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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

111–114

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Demel, Sabine, Gerosa, Libero, Krämer, Peter, u. Ludger Müller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Dienst der Gemeinde. Wirklichkeit und Zukunftsgestalt der kirchlichen Ämter.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2002. 304. S. gr.8 = Kirchenrechtliche Bibliothek, 5. Kart. Euro 30,90. ISBN 3-8258-5987-8.

Rezensent:

Miriam Rose

Bedrohlich schnell sterben die aus, über deren Amt die ökumenischen Dialogpartner erbittert oder routiniert streiten. Der akute Priestermangel der katholischen Kirche in Deutschland führt zu sog. priesterlosen Gemeinden, in denen Laien mit der faktischen Gemeindeleitung beauftragt werden können, geregelt im katholischen Kirchenrecht, dem Codex Iuris Canonici von 1983: "Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, ... an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der ... die Hirtensorge leitet" (c. 517 2 CIC). Spricht also das Auseinanderfallen von faktischer Gemeindeleitung (durch Laien) und Sakramentsverwaltung (durch Priester) der Amtstheologie Hohn, ist ein theologischer think tank von Nöten: Eine Kirchenrechts-Tagung in Regensburg (März 2002) setzte sich die Klärung der Frage zum Ziel, "wie das kirchliche Recht Dienste und Ämter gestalten muss, damit diese theologisch sinnvoll, rechtlich möglich und zugleich praktikabel sind" (10).

In seinem Eröffnungsvortrag erörtert Bischof Karl Kardinal Lehmann das Verhältnis von (Weihe-)Ämtern und (Laien-) Diensten. Während 1991 den 19.438 Priestern 1049 Pastoralreferenten gegenüberstanden, waren im Jahre 2001 17.129 Priester und 2742 Pastoralreferenten in Deutschland bei ca. 27 Mio. Katholiken tätig. Einem Rückgang der Priester entspricht also eine starke Zunahme der hauptamtlichen Laien, deren Zusammenwirken anhand des Stichwortes "kooperative Pastoral" diskutiert wird. Was ist im gemeinsamen Tun das jeweilige Proprium? Nur der Amtsträger sei zum vollmächtigen Handeln in persona, in nomine Christi bestimmt. Für das Miteinander von Laien und Priestern müsse das Prinzip "Einheit in Vielheit - Vielheit in Einheit" gelten entsprechend den ekklesiologischen Schlüsselworten des II. Vatikanum: "communio" und "missio". Das Modell für den konkreten Vollzug von communio des Differenten in der Einheit der gemeinsamen Sendung sieht Lehmann in der paulinischen Charismentheologie. "Das Charisma ist nur dann in seiner Einmaligkeit ganz wahr" (22), wenn es sich auf das Ganze bezogen gestaltet, weil es "von der Einsicht in seine grundlegende Ergänzungsbedürftigkeit" (23) lebt. Das Charisma in der geistvermittelten Einheit des Besonderen und des Allgemeinen finde sein Kriterium daran, ob es der Auferbauung der Gemeinde Christi dient. Als Kriterium dieses Kriteriums fungiere die Liebe.

Sabine Demel setzt in ihrem grundlegend-gründlichen Text bei der kirchenrechtlichen Bestimmung des Amtes in c. 125 1 CIC an: "Kirchenamt ist jedweder Dienst, der durch göttliche oder kirchliche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient." Amt und Dienst unterscheiden sich also anhand der Dauerhaftigkeit. D. macht auf gewisse Mängel im CIC aufmerksam: Die Begriffe Amt und Dienst würden jeweils nicht einheitlich verwendet, konsequenterweise müsste man auch vom Amt der Theologieprofessorin etc. reden. Kirchenrechtlich und theologisch offen sei, ob die Abstufungen des Weihesakramentes (Priester, Diakon) sich auf göttliches oder nur kirchliches Recht gründen. Aus den kirchenrechtlichen Vorgaben über das Wirken von Priestern und Laien zieht sie Folgerungen für eine kooperative Pastoral: Jede Gemeinde braucht einen eigenen Priester; dieser soll Freiräume zum Mitwirken möglichst vieler Laien eröffnen. Konkret hält sie es angesichts des Priestermangels für denkbar und geraten, sowohl den Pflichtzölibat aufzuheben als auch Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Priesterlose Gemeinden stellten einen größeren Traditionsbruch dar, als es Priesterinnen oder verheiratete Priester tun würden. Zweitens schlägt sie vor, Laien zu wesentlich mehr kirchlichen Diensten als bisher zuzulassen, damit die wahre Gleichheit aller Gläubigen (c. 208) Ausdruck gewinnt.

Über die Sakramentalität des kirchlichen Amtes als Thema des reformatorisch-katholischen Dialogs referiert Dorothea Sattler, wozu sie eine informative Übersicht der bisherigen Ergebnisse und Kontroverspunkte bietet. Peter Krämer affirmiert die bekannte Argumentation der katholischen Kirche, dass auf Grund mangelnder Gemeinsamkeit im Verständnis von Kirche, Amt und Eucharistie weder Interkommunion noch Interzelebration möglich seien. Dagegen begründet Joachim Track, dass die VELKD nicht-lutherischen Christen eine gastweise Teilnahme am Abendmahl ermöglicht, weil die Kirche des Credo weiter reicht als die Grenzen der Konfessionskirchen und weil Jesus Christus der Einladende ist.

Welche Probleme - theologisch und praktisch - aus der römisch-katholischen Bestimmung des kirchlichen Amtes für sein Verhältnis zum allgemeinen Priestertum aller Getauften folgen, führen eine Reihe von Beiträgen vor. Laut Adrian Loretan stünden seit dem 4. Jh. Klerus und Laien einander gegenüber, bis hin zur Feststellung Bonifaz' VIII., dass die Laien - immer nur negativ definiert als Nicht-Kleriker - den Klerikern bitterfeind seien. Das Miteinander der Glaubenden habe erst das II. Vatikanum neu ins Gedächtnis gerufen durch die Lehre vom gemeinsamen Priestertum, das die Grundlage für die beauftragen pastoralen (Laien-)Dienste bildet. L. beschreibt, wie angesichts des Priestermangels aus der kooperativen Pastoral Identitätsprobleme sowohl für die Laien als auch für die Priester erwachsen. Jene werden zu Lückenbüßern und Priester auf ihre Funktion bei Eucharistievorsitz und Absolutionsvollmacht reduziert. Priester könnten eben nur durch Priester ersetzt werden - was zur Frage nach einer Änderung der Zulassungsbedingungen für das Priestertum führe. L. plädiert für einen personenzentrierten Ansatz in der Pastoral, dazu gehöre auch ein anderer Umgang der Kirche mit ihrem "Personal" - sonst verliere die Kirche in demokratischen Gesellschaften jede Attraktivität als Arbeitgeberin. In einem zweiten Beitrag beschreibt er die Situation liturgischer Leitungsdienste von Laien in der Schweiz.

Die Perspektive empirischer Untersuchungen professionellen Selbstverständnisses bringt Konrad Baumgartner zur Geltung. Er leitet daraus folgende Desiderata ab: Berufsaufgaben müssen präzise beschrieben und vor Ort geklärt werden. Alle pastoral Mitarbeitenden sollten regelmäßige Konferenzen abhalten und Formen gemeinsamer Spiritualität entwickeln. Die Fähigkeit zu Kommunikation und Konfliktbewältigung ist als wesentliche Berufsvoraussetzung zu verlangen und in Aus- und Weiterbildung zu vertiefen.

Mit ähnlichen Vorschlägen schließt Manfred Scheuer differenzierte Erwägungen zur Spiritualität im pastoralen Dienst an. Sein auch sprachlich schöner Text liest sich als komprimierte Phänomenologie theologischer Existenz. Jeder Hauptamtliche in der Kirche bräuchte auf seinem Weg geistliche Begleitung für eine Spiritualität in der "schöpferischen Spannung zwischen personaler und kirchlich-sakramentaler Dimension" (161). Auf den engen Zusammenhang von Dienst und Liturgie hin argumentiert auch August Jilek: "Der jeweilige pastorale Dienst in der Kirche stellt die Grundlage dar für entsprechende Aufgaben in der Liturgie" (115). Konkrete Defizite in der liturgischen Ausdrucksgestalt des Miteinanders der Dienste bestehen darin, dass z. B. Lektoren meist nicht mit im Altarraum sitzen - obwohl vom Messbuch so vorgesehen. Grundsätzlich fehle ein gottesdienstliches Formular für die Indienstnahme von Kommunionhelferinnen und -helfern. Auch Michael Kunzler plädiert für eine Aufwertung der liturgischen Laiendienste, die auch die Zulassung von Frauen zum Lektoren- und Akolythendienst umfassen sollte mit Beauftragung in einer gottesdienstlichen Feier durch den Ortsbischof.

Bezüglich des Anteils der Gläubigen an der geistlichen Vollmacht arbeiten Thomas A. Amann und Beatrix Laukemper-Isermann offene Fragen in der gegenwärtigen kanonistischen Diskussion heraus: (1) Impliziert der kirchenrechtliche Ausschluss der Laien von bestimmten kirchlichen Ämtern eine dogmatische oder eine rein disziplinäre Begründung? (2) Wie ist der Begriff geistliche Vollmacht präzise zu verstehen? (3) Bedeutet Delegation von Aufgaben kirchlicher Leitungsgewalt eine Gefährdung der Einheit der sacra potestas (des Amtsträgers)? (4) Wie ist das kirchenrechtlich vorgesehene "cooperari" (c. 129 1 CIC) zwischen Laien und Priestern genau zu bestimmen?

Innerhalb der Theologie des dreigestuften kirchlichen Amtes bereitet das Diakonenamt - als ständiger Diakonat wieder eingerichtet vom II. Vatikanum - die größten Schwierigkeiten. Dorothea Reininger führt dazu aus: Gegenwärtig konkurrieren drei Modelle. Das hierarchische Modell sieht im Diakonat die unterste Stufe des dreigestuften Weiheamtes, während das Dienstmodell die Dienstfunktion für Priester und Bischöfe herausstellt. Das Modell eines komplementär-dual gedachten Ordo versteht Priester und Diakon je als Helfer des Bischofs. R. entfaltet eine Diakonatstheologie ausgehend von der Sendung Jesu, der das Reich Gottes in Wort und heilender Tat verkündete, welche Verkündigung auch dem kirchlichen Amt aufgegeben ist und seine polare Vollgestalt im Bischof findet. Diese Polarität differenziert sich in die Wortverkündigung des Priesters und in die Tatverkündigung des Diakons. Frauen solle der Zugang zum Diakonat geöffnet werden. Ein "diakonischerer" ständiger Diakonat wäre Ausdruck einer wahrhaft diakonischen Kirche.

Die Zukunftsgestalt von Gemeinde bedenken die folgenden Beiträge, wobei eine religionssoziologische Perspektive leider fehlt. Angesichts von Priestermangel und gesellschaftlicher Pluralität stehen Neustrukturierungen der Pastoral an. Konrad Hartelt empfiehlt die Zusammenlegung von Gemeinden sowie die Bildung von Pfarrgemeinschaften. Die vom CIC vorgesehenen Notlösungen - Nichtpriester werden in einer priesterlosen Gemeinde mit wesentlichen Aufgaben von Gemeindeleitung beauftragt, während ein Priester die Gemeindeleitung moderiert- sollten Not-Lösungen bleiben. Über neue Organisationsformen von Seelsorge, sog. alio-modo-Strukturen (vgl. c.516 2 CIC) und deren theologische Kriterien reflektiert Aurelia Spendel OP. Positive, zukunftsweisende Erfahrungen mit Gemeindeberatung beschreibt der Leiter des Seelsorgeamtes Bamberg Günter Raab. "Ziel von Gemeindeberatung ist ... die Entwicklung eigenständiger, handlungsfähiger Gemeinden mit unverwechselbarem Profil" (129). Isidor Baumgartner bemängelt eine Caritas-Vergessenheit der Pastoral. Es habe sich eine Zwei-Strukturen-Realität von verbandlicher Caritas und von Gemeindeseelsorge herausgebildet - zu Lasten von beiden. Um diese sowie Folgetrennungen wie zwischen Professionalität und Ehrenamt, zwischen "marktförmige(r) Einrichtungscaritas" (284) und "marktwidrige(r) Caritas" zu vermeiden, plädiert Alfred E. Hierold für eine von unten aufgebaute Caritas-Organisation, d. h. für kirchenamtliche Caritasvereine in den Gemeinden.

Insgesamt bietet der Band einen informativen Überblick über die derzeitige Problemdiskussion zum Thema Amt innerhalb der katholischen Theologie. Die Beiträge überzeugen durch die Verbindung von theologischer Grundlegung, Bezug auf rechtliche Regelungen und Praxisreflexion. Gemeinsam fokussieren die Autorinnen und Autoren die aktuellen Probleme und den dringenden Handlungsbedarf in kirchenrechtlich/lehramtlicher Hinsicht. Werden Lösungsvorschläge für die gegenwärtige Krise genannt, weisen sie mehr oder weniger explizit - und wenig überraschend - in eine Richtung: Aufhebung des Pflichtzölibates, Zulassung von Frauen zu Priesteramt und Diakonat, intensivere Beteiligung von Laien, ein verstärktes diakonisches und missionarisches Engagement der Gemeinden.

So überzeugend die Argumentationen innerhalb des gegebenen römisch-katholischen Rahmens sich lesen: Aus protestantischer Perspektive bleibt zu fragen, ob die angesprochenen Praxisprobleme nicht Grund-Aporien der katholischen Amtstheologie widerspiegeln. Für die innerkatholischen und die ökumenischen Auseinandersetzungen darüber sind möglichst große Offenheit zu wünschen - und genügend Amtsträger.

Ein Personen- und ein Canones-Register ergänzen den interessanten Band.