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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

104–106

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Obenauer, Andreas

Titel/Untertitel:

Too much Heaven? Religiöse Popsongs - jugendliche Zugangsweisen - Chancen für den Religionsunterricht.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2002. 254 S. m. Tab. gr.8 = Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, 5. Kart. Euro 20,90. ISBN 3-8258-6416-2.

Rezensent:

Gerd Buschmann

Die von den Professoren H. Schmidt und H. Rupp betreute Heidelberger Dissertation stellt sich dem in den vergangenen Jahren vielfältig, vor allem inhaltsanalytisch bearbeiteten Thema "Popmusik und Religion" (vgl. zusammenfassend zuletzt: Uwe Böhm u. Gerd Buschmann, Popmusik - Religion - Unterricht. Modelle und Materialien zur Didaktik von Popularkultur, 2.,überarb. Aufl., Münster 2002) in methodisch neuer Weise und trägt damit der sog. empirischen Wende in der Religionspädagogik Rechnung: Der Zugang wird empirisch und rezeptionsästhetisch von den Jugendlichen selbst her gesucht und der Blickwinkel ist spezifisch religionspädagogisch.

Der erste Teil "Popmusik, Religion und Unterricht: Ergebnisse der Forschung" (17-66) bietet einen gelungenen, komprimierten Überblick über die bisherige außertheologische (Flender/Rauhe, Voullième; Spengler, Schütz, Röll u. a.), theologische (Greeley, Schwarze, Fermor, Tischer, Albrecht, Bubmann, Siedler) und religionspädagogische (Kögler, Everding, Mertin, Treml, Gutmann, Pirner u. a.) Forschung zum Thema, wie sie immer wieder auch in der ThLZ besprochen worden ist (vgl. u. a. ThLZ 123 [1998], 800 f.; 124 [1999], 224-228; 124 [1999], 1289 f.; 125 [2000], 1330 ff.; 126 [2001], 687 f.), - hier fehlen vielleicht nur die von W. Kabus herausgegebenen Tagungsdokumentationen (vgl. ThLZ 126 [2001], 799 ff.) -, und entwickelt daraus die bislang unberücksichtigten forschungsleitenden Fragen (64-66): Neben den Inhalten von Popsongs in Text, Musik und Videoclips (Vermeidung reiner Textarbeit!) ist insbesondere die Art ihrer Rezeption durch Jugendliche zu berücksichtigen. "Welche religiösen Botschaften, Inhalte und Symbole sind in denjenigen Popsongs enthalten, die von Jugendlichen bevorzugt gehört werden?" "Wie rezipieren Jugendliche Popsongs mit religiösen Inhalten?"

Der zweite Teil bietet dann eine entsprechende empirische Untersuchung "Religiöse Motive in Popsongs: Jugendliche Vorlieben und Zugangsweisen" (67-161). Die Auswahl der analysierten 16 substanziell religiösen Popsongs (darunter auch Nanas Titel-gebender Song "Too much Heaven") wird plausibel begründet, sie werden je kurz charakterisiert und dann vier "religiösen Grundmotiven" zugeordnet, die sich immer wieder in entsprechenden Popsongs finden: Gebete um Erlösung, Tod und ewiges Leben, Gott und die Liebe, Träume von einer neuen Welt. Dieses empirisch gewonnene Ergebnis deckt sich nur z. T. mit bisherigen inhaltsanalytischen Arbeiten, etwa von Bernd Schwarze: Im Zentrum der Popreligiosität steht eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung, postmodern-beliebig und primär spaßig ist sie hingegen nicht (gegen Rolf Tischer). "Die bisherigen Untersuchungen zu religiösen Motiven in Popsongs stimmen fast alle darin überein, dass sie große Unterschiede zwischen Popreligiosität und christlichem Glauben konstatieren ... Die hier vorliegende Untersuchung ... kann diese These überraschenderweise nicht bestätigen. Die hier analysierten Popsongs weisen in ihren religiösen Motiven eine große Nähe zum christlichen Glauben auf." (101)

Hier sei eine erste Kritik erlaubt: Der Rez. teilt dieses Ergebnis nicht zuletzt auf Grund eigener inhaltsanalytischer Arbeiten (etwa zu Müller-Westernhagens "Jesus"), aber keineswegs können die eher randständig-kulturkritischen Positionen von H. Albrecht und E. Hurth für forschungsrepräsentativ erachtet werden, für B.Schwarze und R. Tischer gilt der zitierte Satz nur bedingt und Treml, Fermor, Greeley, Bubmann, Kögler, Mertin u. a. haben immer wieder auch eine deutliche Nähe von Popmusik und christlichem Glauben - auch entstehungsgeschichtlich! - aufgezeigt. Kurz: So erstaunlich neu ist dieses "empirische" Ergebnis O.s nicht!

Dann folgen die empirische Befragung und deren "wesentliche Ergebnisse" (158-161) quasi als Summe der ganzen Dissertation: 1) Jugendliche nehmen Videoclips individuell sehr unterschiedlich wahr. 2) Der Songtext spielt bei der Rezeption von Videoclips eine untergeordnete Rolle. 3) Bei der Rezeption durch Jugendliche lässt sich vielmehr eine Dominanz des Optischen beobachten. 4) Je stärker Religion in den Bildern präsent ist, desto häufiger wird sie von Jugendlichen als Inhalt des jeweiligen Clips wahrgenommen. 5) Wenn Religion wahrgenommen wird, führt dies zu einer besseren Bewertung des Clips. 6) Jugendliche können Videoclips und ihre einzelnen Bestandteile differenziert beurteilen. 7) Jugendliche nehmen in den Clips u.a. solche Themen und Inhalte wahr, die sie existenziell betreffen. 8) Die Bewertung der Clips ist unabhängig von der persönlichen Einstellung zu Religion und Religionsunterricht.

So sehr eine empirische Studie zum Thema forschungsgeschichtlich überfällig war, so sehr zeigt sich hier - und das ist meine zweite Kritik - Größe und Grenze empirischer Forschung gleichermaßen; vielleicht bis auf Punkt 5 und 8 waren diese Ergebnisse zu erwarten und können vielfältig nachgelesen werden. Dass wir in einem optischen Zeitalter leben, ist ebenso klar, wie dass ein Clip wie "Die Flut" von Witt/Heppner bei verschiedenen Jugendlichen ganz gegensätzliche Empfindungen auslösen kann. Das haben auch schon (unsere) inhaltsanalytische(n) Arbeiten aufgezeigt, wenn z. B. MTV den Clip (wegen potentiellem Rechtsradikalismus) boykottierte und VIVA ihn rund um die Uhr sendete. Diese Kritik soll den Wert der Studie nicht schmälern; empirische und inhaltsanalytische Methode sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Die abschließenden didaktischen Überlegungen (163-193) orientieren sich an M. Meyer-Blancks Dreischritt "Studieren - Probieren - Kritisieren". "Popsongs sind nicht nur Teil des Alltags von Jugendlichen, sie bringen den Alltag von Jugendlichen auch verdichtet zur Sprache" (167). Sie müssen allerdings einer theologischen Beurteilung unterzogen werden, auch dafür benennt der Vf. Kriterien (170). Methodisch votiert er dafür, mit den Bedeutungen der Symbole und Bilder eines Clips zu spielen, damit eine individuelle Auseinandersetzung ermöglicht wird.

Ausführliche Anhänge wie Texte der Songs, Fragebogen, Disko- und Videographie und ein umfangreiches Literaturverzeichnis schließen die Studie mit dem Schülerinnen-Votum ab: "Videoclips sind cool!" Und der Vf. ergänzt: "Zu religiösen Motiven in von Jugendlichen bevorzugten Popsongs und zur Videocliprezeption von Jugendlichen lagen bisher kaum gesicherte Forschungsergebnisse vor. Diese Lücke hoffe ich geschlossen zu haben" (193).