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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

729 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Jörg

Titel/Untertitel:

Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997. 2., erw. Auflage. 160 S. 8 = Biblisch-Theologische Studien, 31. Pb. DM 48,-.

Rezensent:

Thomas Neumann

Die erste Auflage dieses Buches erschien bereits 1975. Sein Autor macht als Begründung für die Neuausgabe einerseits die bleibende Bedeutung des Themas, andererseits seinen eigenen Erkenntnisfortschritt geltend (5 f.), und dieser ist es, der den Band nun um etwa ein Fünftel seines ursprünglichen Umfanges wachsen ließ. Wer vorrangig eine Dokumentation dieses zweiten Aspekts sucht, mag es daher sogar als einen Vorteil ansehen, daß der Verlag den Text nicht neu setzen mochte, so daß die Überarbeitung nur in Form zweier Anhänge - eines exegetischen und eines theologischen - geboten wird. Einer in sich abgerundeten Behandlung des Themas, wie sie die erste Auflage darstellt, ist diese kostensparende Präsentationsform freilich nicht sehr dienlich.

Als Thema biblischer Gottesvorstellungen ist die "Reue Gottes" ein theologisch ebenso herausfordernder wie problematischer Topos, scheint sich mit ihm doch auf den ersten Blick eine mit ontologischen Prädikaten des Gottesbegriffs unverträgliche Unzuverlässigkeit oder gar Willkür Gottes selbst zu verbinden. Die häufig anzutreffende Relativierung der Gottesreue gegenüber einem weniger bildhaften Gottesbegriff als Anthropopathismus oder als Ausdruck naiven Volksglaubens wird der Sachlage im AT jedoch nicht gerecht, da es sich bei der "Reue" Gottes nicht um ein folkloristisches Überlieferungsfossil, sondern um einen theologischen "Begriff hoher Reflexionsstufe" (14, 37) handelt (vgl. 9-14, 150-152).

Außerhalb der prophetischen Tradition begegnet die Reue Gottes nur Gen 6,5-7; 8,21 und 1Sam 15, und zwar in dem ihr gegenüber deutlich unterschiedenen Konzept der Rücknahme einer göttlichen Heilssetzung (der Erschaffung des Menschen bzw. des Königtums Sauls). Diese wird jedoch jeweils durch eine erneute Verheißung überhöht, so daß gerade nicht eine Wankelmütigkeit Gottes, sondern die Zuverlässigkeit seiner Heilszusagen betont wird (19-38,151).

Die Untersuchung der ungleich breiteren prophetischen nh.m-Tradition wird durchzogen von einer scharfsinnig beobachteten, auch die Übersetzung von nh.m berührenden (vgl. 15-18, 46, 110, 124-128) Unterscheidung zweier Implikationen von "Reue": "Selbstbeherrschung" und "Mitleid" Gottes. Jene unterscheidet sich von diesem dadurch, daß Gottes Willenswandel "nicht auf Menschen, sondern auf seinen eigenen Unheilsplan" über Israel gerichtet ist (45, vgl. 137). Die Konzeption der Reue als Einschreiten Gottes gegen seinen eigenen Gerichtswillen (Selbstbeherrschung) wird in den vier Amos-Visionen als Erklärung für den endgültigen Abbruch der bloß noch gestundeten Existenz seines ausweglos schuldverfallenen Volkes entwickelt (136 f.) und von Hosea in dem Wort von den nih.u-mi-m, die sich im Herzen Gottes gegen seinen eigenen Zorn richten, zum gedanklichen Höhepunkt geführt (Hos 11,8 f.) (40-59). Die Späteren stellen Zusammenhänge zwischen Gottes Selbstbeherrschung und seiner Vergebung von Schuld her (59-75). Für den Deuteronomismus im Jer-Buch bildet dann die Umkehr der Menschen zu Gott die Voraussetzung für dessen Reue (Jer 26; 42; 18) (75-87, 143-145). Schließlich wird die Hoffnung auf die von Gott gewährte Verschonung vor dem Gericht Bestandteil der zentralen Bekenntnisaussagen in Jl 2,13 f.; Jon 3,9 f.; 4,2. Dabei verliert im Jonabuch die Selbstbeherrschung Gottes ihre Exklusivität für Israel und gilt nunmehr auch den Heiden (87-109, 145-148).

Die vorexilische und exilische Prophetie benutzt ausschließlich das Konzept der Selbstbeherrschung Gottes, während die Auffassung von nh.m als Vergebung aus Mitleid erst in nachexilischer Zeit in einigen Texten (Dt 32,36; Ps 90,13; 106,45; 135; Ri 2,18) an seine Stelle tritt bzw. als Interpretament beigefügt wird (Jl 2,17; Jon 4,10 f.). Hier wird nun nicht ein göttlicher Vernichtungsplan zugunsten des fortbestehenden Heilswillens Gottes ausgesetzt, sondern die bereits verfügte und als Not wirkende Strafe aus Rücksicht auf das Leid des Volkes erbarmungsvoll beendet (114-117).

Allerdings hat J. diese scharfe Unterscheidung von "Selbstbeherrschung" und "Mitleid" in der Bedeutung von nh.m nun in der Überarbeitung der Neuauflage vor allem unter dem Einfluß der Auseinandersetzung mit M. Nissinen (AOAT 231, 229-335) und im Anschluß an J. G. Janzen (Semeia 24, 7-44) an entscheidender Stelle eingeschränkt.

Wurde vorher betont, daß Hos 11,8f. als die "klassische Darstellung der Selbstbeherrschung Jahwes" (116) (zugleich "der Kulminationspunkt in der Reflexion der vorexilischen Propheten" [137, vgl. 52]) für eine Übersetzung mit "Mitleid" nicht in Frage kommt (116), so heißt es nun, daß sich gerade an dieser Stelle "die Konnotationen von ,Selbstbeherrschung’ und ,Mitleid’ mit Israel vermischen" (139). Mit Berufung auf Hos 11,8 f. hat J. übrigens auch für Am 7,3.6 inzwischen diese moderatere Auslegung vorgeschlagen: Zwar nicht in der Neuauflage von "Die Reue Gottes", wo die beiden ersten Amos-Visionen nach wie vor ausschließlich der Konzeption der Selbstbeherrschung Gottes zugerechnet werden, doch seinem Amos-Kommentar (ATD 24/2, 1995, z. St.) zufolge, wurde "Jakob" auch in Am 7,1-8 "aufgrund des Mitleids seines Gottes" verschont. Ungeachtet der Öffnung von Hos 11,8 f. für die nachexilische "Mitleid"-Interpretation von nh.m verteidigt J. die Frühdatierung der Hos-Stelle nachdrücklich (137-140).

Eine größere Korrektur gegenüber der Erstauflage des Buches ergibt sich lediglich aus der veränderten Datierung von 1Sam 15: Hier vertritt der Vf. inzwischen eine Spätdatierung der Rede von der Reue Gottes, die er einer dtr. Überarbeitung des Grundtextes des Kapitels zuweist (132-135). Dies im Zusammenhang mit einer Neubewertung der jahwistischen Sintfluterzählung verändert die Sicht auf das Verhältnis der von diesen beiden Texten repräsentierten geschichtstheologische(n) Reflexion (152) zur "prophetischen Konzeption" (154) der Reue Gottes. Erschien jene bisher als Frühform dieser Vorstellung, die später durch ein verändertes prophetisches Konzept abgelöst wurde, so setzt sie nun umgekehrt die vorexilische Prophetie voraus und reflektiert an ihr anthropologisch die grundsätzliche Schuldverfallenheit der zweiten Menschheit und theologisch die bleibende Gültigkeit der Heilssetzungen Gottes jenseits seines Strafwillens (152-154).

So spiegelt der Band auch zwanzig Jahre nach seiner Erstpublikation unmittelbar die Virulenz seiner Problemstellung und das beharrliche Vorangehen der Beiträge seines Autors insbesondere zur Prophetenforschung wider. Es ist in jeder Hinsicht zu begrüßen, daß er nun einer neuen Generation von Lesern zugänglich gemacht wurde.