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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

101–103

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Anselm, Helmut

Titel/Untertitel:

Herausforderungen. Spannungsfelder des Religionsunterrichts im 21. Jahrhundert. Studie mit Dokumentation.

Verlag:

Zürich: Pano 2002. 366 S. 8. Kart. Euro 19,50. ISBN 3-907576-44-6.

Rezensent:

Horst F. Rupp

In den vergangenen Jahren ist es keineswegs ruhiger geworden in der Diskussion um den Religionsunterricht in Deutschland, der gemäß Grundgesetz Artikel 7 - in Verschränkung mit Artikel 4 - als ordentliches Lehrfach "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" zu erteilen ist und damit den Einfluss insbesondere der Kirchen auf dieses Fach an der staatlichen Schule gewährleistet hat und weiterhin gewährleisten soll. Nicht übersehen werden darf jedoch bei dieser verfassungsrechtlichen Absicherung, dass sich diese Normierungen im so genannten Grundrechtsteil der Verfassung befinden, in dem die grundlegenden Rechte des Individuums festgeschrieben sind.

An verschiedenen Punkten hat sich die neuere Diskussion um dieses Fach festgemacht. So ist etwa im Gefolge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die Frage aufgetaucht, in welcher Weise in den sog. neuen Bundesländern der Umgang mit einem Fach Religionsunterricht o. Ä. geregelt werden soll, wobei sich die Mehrzahl der neuen Länder für eine Angleichung ihrer diesbezüglichen Gesetzgebung an den Mainstream der alten Bundesländer entschied. Einzig das Land Brandenburg bildete mit seinem heiß umstrittenen Unterrichtsfach LER (Lebensgestaltung - Ethik - Religion[skunde]) eine Ausnahme. Hier wird - unter Berufung auf den vom Stadtstaat Bremen reklamierten Grundgesetz-Artikel 141 - versucht, die Religionsgemeinschaften von der Gestaltung eines schulischen Faches auszuschließen und auch dieses Fach - wie alle anderen Schulfächer - in die Verantwortung des Staates zu überführen. Eine weitere Veranlassung der Diskussion um das Fach Religionsunterricht liegt in der durch zunehmende (Im)Migration geprägten Situation der deutschen Gesellschaft. Wie kann und soll ein Fach Religionsunterricht aussehen, wenn die Gesellschaft, in die Schule und Unterricht eingebettet sind, sich nicht mehr ausschließlich aus Mitgliedern einer der christlichen Konfessionen konstituiert, sondern wenn etwa ein nicht geringer Prozentsatz der Schülerpopulation der islamischen Religion angehört?

Auf dem Hintergrund solcher und ähnlicher Problemlagen ist die hier zu besprechende "Studie mit Dokumentation" des inzwischen pensionierten Pfarrers und Studiendirektors Helmut Anselm zu verstehen.

Die Studie weist folgende Gliederung auf: Ein erster Hauptteil ist historisch orientiert. Unter der Überschrift "Herausforderungen der Vergangenheit" werden einige ausgewählte Stationen der Diskussion um das Fach Religionsunterricht rekon- struiert. Unter dem Schlagwort "Zukunft braucht Herkunft" werden insbesondere "Stimmen zur Reform des Religionsunterrichts am Beginn des 20. Jahrhunderts" in Erinnerung gerufen. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit der "neuen Schulentwicklung als innerschulischer Herausforderung". Hier werden die in den vergangenen Jahren virulent gewordenen Problemlagen in der deutschen Schullandschaft referiert, also etwa der Zug zu einer Dezentralisierung der Entscheidungen oder die Diskussion um die Qualität der Schule, etwa unter der Programmforderung einer Profilbildung der einzelnen Schulen. Immer versucht der Autor auch die Implikationen zu reflektieren, die derartige Perspektiven der Schulentwicklung für das Fach Religionsunterricht bzw. für die Lehrkräfte dieses Faches bedeuten. Der dritte und umfangreichste Abschnitt setzt sich mit den "Schulübergreifenden Herausforderungen" auseinander, mit denen sich Lehrkräfte wie auch der Religionsunterricht konfrontiert sehen und auf die sie in irgendeiner Form zu reagieren haben. Drei dieser Herausforderungen werden im Detail analysiert, und zwar unter den Stichworten "Moderne Lebenswelten", "Neue Medien" und "Verhältnis von Staat und Kirche".

Das zuletzt genannte Stichwort "Verhältnis von Staat und Kirche" präludiert dann auch schon die im vierten Hauptteil unter der Überschrift "Konfessionelle Neubesinnung" verhandelte Thematik. Hier schlägt im eigentlichen Sinne das Herz des Autors, hier expliziert er sein Modell eines in seiner Perspektive sowohl gegenwärtig verantwortbaren als auch für die Zukunft tragfähigen Konzepts eines auf einer dezidiert konfessionellen Basis stehenden Religionsunterrichts an der staatlich-öffentlichen Schule. In Auseinandersetzung mit dem Ökumene-Begriff grenzt sich Anselm hier von unterschiedlichen Verständnissen und Varianten eines in den vergangenen Jahren diskutierten Modells von Religionsunterricht ab, das eine Öffnung hin auf andere Konfessionen, Denominationen oder gar Religionen in den Blick nahm. Demgegenüber fordert der Autor - und hier steht er durchaus in struktureller Übereinstimmung etwa mit dezidiert katholisch-kirchenamtlichen Verlautbarungen - einen explizit auf kirchlich-konfessionellem Grund stehenden Religionsunterricht, der seinen Beitrag zu einer Beheimatung der Schüler in ihrer Herkunftskonfession leistet. Einige Zitate mögen hier vielleicht die Position des Vf.s illustrieren: "Zur Vermittlung evangelischer Identität müssen ihre vielfältigen Formen mit allen Sinnen erlebbar werden. Dies kann nicht aus der Außenperspektive, also durch einen distanzierten, lediglich hinführenden Unterricht geschehen. Es verlangt die Innenperspektive: ein engagiertes Hereinführen durch gemeinsames Erleben und Erfahren" (260 f.). Und: "Dies (sc. das Erfahren der eigenen Konfessionsgemeinschaft; H. F. R.) geschieht durch die Einführung in ihr Liedgut und in das für sie charakteristische Sprachspiel - innerhalb der evangelischen Konfessionsfamilie etwa in die großen Choräle und in die Lutherbibel. Daneben ist das Erleben von Riten, Sitten und Bräuchen wichtig ... Hierzu parallel müssen Kenntnisse über Geschichte und Gegenwart der eigenen Glaubensgemeinschaft vermittelt werden: über repräsentative Persönlichkeiten, Organisationsformen, Ereignisse und Aussagen zu Glaube und ethischem Verhalten. Im Zentrum dieser Aussagen steht die reformatorische Erfahrung der sola gratia geschenkten Annahme des Menschen durch den Versöhnungs- und Erlösungstod Jesu Christi" (273 f.). Kritiker werden hier natürlich ihre Anfragen und Zweifel haben, ob mit Konzepten, die ihren didaktischen Schwerpunkt derart explizieren, die Zukunft des Faches Religionsunterricht an der staatlich-öffentlichen Schule gestaltet und gewonnen werden kann. Hier wird man dann wohl eher befürchten, dass sich ein didaktisch so formiertes Fach immer weiter von der gesellschaftlichen und Schüler-Realität entfernt und sich selbst marginalisiert.

Das abschließende Kapitel thematisiert unter der Überschrift "Herausforderungen der Zukunft" dann noch einmal die Bedeutung der Konfessionalität für den Religionsunterricht. Und auf dem Hintergrund der bisherigen Analyse überrascht es da natürlich nicht, wenn der Autor dann zu Aussagen wie den folgenden kommt: "Der konfessionelle und speziell der evangelische Religionsunterricht entspricht in besonderer Weise den Bedingungen und Erfordernissen des 21. Jahrhunderts. Er ist für die Zukunft der Gesellschaft und ihrer jungen Generation unverzichtbar" (305).

Im Anhang seiner Schrift bietet der Autor schließlich noch eine "Dokumentation", die anhand verschiedener Texte die von ihm aufgestellten Thesen illustrieren soll. Bilanzierend bleibt hier festzuhalten: Bei Anselms Schrift handelt es sich um eine interessante Studie, die ebenso das vielseitige Interesse und die Belesenheit des Autors belegt wie auch seine klare konfessionelle Positionalität in den Auseinandersetzungen um die konzeptionelle Gestaltung des Religionsunterrichts.