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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

40–42

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. VIII, 231 S. 8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-1898-6.

Rezensent:

Christof Landmesser

Der historische Jesus wird gegenwärtig intensiv diskutiert, ein einheitliches Jesus-Bild entsteht dadurch aber nicht. Es ist deshalb verdienstvoll, dass sich die Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie auf ihrer Jahrestagung 2001 anlässlich des 75. Jahres nach dem Erscheinen von Bultmanns Jesus-Buch mit der Forschungslage auseinander gesetzt und weitere Fragestellungen eröffnet hat.

A. Lindemann (1-21) führt instruktiv in die Frage nach Jesus als historisches und theologisches Problem ein. Er stellt die Diskussion bis Bultmann dar; es folgt eine erhellende Skizze der Position Bultmanns und der Anfrage Käsemanns an diesen. Zuletzt orientiert er über die folgenden Beiträge des Bandes und tritt in ein Gespräch mit diesen ein.

W. Schmithals (23-60) rekonstruiert die Hintergründe der Entstehung des Jesus-Buches Bultmanns und nimmt Stellung zum Einfluss Heideggers. Er erörtert die theologische Bedeutung des Jesus-Bildes Bultmanns im Kontext der existentialen Interpretation und benennt dessen Aporien, die er darin sieht, dass Ostern als Zäsur zwischen dem Verkündiger Jesus und dem verkündigten Christus nicht überzeuge (52-57).

G. S. Oegema (61-90) versucht, das Verhältnis Jesu zum Judentum zu skizzieren. Der Bultmannsche Jesus sei in unangemessener Weise von jüdischen Zügen befreit worden (66) und spiegele nur Bultmanns eigene Theologie (72). Im Anschluss an die Q-Forschung und mit dem Ziel der "Loslösung der frühest faßbaren vorsynoptischen Tradition von der Vorherrschaft einer kerygmatischen Interpretation" (88) ergebe sich "eine hermeneutische Notwendigkeit, von einem historischen Jesus auszugehen, und zwar von dem geschichtswissenschaftlichen und theologischen Konstrukt eines historischen Jesus" (89).

D. du Toit (91-134) stellt jüngere Jesus-Bücher vor (Borg, Horsley, Crossan, Sanders, Becker). Diese verstehen sich im Rahmen moderner historischer Kritik (108 f.), fragen nach Jesus in seinem Kontext (109-114) und geben das Differenzkriterium zu Gunsten der Frage nach der Individualität Jesu im jüdischen Kontext auf (114-116). Er erkennt "eine extreme Uneinheitlichkeit" der aktuellen Jesusforschung, weshalb eine "umfassende Theorie zur Beschreibung der Überlieferungsprozesse im frühen Christentum" zu fordern sei, die den formkritischen Ansatz überwinden solle (134).

N. Walter (135-151) verfolgt die Frage nach dem historischen Jesus mit einer Exegese von Lk 7,24-35. Dort werde erkennbar, dass Jesus selbst "Johannes nicht als Konkurrenten sieht, ... sondern als gleichrangigen Partner beim Werben Gottes um Gehör bei seinem Volk" (146). Solche Aussagen zum historischen Jesus beruhen in ihrer Bestimmtheit auf weitgehenden überlieferungsgeschichtlichen Hypothesen, die Walter auch kenntlich macht und begründet.

Nach R. Zimmermann (153-188) stehen die Versuche, den historischen Jesus als Ausgangspunkt für eine neutestamentliche Christologie zu wählen, in der Gefahr eines Zirkelschlusses, da "ein Bild des historischen Jesu [sic] erst konstruiert werden [muss], von dem aus dann wiederum die Entwicklung der Christologie abgeleitet wird" (161). Bultmanns historische Verortung des kerygmatischen Christus teile dieses Problem (169). Der Gewinn der existentiellen Interpretation [sic] sei, dass der Fragende hermeneutisch mit einbezogen sei (170). Zimmermann schlägt eine wirkungsästhetische Perspektive vor. Sinn entstehe "in der Wechselwirkung zwischen dem Text und dem (gegenwärtigen) Leser" (172 f.), was er am Beispiel der metaphorischen Christologie des Johannesevangeliums (174-183) erläutert. Diese wichtige Erweiterung der Fragestellung ist jedoch mit einer Reduktion verbunden. Die Frage nach der mit den Texten intendierten Wirklichkeit in der Geschichte und ihrer Interpretation in der Gegenwart wird nicht hinreichend berücksichtigt (vgl. auch die Anfrage Lindemanns, 19).

J. Fischer diskutiert die Hermeneutik christologischer Aussagen (189- 198). Im Glauben wird der Glaubende in seiner Beziehung zu Gott lokalisiert (191). Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich durch praktische Erkenntnis, die das Handeln Gottes wahrnimmt, nicht aber auf dem Weg der theoretischen Erkenntnis (192). Der Glaube kann sich nicht am historischen Jesus orientieren, sondern nur am Christus praesens (193). Um dies wahrzunehmen und die Frage nach Jesus nicht in der banalen Bestimmung seiner menschlichen Besonderheit ausklingen zu lassen, muss mit den neutestamentlichen Texten die Geschichte des Menschen Jesus erzählt werden, in der Gott begegnet (197).

Eine Predigt von D. Meyer zu Mk 7,31-37 aus dem Jahr 1952 (201- 206), eine briefliche Reaktion Bultmanns darauf (207 f.) und N. Walters Überlegungen, was er Bultmann theologisch verdanke (209-225), runden den Band ab.

Der von Lindemann und Schmithals angedeuteten Komplexität der Bultmannschen Position werden diejenigen kaum gerecht, die vorschnellen Konstruktionen von Jesus-Bildern folgen. Bultmanns Vorstellung von Geschichte wäre noch genauer zu bedenken. Konsensfähige Ergebnisse bietet die Jesus-Forschung derzeit nicht. Die Forderung von du Toit nach einer reflektierten Methodologie hat also ihr Recht. Die von Zimmermann und Fischer notierten Anfragen sollten die hermeneutisch zu reflektierende Bedeutung der neutestamentlichen Texte in Erinnerung bringen und die theologische Perspektive bei der Frage nach Jesus wieder in den Mittelpunkt rücken.