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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

109 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Auf dem Weg der Ökumene. Die Gemeinschaft evangelischer und anglikanischer Kirchen nach der Meissener Erklärung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 278 S. gr.8. Geb. Euro 38,00. ISBN 3-374-01949-8.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Aus sechs - z. T. bereits veröffentlichten - Beiträgen, die Dalferth im Zusammenhang mit der Beschlussfassung der EKD über die "Meissener Gemeinsame Feststellung und Erklärung" sowie den seither durchgeführten bilateralen Konferenzen verfasst hat, ist ein äußerst lesenswertes Buch zum evangelisch-anglikanischen Dialog entstanden, das am konkreten Beispiel die Gründzüge einer eigenständigen und vor allem in hermeneutischen Fragen weiterführenden Konzeption ökumenischer Theologie entwickelt. Die Lektüre empfiehlt sich daher nicht nur für solche Leser, die sich über den Stand der Beziehungen zwischen EKD und der Church of England bzw. weiter gefasst zwischen evangelischen und anglikanischen Kirchen informieren wollen. Ebenso wichtig sind D.s grundsätzliche Ausführungen zum Stand der ökumenischen Bewegung, zu Theorieproblemen ökumenischer Theologie, zum Einheitsverständnis der ökumenischen Bewegung sowie zur evangelischen Ekklesiologie, zum Amtverständnis und zur Ämterlehre in der evangelischen Kirche. Besondere Beachtung verdienen D.s Überlegungen zum Projekt einer ökumenischen Hermeneutik, die der stagnierenden Diskussion neue Impulse geben können.

Kenntnisreich wird in diesem Buch nicht nur die Geschichte der Meissener Gemeinsamen Feststellung (von 1988) und Erklärung (von 1991), sondern auch die Entwicklung der anglikanischen Theologie und ihrer verschiedenen Richtungen von der Reformationszeit bis in die Gegenwart dargestellt (55-114). Stärken und Schwächen des Meissener Dokuments werden einer gründlichen und umsichtigen Analyse unterzogen. Die offenen Fragen betreffen vor allem das Ordinationsverständnis, Form und Verantwortungsbereich der Ordination sowie das Bischofsamt und sein Verhältnis zum ordinierten Amt. Auf Grund der in diesen Fragen fortbestehenden Divergenzen ist bis auf weiteres die volle Kirchengemeinschaft einschließlich der Abendmahlsgemeinschaft ausgeschlossen, obwohl sich die evangelische und die anglikanische Kirche wechselseitig als Kirchen- und zwar im theologischen, nicht etwa nur im soziologischen Sinne! - anerkennen. In der ungeklärten Frage des Amtes und der Episkope findet das Grundproblem des modernen Anglikanismus, nämlich das Kirchenverständnis, seine Zuspitzung und ökumenische Brisanz (115-149). Inwiefern der historische Episkopat für das esse oder auch nur das bene esse notwendig sein soll, ist von der anglikanischen Kirche bisher nicht theologisch schlüssig beantwortet worden.

D. übt in dieser Frage theologische Sachkritik an den Erklärungen von Meissen und Porvoo. Letztere bemüht eine Theologie der Zeichen, hinter der "Bruchstücke einer nicht erklärten und nicht ausgeführten Sakramentstheologie" stehen, die D. unmissverständlich "für einen Irrweg" hält (140). Offensiv und theologisch überzeugend vertritt D. die Position, die evangelischen Kirchen hätten die sog. apostolische Sukzession nie verlassen oder aufgegeben, sondern diese gerade umgekehrt gewahrt und in ihrer konkreten Ausgestaltung des Amtes zur Geltung gebracht (147). Basis für D.s theologische Argumentation sind die Bestimmungen in CA VII, wobei er in der Frage des Amtes (CA V) der sog. Übertragungstheorie J. W. Höflings im Unterschied von F. J. Stahls Stiftungstheorie folgt (170). D.s dogmatisch saubere Argumentation wäre freilich zur Empirie faktischer Verhältnisse in ein kritisches Verhältnis zu setzen. Ohne solche Vermittlungsversuche bleiben normative Aussagen zum evangelischen Amts- und Kirchenverständnis zunächst ein bloßes Postulat.

Sein eigenes Grundverständnis der Ökumene entfaltet D. im Eingangskapitel (13-53). Dabei weiß er sich dem Kirchen- und Ökumeneverständnis der Leuenberger Kirchengemeinschaft verpflichtet. Kirche und Kirchengemeinschaft werden als Prozess gedeutet, der die gelebte Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen zum Ziel hat. "Wenn irgendwo, dann gilt für die christliche Ökumene: Der Weg ist das Ziel, und das Ziel ist, auf dem Weg der Ökumene weiterzugehen" (24). Ökumene gibt es nur, sofern sie gelebt und konkret praktiziert wird, was überall dort geschieht, "wo Christen christlich zusammenleben" (28). Dabei ist es "eines, zur Kirchengemeinschaft unterwegs zu sein, ein anderes, als Kirchengemeinschaft auf dem Weg zu sein" (228). Fundamentale theologische Kritik übt D. im vorletzten Kapitel (195-243) am Einheitsdenken nicht nur der römisch-katholischen Kirche, sondern auch der ökumenischen Bewegung und des Weltrats der Kirchen. D. teilt die Einschätzung, dass der Einheitsbegriff der ökumenischen Bewegung, so unterschiedlich die Konzeptionen im Einzelnen auch sein mögen, insgesamt zu sehr vom Anglokatholizismus bestimmt wird. Die Folge ist seiner Ansicht nach eine fortschreitende Klerikalisierung der ökumenischen Bewegung. M. E. ist die theologische Kritik am Begriff der sichtbaren und immer weiter sichtbar zu machenden Einheit der Kirche sowie der dahinter stehenden einseitig negativen Sichtweise der Vielzahl von Kirchen und Kirchentrennungen sachgemäß.

Äußerst produktiv sind schließlich auch D.s Überlegungen zum Projekt einer ökumenischen Hermeneutik, die den Band abschließen (245-278). Konzepten einer Einheitshermeneutik, wie sie derzeit in konsensökumenischen Kreisen im Schwange sind, sowie allen Versuchen, Konsenstexte dadurch auf Einsinnigkeit zu trimmen, dass die gültige Textinterpretation gleich mit fixiert werden soll, erteilt D. eine klare Absage. Eine Hermeneutik der Einheit, wie sie z. B. von der Kommission Faith and Order 1998 vorgelegt wurde, missachte die Freiheit je eigenen Verstehens, die stets die Freiheit des Andersverstehens sei (249). Die Kunst bei der Abfassung tragfähiger ökumenischer Dialogtexte sei die bislang außer Acht gelassen Kunst der Mehrfachkodierung. Die Qualität solcher Texte bemesse sich "nicht nach dem Umfang und der Tiefe des in ihnen formulierten Konsenses, sondern daran, dass sie als Texte in ihrem jeweiligen Verstehenszusammenhang der beteiligten Partnerkirchen kohärent verstanden und interpretiert werden können" (250).

Ob diese Qualität bei der "Gemeinsamen Offiziellen Feststellung", mit deren Hilfe die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung" vor dem endgültigen Scheitern gerettet werden sollte, tatsächlich, wie D. (254) behauptet, erreicht wurde, darf bezweifelt werden. Auch wären seine Überlegungen zur Mehrfachkodierung differenztheoretisch weiterzuführen. So ist das "consentire" (CA VII) im ökumenischen Kontext neu zu bestimmen, nämlich als Kohärenz des unaufhebbar Differenten. Dabei hat eine ökumenische Hermeneutik nicht nur das Andersverstehen, sondern auch die theologische Bedeutung des Widerspruchs und des wechselseitigen Einspruchs zu reflektieren, der die Dialogpartner zur Selbstprüfung zwingt. Vorausgesetzt wird, dass die Gesprächspartner einander wechselseitig bedürfen und als bleibend andere (!) aneinander verwiesen sind. D.s Überlegungen weisen in die richtige Richtung.