dessen Festschrift gewidmet hatte. In Bezug auf die Rahnersche Formulierung vom anonymen Christentum, das sich im Blick auf Heilendes und Geheiligtes in jedem Menschen findet, wird verdeutlicht, dass sich das Christentum seinem eigenen Selbstverständnis gemäß in einem bejahenden und verneinenden Verhältnis zugleich zu den Religionen sieht. Es "nimmt in seiner Theologie der Religionsgeschichte nicht einfach Partei für den Religiösen, für den Konservativen, der sich an die Spielregeln seiner ererbten Institutionen hält; das christliche Nein zu den Göttern bedeutet eher eine Option für den Rebellen, der den Ausbruch aus dem Gewohnten um des Gewissens willen wagt: Vielleicht ist dieser revolutionäre Zug des Christentums allzu lang unter konservativen Leitbildern verdeckt worden" (19).

Mit dem unverstellten Blick auf die Phänomene kommt für den Theologen die Pluralität der Religionen in den Blick. Er verbietet es, vorschnell das Postulat der Einheit des Religiösen, etwa in Bezug auf die Mystik, zu erheben. Auch sie unterscheidet sich spezifisch im Kontext einer jeweiligen religiösen Identität. Gleiches gilt von einem abstrakten Umgang mit dem Begriff des Monotheismus. Kardinal Ratzingers Votum richtet sich gegen eine "undifferenzierte Behandlung der Religionen, die ja keineswegs den Menschen in die gleiche Richtung führen, die aber vor allem auch in sich selbst nicht in einer Gestalt existieren" (44). Der uneingeschränkten Zustimmung des exakt arbeitenden Religionswissenschaftlers kann sich der Vf. dabei sicher sein.

Der Aufsatz "Glaube, Religion, Kultur" untersucht einen inneren Zusammenhang, der heute in einer interkulturellen Beziehungseuphorie übersehen zu werden droht. "Denn Inkulturation setzt voraus, daß ein gleichsam kulturell nackter Glaube sich in eine religiös indifferente Kultur versetzt. ... Aber diese Vorstellung ist zunächst künstlich und irreal, weil es den kulturfreien Glauben nicht gibt und weil es die religionsfreie Kultur außerhalb der modernen technischen Zivilisation nicht gibt" (53). Dagegen steht die Einsicht, dass Glaube selbst Kultur ist und Kultur schafft. Darum muss die fruchtbare Spannung ausgehalten werden, "die den Glauben erneuert und die Kultur heilt" (58). Daran scheitert jedes kulturelle und religiöse "Relativismusdogma". "Aber der christliche Glaube, der das ganz große Erbe der Religionen in sich trägt und es zugleich auf den Logos, auf die wahre Vernunft hin öffnet, könnte ihrem tiefsten Wesen neuen Bestand geben und zugleich die wahre Synthese von technischer Rationalität und Religion ermöglichen, die nicht durch die Flucht ins Irrationale, sondern durch Öffnung der Vernunft zu ihrer wahren Höhe und Weite geschehen kann" (65). Die Mission steht damit vor der Aufgabe, "die Religionen in einer viel tieferen Weise (zu) verstehen und auf(zu)nehmen als bisher geschehen". Der Universalismus der christlichen Wahrheitseröffnung erfährt hier seine aktuelle Weite im Blick auf die Weiterführung und Vollendung eines kulturbezogenen Ghettoverständnisses.

Im Anschluss an die Gebetstreffen in Assisi 1986 und 2002 werden die kritischen Fragen beantwortet, die hinsichtlich der Möglichkeit solchen multireligiösen Betens aufgeworfen wurden. Es ist ein "Zeichen in außergewöhnlicher Situation", ein "gemeinsamer Notschrei" (88). Solches miteinander Beten aber ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich: Es muss im Blick auf das Gottesverständnis jede relativistische Missdeutung ausgeschlossen sein, das gilt für Christen und für Nichtchristen. Maßstab dafür ist das Vaterunser. In diesem Sinne ist zu unterscheiden zwischen einem multireligiösen Gebet, bei dem je für sich unter verschiedenen Voraussetzungen gebetet wird, und einem interreligiösen als einem Miteinanderbeten von Personen und Gruppen verschiedener Religionszugehörigkeit.

Im zweiten Teil des Buches (93-169) sind Vorträge aufgenommen, die 1996 vor verschiedenen Bischofskonferenzen Lateinamerikas gehalten wurden. Die Krise der Theologie der Befreiung, die Relativierung in Bezug auf die Christologie, die Aufnahme asiatischer religiöser Vorstellungen in die christliche Theologie sind hier neben anderen die Schwerpunktthemen, die einer theologischen Richtigstellung unterzogen werden.

Es geht um die Bedeutung der Wahrheit im Bereich des Glaubens, um den inneren Rückzug des Christentums aus seinem ursprünglich universalen Anspruch und um die Reduktion auf die allein "Europa zugewandte Seite des Antlitzes Gottes" (in Auseinandersetzung mit E. Troeltsch und anderen) sowie um ihre bis in die heutige Theologie wahrnehmbare Wirkungsgeschichte.

Unter dem Thema "Glaube, Wahrheit und Kultur" werden in Fortsetzung der in der Enzyklika Fides et ratio entfalteten Zusammenhänge Fragen erörtert, die heute im Disput um die Wahrheit dem Universalitätsanspruch der christlichen Wahrheit entgegengehalten werden. Dazu zählt die "Kanonisierung des Relativismus" im neuzeitlichen Gewissensbegriff im Gegensatz zum paulinischen Verständnis, das den Heiden von Natur aus bezeugt, was das Gesetz Gottes fordert. Darum ist festzuhalten, dass das Heil nicht als solches schon, wie nach dem Missverständnis pluralistischer Theologien, in den Religionen als solchen liegt. Vielmehr "hängt [es] mit ihnen zusammen, sofern und soweit sie den Menschen auf das eine Gute, auf die Suche nach Gott, nach Wahrheit und Liebe bringen" (166). Die Frage nach dem Heil des Menschen beinhaltet darum einerseits immer auch die Religionskritik, so wie sie andererseits in den Religionen ihre Verknüpfung "mit der Einheit des Guten, mit der Einheit des Wahren - mit der Einheit Gottes und des Menschen" wahrzunehmen vermag.

In dieser Unterscheidung liegt die für eine Theologie der Religionen grundsätzliche Voraussetzung. Sie entspricht der seit der paulinischen Grundlegung durch ihre Auslegungsgeschichte in der Geschichte der Kirche bewahrten Sicht der Religionen. Ihre Aktualisierung in diesem Band erfolgt im Blick auf heutige theologische Herausforderungen. Dazu gehören alle diejenigen Denkansätze, die diesen inneren Bezug im Verhältnis von Natur (natürlicher Religion) und Gnade (Heilserfüllung) zu verschieben drohen. Zu ihnen zählen neben den genannten pluralistischen und den die Kulturen verabsolutierenden nachaufklärerischen Entwürfen auch die verallgemeinernden Folgerungen in der aktuellen Debatte um das Verhältnis von polytheistischer Religion und Monotheismus (J. Assmann: 170-179) sowie die theologischen Anleihen an die asiatische Religionen und Weltdeutungen bestimmende Sicht eines sich je anders, variabel und zyklisch sich manifestierenden Göttlichen (183 ff.).

Gegenüber dem in der Neuzeit bis in die Gegenwart wirksamen emanzipatorischen Freiheitsbegriff (191 ff.) geht es für den christlichen Theologen um "die Wahrheit unseres Menschseins". Sie schließt eine Verantwortung ein, in der "das Sein als Antwort" gelebt wird auf das, "was wir in Wahrheit sind" (205). In ihr sind das "Gut aller" und die Freiheit aufeinander bezogen. Was im Dekalog seinen gültigen Ausdruck gefunden hat, lässt sich darum auch in vieler Hinsicht in den Religionen der Menschheit entdecken. Wer nach Gemeinsamem in der Ethik der Religionen sucht, darf die Frage nach Gott und seiner geoffenbarten Wahrheit nicht ausklammern. "Wenn es keine Wahrheit vom Menschen gibt, hat er auch keine Freiheit. Nur die Wahrheit macht frei" (208).

Dieses bringt der Band in vielseitiger Entfaltung der sich darauf beziehenden aktuellen Themen in Erinnerung. Darum ist er nicht nur ein Beitrag zu einer Theologie der Religionen und der Kulturen, sondern die für eine solche maßgebende und grundlegende Orientierung.