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Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

136–138

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kochanek, Hermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wozu das Leid? Wozu das Böse? Die Antwort von Religionen und Weltanschauungen.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2002. 360 S. m. 2 Abb. 8. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-89710-163-7.

Rezensent:

Armin Kreiner

Der von Hermann Kochanek SVD (1946-2002) herausgegebene Sammelband soll einen Einblick in die vielfältigen religiösen und weltanschaulichen Deutungen von Übel, Leid und Bösem bieten. Der Band will nicht nur Sachinformationen liefern. Herausgeber und Autoren verbinden damit auch die Hoffnung, "den postmodernen Menschen" dazu zu bewegen, "sich selbst konstruktiv mit dem Leiden und dem Bösen in der Menschheitsgeschichte wie im eigenen Leben auseinander zu setzen" (11).

Die beiden Beiträge des Einleitungskapitels geben zunächst einen religionsgeschichtlichen (Karl Hoheisel) und einen christentumsgeschichtlichen (Karl-Josef Kuschel) Überblick. Hoheisels Beitrag liefert eine Fülle an religionsgeschichtlichen Details. Sein Fazit fasst er im Anschluss an ein Habermas-Zitat dahingehend zusammen, dass wir mit den leidvollen Kontingenzen des Daseins "prinzipiell trostlos" leben müssen. Was diese "prinzipielle Trostlosigkeit" mit der Botschaft der Weltreligionen zu tun hat, wird nicht klar, verstehen sich diese doch durchweg als Erlösungsreligionen. Bei Kuschels Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Fassung des zusammen mit Walter Groß verfassten Buchs "Ich schaffe Finsternis und Unheil. Ist Gott verantwortlich für das Übel?" (Mainz 21991). Das Fazit lautet, dass das Theodizee-Problem zumindest vorläufig unlösbar ist.

Die Beiträge des 2. Kapitels sind den religiösen Traditionen Asiens gewidmet: Livia Kohn befasst sich mit den chinesischen Traditionen des Konfuzianismus und Taoismus. Othmar Gächter stellt die hinduistische Tradition vor, wobei er sich vor allem auf die Volksfrömmigkeit konzentriert. Michael von Brück thematisiert schließlich die buddhistische Deutung des Leidens, die er im Vergleich mit der christlichen verdeutlicht.

Im 3. Kapitel kommen Leiddeutungen afrikanischer (Jan Jacek Pawlik) und nordamerikanischer (Rudolf Kaiser) Stammesreligionen zu Wort.

Die Beiträge des 4. Kapitels widmen sich den monotheistischen bzw. abrahamitischen Traditionen: Die notgedrungen fragmentarischen Einblicke in die jüdische (Rolf Schmitz), christliche (Hans Waldenfels SJ) und islamische Tradition (Peter Heine) machen unter anderem deutlich, wie vielschichtig die Antworten dieser Religionen ausfallen und wie ähnlich sie sich in dem Bestreben sind, den Menschen bzw. die Sünde für einen Großteil von Übel und Leid verantwortlich zu machen.

Da sich der Band nicht nur auf die traditionellen religiösen Deutungen beschränken sollte, kommen im letzten Kapitel Antworten von Philosophie, Weltanschauungen und Kunst zum Zuge. Jörg Splett hat den philosophischen Part übernommen. Sein Beitrag endet - ähnlich wie diejenigen von Kuschel und Waldenfels - mit dem Bekenntnis zur Unlösbarkeit des Theodizee-Problems. Auf Grund dieser Auswahl vermittelt der Band ein etwas einseitiges und verzerrtes Bild des gegenwärtigen christlichen und philosophischen Theodizee-Diskurses. Unter der Rubrik "Weltanschauungen" finden sich zwei Beiträge: Wolfgang Gantke bietet einen instruktiven und differenzierten Einblick in New Age und Esoterik. Dieter Funke befasst sich mit Antworten der Psychoanalyse. Der Band schließt mit einem Beitrag von Friedhelm Mennekes, der den Bereich der bildenden Kunst (anhand des Werks von Francis Bacon) abdeckt.

Dass sich die durchweg informativen und gut lesbaren Beiträge nicht auf den christlichen Bereich beschränken, unterstreicht die begrüßenswerte Tendenz, zentrale theologische Fragen nicht mehr nur im Kontext der eigenen christlichen Tradition und ihrer Geschichte zu thematisieren. Eine Besonderheit dieses Bandes liegt darin, auch Deutungen zur Sprache zu bringen, die außerhalb der so genannten Weltreligionen liegen. Dass hier stammesgeschichtliche Traditionen Berücksichtigung finden, ist in diesem Zusammenhang durchaus nachvollziehbar. Warum aber die wichtigste nicht-religiöse Strömung bzw. Weltanschauung, der atheistische Naturalismus, keine Erwähnung findet, bleibt unverständlich, stellt er doch für fast alle religiösen Traditionen eine gewaltige Herausforderung dar, die in keinem einzigen Beitrag wirklich ernst genommen wird. Ob der Band den "postmodernen Menschen" zu einer Auseinandersetzung mit dem Leid und Bösen motivieren kann, dürfte davon abhängen, was mit dieser nebulösen Bezeichnung gemeint ist. Den vom Herausgeber gesteckten Zielen, "auf spirituelle Erfahrungen in der je eigenen Religion aufmerksam" zu machen und "theologische Impulse" zu vermitteln, "um damit den eigenen Glauben überzeugender zu leben und zugleich zum interreligiösen Dialog zu befähigen" (11), dürfte der Band aber in jedem Fall gerecht werden.