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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

96 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt, u. Thomas Sternberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wie das Wort Gottes feiern? Der Wortgottesdienst als theologische Herausforderung.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2002. 256 S. m. 3 Abb. 8 = Quaestiones disputatae, 194. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-451-02194-3.

Rezensent:

Friedrich Lurz

Zu Recht begründen die Herausgeber des aus einem Kolloquium zum 60. Geburtstag des Münsteraner Liturgiewissenschaftlers Klemens Richter hervorgegangen Buches das Thema mit der zu beobachtenden Diskrepanz zwischen einer erheblichen Aufwertung der Hl. Schrift innerhalb der katholischen Liturgie seit dem 2. Vatikanum und einer vernachlässigten Reflexion über Theologie und liturgische Gestalt der verschiedenen Formen von Wortgottesdiensten: "Der Wortgottesdienst ist in seiner Vielfalt für die christliche Spiritualität der Gegenwart erst noch (wieder) zu entdecken" (10). Diesem Manko versucht der Band in bibeltheologischen, systematischen und liturgiewissenschaftlichen Abschnitten zu begegnen.

Der Alttestamentler Erich Zenger sieht die Unverzichtbarkeit der jüdischen Psalmen begründet in deren Charakter als Theo-Poesie, in der elementare Erfahrungen des Lebens vor Gott in verdichtete Sprache gehoben werden. Als solche sind sie Medium der Gottes-Offenbarung und ist ihr Vollzug Einübung in eine christlich-jüdische Weggemeinschaft, da in ihnen die bleibende Gotteswahrheit über Israel erfahren wird. Der Neutestamentler Thomas Söding fragt in Bezug auf die Lesung aus den neutestamentlichen Briefen nach deren Qualifizierung als Wort Gottes und dem sich daraus ergebenden Verhältnis zur alttestamentlichen Lesung und zum Evangelium. Nach der Erhebung des biblischen Befundes zu diesen Fragestellungen regt er an, die Bezeichnung der Lesung in den rahmenden Formeln zu überdenken, und wendet sich gegen Vorschläge für eine Reform der Leseordnung, die die Briefliteratur zur Disposition stellen, da die Briefe selbst Evangelium sind. Claus-Peter März entfaltet als Neutestamentler die kultische Dimension des Wortes gemäß dem Hebräerbrief und charakterisiert christlichen Gottesdienst grundsätzlich als "Antwort-Gottesdienst" (98), der auf die Rede Gottes im Sohn, dem wahren Opfer, mit dem Opfer des Lobes antwortet.

In einem systematischen Abschnitt versucht zunächst der Dogmatiker Thomas Pröpper eine dogmatische Erschließung der Rede von der Gegenwart Gottes und Jesu Christi und wendet die von ihm entwickelte Struktur auf die Eucharistie an. Die Ökumenikerin Dorothea Sattler nutzt hingegen sprach- und kommunikationswissenschaftliche Ansätze für die Vertiefung einer Rede von der Gegenwart Gottes im Wort.

Der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards hinterfragt tradierte Formen des Wortgottesdienstes und stellt für Problembereiche sechs Thesen auf. Besonders der Feiercharakter des Wortgottesdienstes erweist sich als Desiderat, muss aber um des doxologischen Charakters willen eine monumentale Gestalt erhalten. Die Orte der Wortverkündigung bedürfen besonderer Gestaltung, wie sie z. B. in bipolaren Kirchenräumen zum Ausdruck kommt.

Der Praktische Theologe Christian Grethlein fragt, wie der überkonfessionell zu beobachtenden Krise der Predigt begegnet werden und diese vielmehr Luthers Forderung entsprechen kann, das Wort im Schwange zu halten. Er warnt vor einem Überschätzen von Wortgottesdiensten mit Predigt als Mittelpunkt und plädiert dafür, neue homiletische Ansätze (z. B. wirkliche Mündlichkeit der Predigt) fruchtbar zu machen, damit nicht Glaubenswahrheiten erklärt, sondern Erfahrungen des Glaubens geteilt werden. Zu fördern sind zudem die Gestaltung entsprechend unterschiedlicher Partizipationsformen am Christentum und die biographiebezogene Inszenierung des Evangeliums bei Kasualien.

Zwei weitere liturgiewissenschaftliche Beiträge widmen sich den in der katholischen Kirche auf Grund des Priestermangels immer häufiger anzutreffenden Wort-Gottes-Feiern. Manfred Probst reflektiert, was in diesen Gottesdiensten die Leitung durch beauftragte Laien bedeutet. Er stellt die unterschiedlichen Positionen innerhalb der theologischen Diskussion und die konkreten Regelungen der kirchlichen Dokumente dar, um darauf die Kategorie der Leitung in verschiedenen gottesdienstlichen Versammlungsformen in den Blick zu nehmen: Sobald es sich um einen Gottesdienst der Gemeinde handelt, bedarf es delegierter Leiterinnen und Leiter, die vom Bischof beauftragt sind. Benedikt Kranemann untersucht das "Lob- und Dankgebet", das in den Dokumenten für Wort-Gottes-Feiern am Sonntag gefordert wird. Nach liturgiegeschichtlicher Einordnung und exemplarischer Analyse publizierter Texte stellt er kritisch fest, "dass ein theologisches Konzept für diese Gebetssorte fehlt und dass mancher Aspekt der sonntäglichen Wortgottesfeier nicht hinreichend geklärt ist" (229). Weil diese Gebetsform immer wieder in die Nähe des Eucharistischen Hochgebets gerät, fragt er sogar, ob auf dieses Gebet nicht verzichtet werden kann. Auf jeden Fall sind höchste Ansprüche an Textqualität und Gestaltung zu stellen.

Zwei kleinere essayhafte Beiträge über heutige Gestaltung liturgischer Räume (Dieter G. Baumewerd) und das Verhältnis von kultureller Erfahrung und kirchlicher Liturgie (Manfred Plate) schließen den Band ab, der insgesamt treffend die Problembereiche reflektiert. Trotz mancher aufgezeigter Lösungsperspektive dürfte die grundlegende Schwierigkeit, dass die neue Relevanz von Wortgottesdiensten reaktiven Charakter hat, aber erst dann an Bedeutung verlieren, wenn die Wertschätzung der Hl. Schrift alle Lebensvollzüge der Kirche und nicht allein den Gottesdienst zu prägen vermag.