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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

73–75

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nitsche, Bernhard

Titel/Untertitel:

Göttliche Universalität in konkreter Geschichte. Eine transzendental-geschichtliche Vergewisserung der Christologie in Auseinandersetzung mit Richard Schaeffler und Karl Rahner.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. 558 S. gr.8 = Religion - Geschichte - Gesellschaft. Fundamentaltheologische Studien, 22. Geb. Euro 40,90. ISBN 3-8258-5136-2.

Rezensent:

Wolf Krötke

Das vorliegende Buch von 558 Druckseiten ist die gekürzte (!) und überarbeitete Fassung einer Dissertation, die im Jahre 2000 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen angenommen wurde. Sie widmet sich mit Hilfe von extensiven, hier nicht im Einzelnen darzustellenden Interpretationen der Religionsphilosophie Richard Schaefflers und der Theologie Karl Rahners einem seit Anbruch der Neuzeit immer wieder aufgeworfenen Problem (vgl. auch ThLZ 128 [2003], 229-232): Inwiefern kann in einer solchen Zeit einsichtig gemacht werden, dass in der singulären, kontingenten Geschichte des einen Menschen Jesus Gottes universale Geltung für alle Menschen beschlossen liegt? Für den Vf. ist dieses Problem heute vor allem in Hinblick auf den sog. "Absolutheitsanspruch" des christlichen Glaubens von Bedeutung. Es gilt, seine "totalitären" Zuspitzungen zu vermeiden, wie sie sich bei der Wendung der Kirche gegen Israel, beim frauenfeindlichen "Kyriarchat" oder der bloß negativen Sicht der Religionen gezeigt haben. Die Arbeit setzt mit der Darstellung dieser Problematiken ein (vgl. 22-44) und endet mit dem Versuch ihrer Lösung (vgl. 497-524). Dazwischen liegt die Auffindung des Schlüssels, der dabei anzuwenden ist und an dem der Vf. mit nicht geringem Aufwand feilt (vgl. 65-494): Es handelt sich um die "transzendentale" Interpretation der menschlichen Freiheit und des christlichen Glaubens, zu der Schaeffler und Rahner uns einen religionsphilosophisch und theologisch zusammenstimmenden Weg bahnen können.

Der erste Teil des Buches fragt nach der Bedeutung der "Geschichte im Horizont transzendentalphilosophischen Denkens" (vgl. 65-253), wie sie sich von Schaeffler als einem "Grenzgänger" zwischen Philosophie und Theologie her darstellt. Sein transzendentales Denken lässt ebenso wie die an der "klassischen Moderne" orientierten Konzepte transzendentaler Reflexion (H. Krings, D. Henrich, H. M. Baumgartner, vgl. 65-94) die Offenheit geschichtlicher Wahrnahme der Freiheit und die Unabschließbarkeit menschlicher Selbst- und Wirklichkeitsauslegung zu (vgl. 93 f.). Denn seiner apriorischen Begründung der Freiheit kann "komplementär" eine "lebensweltlich-phänomenologische" Perspektive zugeordnet werden, in der Freiheit konkret im Horizont einer (utopischen) Hoffnung auf die Einheit der Wirklichkeit wahrgenommen wird. Universales und geschichtlich Konkretes reimen sich hier also, indem das Konkrete sich auf Zukunft hin verwirklicht. Die "symbolische" Weltdeutung, die von daher möglich wird, öffnet auch für die Frage "nach Jesus Christus als dem universalen concretum Gottes in der Geschichte" (94). Der Vf. zeigt, wie sich die "variable Funktionalität des Transzendentalen" (233) bei Schaefflers Postulieren Gottes und seinen christologischen Versuchen im Rahmen einer "Logik der Erfahrung", einer "Ethik der Hoffnung" und einer "Ontologie der Repräsentation" des Heiligen niederschlägt (vgl. 189 ff.). Wenn Gott in der Geschichte konkret wird, dann nicht in absoluter, sondern in zukunftsbezogener Verwirklichung. Insofern zielt die transzendental-religiöse Philosophie auf eine "Inkarnationstheologie im Horizont eines futurisch-eschatologischen Konzepts" (253).

Die Futurisierung aller Freiheitsverwirklichungen und damit auch des Verständnisses Jesu Christi ist es denn auch, worauf es dem Vf. bei seiner Rahner-"Relektüre" ankommt (vgl. 255- 494). Rahners Theologie des Geheimnisses Gottes wird dabei einer "transzendentalphilosophischen Revision unterzogen" (262). Es geht einerseits darum, Glauben mit Hilfe dieser Philosophie "als legitime und sinnvolle Möglichkeit" auszuweisen. Andererseits soll unter "der Voraussetzung geglaubter Selbstkundgabe Gottes in Jesus Christus und im Geist der Gemeinde eine transzendentale Reflexion theologischer Art" ins Spiel gebracht werden (262). Wie diese "Zweistufigkeit" transzendentalen Denkens ineinander greifen kann, ohne zur theologischen Abwertung der ersten Stufe zu führen (vgl. 266-286), ist das leitende Interesse des Vf.s, das er durch Rahners Anthropologie (vgl. 289-340), Soteriologie (341-395) und Christologie (396- 494) hindurch verfolgt. Dabei zeigt sich: Das transzendental-philosophische "Postulat einer die endliche Freiheit in ihrer geschichtlichen Ambivalenz sowie in ihrer systemischen und existentiellen Aporetik rettenden und versöhnenden Wirklichkeit" bekommt "eine Funktion im Kontext antagonistischer Freiheit als Hoffnungsgröße angesichts des Leidens und Sterbens der Anderen und der innergeschichtlichen Paradoxie anamnetischer Solidarität" (326; Kursivierung getilgt). Auf Deutsch soll das wohl heißen: Freiheit kann nicht begründet werden, ohne des Scheiterns der Freiheit in den menschlichen Beziehungen eingedenk zu sein und einer Praxis der Liebe in der Hoffnung auf die Überwindung dieses Scheiterns Raum zu geben. In diesem Sinne wird auch die Christologie verträglich. Sie denkt die "gnadenhafte Modifikation der transzendentalen Freiheit und des transzendental-noumenalen Bewusstseins" als "Gottes Güte und Nähe in Jesus von Nazareth" (441). Sie kann "als einmalig radikalster Fall der sich selbst transzendierenden Anthropologie" auf Zukunft hin konzipiert werden (472).

Die Antworten auf die eingangs skizzierten heutigen "Herausforderungen" ergeben sich damit von selbst. Der "Absolutheitsanspruch" gehört zwar unabdingbar zum Glauben an die "Selbstzusage Gottes in der Geschichte Jesu und in der Geschichte der Geisterfahrung in der Gemeinde" (498). Er kann aber nicht absolut "bewiesen und demonstriert, sondern nur in seiner Potentialität als Zuspruch und Verheißung plausibilisiert und existentiell bezeugt werden" (499). Die futurisch-eschatologische Dimension des "Noch nicht" Jesu Christi hat zur Folge, dass der Dialog mit Israel als "Streit um die größere Hoffnung" (ebd.) ohne Anmaßung gegenüber Israel geführt werden kann. Sie ermöglicht eine neue "Form akyriarchaler Solidarität zwischen Männern und Frauen" (504). Sie erlaubt im Dialog mit den Religionen die Verwendung eines "symbolischen" Wahrheitsbegriffs, der auf den "Überschuß an Wahrheitsbestimmung" verweist, "welcher dem erkennenden Zugriff des Menschen entzogen bleibt" (518).

Dergleichen kann man in Kirche und Theologie heute freilich in breiter Weise auch ohne transzendental-philosophisch gerechtfertigte Transzendentaltheologie hören. Es verwundert darum ein wenig, dass der Vf. nicht weiter ausgreift und seine Einsichten (gerade von Rahner her!) an den Herausforderungen des Säkularismus und Atheismus, aber auch an einer flottierenden Religiosität zu bewähren versucht, die ja heute in Ost und West vor allem zur Infragestellung des christlichen Glaubens an Gott führen. Dennoch handelt es sich um einen wertvollen Beitrag zur Schaeffler- und Rahnerinterpretation. Er imponiert durch die Konsequenz, in welcher der Vf. seine Version transzendentalen Denkens entfaltet. Die zu Weitschweifigkeiten, vielen Wiederholungen und zu geschachtelten Anhäufungen von schlagwortartigen und manirierten Begriffen neigende Form der Arbeit allerdings strapaziert die Geduld des Lesers kräftig. In der Sache aber wird darauf zu achten sein, dass das im Namen der Hoffnung vollzogene Großmachen der faktisch scheiternden oder unvollkommenen Realisierung von Freiheit ihre transzendentale Begründung nicht am Ende zersetzt. Theologisch gesprochen: Das "Noch nicht" des Eschaton bzw. die "lichte und selige Finsternis" des "Deus semper maior" (vgl. 494) sollten nicht zu Argumenten für die Dialog- und Kommunikationsfähigkeit von Glaubenden im Umgang mit der Welt werden. Das kann dazu führen, die Geltung und Reichweite des Glaubens einzuklammern oder ihn unter Nichtglaubenden als bloß subjektive und irrationale Angelegenheit erscheinen zu lassen. Darüber, dass die christliche Hoffnung keinen Mangel des Glaubens ausgleicht, sondern aus seinem Reichtum lebt, dürfte von Rahner her sicherlich unschwer Einverständnis zu erzielen sein.