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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

42–44

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pao, David W.

Titel/Untertitel:

Acts and the Isaianic New Exodus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. X, 311 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 130. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-147420-1.

Rezensent:

Florian Wilk

Mit diesem Buch präsentiert P. die überarbeitete Version seiner unter Anleitung von F. Bovon verfassten, 1998 der Universität Harvard vorgelegten Dissertation. Sie untersucht die Apostelgeschichte und zumal deren Reiseerzählung auf der Basis des in ihr dokumentierten Schriftgebrauchs, um zu zeigen, dass sich ihr Verständnis erst von ihrem Rückbezug auf die jes Transformation der Exodusgeschichte her erschließe (1-5). Methodisch gesehen werden dabei explizite Jes-Zitate, der jes Einfluss auf das Grundgerüst der lk Erzählung und die Entfaltung jes Themen in Apg analysiert (18); denn solch eine Analyse sei forschungsgeschichtlich notwendig (5-17) und historisch plausibel (20-36).

Zunächst interpretiert P. das Zitat in Lk 3,4 ff. angesichts seiner mehrfachen Wiederaufnahme als hermeneutischen Schlüssel zum lk Doppelwerk. Einerseits werde die Apg von den in Jes 40,1-11 vorgestellten Grundthemen aus Jes 40-55 - Wiederherstellung Israels, universale Heilsoffenbarung, Macht des Wortes Gottes im Kontrast zur Ohnmacht der Götzenbilder und zentrale Rolle Jerusalems - beherrscht; andererseits sei die Weg-Sprache, mit der Jesaja die Exodus-Überlieferung wachrufe, um Gottes neues Heilshandeln anzusagen, in der Apg - ähnlich wie in Qumran - als "identity marker" gegenüber konkurrierenden Ansprüchen auf das Erbe der Tradition Israels verwendet (37-69).

P. deutet dann Lk 4,16-30; 24,44-49; Apg 1,8; 13,46 f.; 28,25-28 als für die Apg programmatische Stellen, deren Jes-Zitate und -Anspielungen die Identität der Christengemeinde als Gottesvolk im Bezug auf den jüdischen Widerstand gegen ihre Mission und auf die Aufnahme von Heiden bekräftigen; dabei habe Lukas aber im Blick auf Israel das Schema Gericht- Rettung [Jes 6 + 40] durch die Zitate in Lk 3 und Apg 28 umgekehrt (70-110).

Im Weiteren beschreibt P. den Einfluss der jes Grundthemen. Grundlegend sei die Rezeption der Vision der Wiederherstellung Israels mit all ihren Facetten in Apg 1-15: Sammlung der zwölf Stämme und Vereinigung beider Königreiche, Sammlung der Exulanten, Ausgießung des Geistes, Wiederaufrichtung der davidischen Königsherrschaft, Buße und Umkehr, Aufnahme der Ausgestoßenen (111-146). Auf dieser Basis würden die übrigen Themen verarbeitet: a) Wie der lineare Eroberungszug des Wortes von Jerusalem durch Samaria und Cäsarea bis nach Milet und Rom an Jes 2,3 erinnere, so seine Darstellung als des vollmächtigen Agenten Gottes an Jes 9,7; 40,8 u. ö.; und wie die Identifikation des Wortes mit der Christengemeinde [vgl. Apg 6,7; 12,24; 19,20 mit Ex 1,7.20] sich aus dem jes Zeugenmotiv herleite, so die Darstellung seiner Gegner als Feinde Gottes und seiner Heilsgabe als Erbe aus der Rezeption der Exodustradition samt ihrer jes Neufassung (147-180).

b) Die jes Götzenpolemik, die im Rahmen des Kontrasts zwischen Gottes Macht und der Ohnmacht der Weltvölker die Gültigkeit der Heilszusage an Israel unterstreiche, spiegele sich in Apg 17,16-34, in vielen Konfliktszenen und in 7,39-51 als Texten wider, die auf die universale Herrschaft des erhöhten Jesus verwiesen (181-216).

c) Die Ausrichtung auf die Heidenmission [vgl. Apg 1-3], die Paulus im Zeichen der Gleichstellung von Juden und Heiden vor Gott und im Konnex mit der jüdischen Verwerfung seiner Botschaft durchführe, transformiere das jes Programm der untergeordneten Einbeziehung von Heiden ins Heil (217- 248). - So bestimme das "Isaianic New Exodus program" Aufbau und Inhalt der Apostelgeschichte; Lukas definiere also christliche Identität auf der Basis der Gründungsgeschichte Israels (249 f.).

Diese These verdient Beachtung. In der Tat stellt Lukas das Wirken der Zeugen Jesu als den Vollzug der eschatologischen Neukonstituierung des Gottesvolkes dar (a) und greift an wichtigen Punkten auf das Jesajabuch zurück (b). Es gelingt P. auch, beide Sachverhalte durch gute Beobachtungen weiter zu erhellen, etwa (a) zum polemischen Kontext der Bezeichnung Weg, zum Außenseiter-Status des Eunuchen in Apg 8, zur Durchsetzungskraft des Wortes Gottes und zur identitätsstiftenden Funktion der Hinweise auf Götzendienst sowie (b) zum kritischen Rekurs auf Lk 3,4 ff.; 4,18 f. in Apg 28,25-28 und zum Konnex von Apg 7,47-51 mit 7,39 ff. Die vorgeschlagene Verknüpfung beider Faktoren entbehrt jedoch weithin der Plausibilität, da die Arbeitsweise von P. in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren ist. Bedenken weckt bereits die Leichtigkeit, mit der P. Linien von Lk- zu Apg-Stellen zieht. Dass das Evangelium a priori auf die Apostelgeschichte ausgerichtet war, ist keineswegs ausgemacht.

Weder Lk 3,6 noch 4,25 ff. handeln von der Heidenmission; hier geht es um die Gottesferne von Heiden und die Reichweite göttlicher Gnade, dort um die universale Bedeutung des Heilsgeschehens an Israel. Selbst in 24,47 ff. wird diese Mission den Osterzeugen nicht aufgetragen, sondern als Ziel des Heilshandeln Gottes und damit als Thema ihres Israel geltenden Zeugnisses vorgestellt. Ein eindeutiger Vorausverweis auf die Apg liegt an keiner Stelle vor.

Problematisch erscheint aber vor allem die Leichtfüßigkeit, mit der Jes-Bezüge hergestellt werden. So gewiss der lukanische Schriftgebrauch sich nicht in Zitaten erschöpft, so gewiss müsste dessen Analyse mit diesen beginnen und dann über sprachlich nachweisbare zu etwaigen thematischen Bezugnahmen fortschreiten, um in einer Zusammenschau aller Befunde das zu Grunde liegende Schriftverständnis zu erschließen. P. hingegen setzt mit einem bestimmten, von Jes 40-55 her entwickelten Gesamtverständnis des Jesajabuches ein, dessen Rezeption durch Lukas er dann mit einer Fülle formal nicht differenzierter, oftmals reichlich vager Schriftbezüge zu belegen sucht.

Es ist wohl bezeichnend, dass schon die Liste expliziter Schriftzitate in Apg (4, Anm. 15) fünf fehlerhafte Stellenangaben enthält und ein Element einer Zitatkombination [Apg 7,7 fin.] sowie eine Anspielung [4,11] als Zitate ausweist, während acht eindeutige Zitate [7,3.27 f.32.33 f.35.37. 40; 13,35] fehlen; von fünf Jes-Zitaten werden dann nämlich drei [7,49 f.; 8,32 f.; 13,34] nur en passant besprochen. Andererseits stützt P. gleich seine erste, grundlegende These von der programmatischen Funktion des Jes-Zitats in Lk 3,4 ff. auf eine Reihe schwacher Indizien: Von sechs angeblichen Querbezügen [1,17(?).76; 2,30; Apg 13,10(?).23-26(?); 28,28] ist nur der letzte zugleich relevant und eindeutig; die Verknüpfung der Rede vom Weg in Apg 9,2 u. ö. mit Jes 40,3 passt nicht zum Sinn des Satzes in Lk 3,4, wo es gemäß 1,76; 3,2 um die Berufung des Täufers geht; die behauptete thematische Relevanz des jes Kontextes mit seinen vier o. g. Motiven lässt sich sprachlich kaum verifizieren.

Dieses Verfahren wird dadurch noch fragwürdiger, dass P. den thematischen Analysen jes Texte stets deren hebräischen Wortlaut zu Grunde legt, obwohl Lukas aus der Septuaginta zitiert.

Die zahlreichen Abweichungen der Jes-LXX vom Masoretentext entziehen vielen von P. behaupteten Schriftbezügen den Boden. So spricht die LXX-Version, um nur wenige Beispiele zu nennen, weder in Jes 11,12 noch in 56,8 von Ausgestoßenen (zu 120 f.141 f.), in 40,8 und 55,11 vom rema, nicht vom logos Gottes (zu 147 f.165 f.) und in 43,10.12 von der Zeugenschaft des Gottesvolkes nur im Konnex mit der Zeugenschaft Gottes selbst (zu 93.170.224).

Bisweilen verwickelt sich P. dabei sogar in Widersprüche. Während das lk Zitat aus Jes 40,3 ff. im griechischen Wortlaut ausgelegt wird, basiert die Analyse von 40,1-11 auf dem hebräischen Text (38-51). In Lk 24,49; Apg 1,8 sieht P. die LXX-Fassung von Jes 32,15 angespielt, in Apg 3,20 hingegen die Symmachus-Version (92.122.132 f.). Zu 17,27 stellt er den LXX-Text von Jes 55,6 neben eine Übersetzung aus dem Hebräischen (196).

Andererseits führt seine Vorgehensweise wiederholt zu zweifelhaften Auslegungen von Apg-Texten; insbesondere wird die lk Auffassung einer Neudefinition jüdischer Identität und der daraus resultierenden bleibenden Beziehung des eschatologischen Gottesvolkes auf Israel verkannt.

Letzteres betrifft u. a. die Interpretation von Apg 1,8 als Ausblick auf die Heidenmission, die Auslegung der Samaria-Texte im Zeichen der Wiedervereinigung von Nord- und Südreich sowie die These einer fortschreitenden Einengung der Sendung des Paulus auf die Heiden. Bedenklich sind ferner die Wertung des Ausdrucks "der Weg" als Selbstbezeichnung der Christen, die Verknüpfung des Zitats in 13,46 f. mit der Rede von Jesus als Gottesknecht, die Einordnung von Antiochia und Rom in den Eroberungszug des Wortes und die Deutung von 19,23-40 auf die überlegene Macht des Wortes.

Unangemessen ist schließlich die Rede von einer Transformation jes Konzeptionen durch Lukas; denn dabei misst man einen frühchristlichen Autor an modernen exegetischen Einsichten.

Alles in allem hat P. jedoch ein interessantes Buch vorgelegt, das der weiteren Forschung am lk Doppelwerk ein wichtiges Thema vorgibt und etliche Anregungen zu dessen weiterführender Bearbeitung enthält.