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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

33 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Goldenstein, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Gebet der Gottesknechte. Jesaja 63,7-64,11 im Jesajabuch.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XII, 291 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 92. Geb. Euro 49,90. ISBN 3-7887-1858-7.

Rezensent:

Ernst Haag

Die bei L. Perlitt angefertigte Göttinger Dissertation widmet sich der Untersuchung der von der Forschung bisher als Volksklage über die Zerstörung Jerusalems (im Jahre 587 v. Chr.) angesehenen und wegen ihres theologischen Aussagegehaltes hochgeschätzten Perikope Jes 63,7-64,11, deren Herkunft, Entstehung und Verwendung jedoch durch neue Hypothesen über die Fortschreibung des Jesajabuches in dem tritojesajanischen Textcorpus zu einem exegetischen Problem geworden ist. Die Untersuchung verfolgt daher ein doppeltes Ziel: In erster Linie will sie die Entstehungsgeschichte der Perikope "im Spannungsfeld zwischen Klage und Prophetie, zwischen Psalmen und Prophetenbuch erhellen und eine Erklärung für die vielen und recht breit gestreuten Bezüge und Anspielungen zu geben versuchen." In zweiter Linie will sie an einem kleinen Ausschnitt die von O. H. Steck vertretene These zur Entstehung des Tritojesaja-Corpus (bzw. des Jesajabuches) "daraufhin prüfen, ob sich das Fortschreibungsmodell an seinem schwersten Prüfstein bewährt oder nicht" (31).

Nach einem Überblick über die Forschungsgeschichte zu Jes 63 f. (A) untersucht der Vf. die Perikope im Kontext ihrer literarischen Horizonte, wozu vor allem die alttestamentlichen Volksklagelieder und Bußgebete sowie das Jesajabuch selbst gehören, und findet hierbei, dass die Perikope mittels "kreativer Rezeption der Jesajaüberlieferung im Lichte anderer alttestamentlicher Überlieferungsströme" ihr literarisches Aussageprofil als "ein Psalm für das Prophetenbuch" (150) erhalten hat (B). Diesen Befund untermauert der Vf. mit Bezug auf den Kontext der Perikope im Jesajabuch in mehreren, unterschiedlichen Arbeitsgängen; zunächst im Hinblick auf die festgestellten Referenztexte: die Überführung der Heilsweissagungen aus Deutero- (Jes 42-46.51.54) und Tritojesaja (Jes 60-62) in die Klage, die Neuformulierung von Sündenaussagen (Jes 57.59) im Licht des Verstockungsauftrages (Jes 6), die Übertragung der Rede vom leidenden Gottesknecht (Jes 53) auf das Gottesvolk selbst und schließlich den Rückbezug des Klagegebetes auf den Anfang des Buches nach der Stilfigur der Inclusio (Jes 1,1-63 f.); sodann durch die Überprüfung des Gebetsanschlusses an den voranstehenden Kontext (Jes 62,8-63,6) und der Motive für die Anfügung der Volksklage; weiterhin durch die Untersuchung der Eigenart von Jes 63 f. als Einzelfortschreibung im Jesajabuch und zu guter Letzt durch die Analyse der Antworten auf die Volksklage (Jes 65,1-66,24) am Ende des Buches (C). Ausführungen über die Datierung der Perikope (Ende des 4. bis Mitte des 2. Jh.s v. Chr.) und den theologiegeschichtlichen Ort (Affinitäten zum Chronistischen Geschichtswerk und Abhängigkeiten von Jer 31) (D) sowie ein Überblick über den Ertrag der Arbeit (E) beschließen die Dissertation. Es folgen ein Literaturverzeichnis, ein Anhang I mit Jes 63 f. in deutscher Übersetzung und ein Anhang II mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse in englischer Sprache, dazu ein Stellen-, Stichwort- und hebräisches Wortregister.

Wenn der Vf. im Vorwort bekennt, dass sein Doktorvater ihn als Promovenden "vor dem Leichtsinn des Anfängers" dadurch bewahrt hat, dass "er gegen die auslegungsgeschichtliche Mode die exegetische Methode und gegen den intertextuellen Entdeckungseifer die kritische Besonnenheit des Historikers" deutlich herausgestellt hat, dann kann man im Rückblick auf die inhaltlich überzeugende Leistung des Schülers nur sagen: Er hat seinem Lehrer alle Ehre gemacht.

Zwei Anmerkungen seien jedoch hinzugefügt. Die theologisch teilweise missverständlichen Ausführungen über die Anklage Gottes wegen der Irreführung seines Volkes und der Aufrechterhaltung des Zustandes seiner Verstocktheit (vgl. Jes 63, 17; 64,4-6), die der Vf. als "Mitbeteiligung Jahwes am Sündenzustand des Volkes" (125) versteht, hätten an Klarheit gewonnen, wenn er die Schöpfungs- und Geschichtsplanung Gottes als Deutehorizont und die Realität der Macht des Bösen, die zur Abfassungszeit von Jes 63 f. nachweislich (vgl. 2Sam 24,1 mit 1Chr 21,1) reflektiert worden ist, zusätzlich berücksichtigt hätte. Zu fragen wäre sodann, ob formgeschichtlich als Vorbild für Jes 63 f. nicht die kollektive Version der "Gerichtsklage des leidenden Gerechten" gedient hat, bei der es primär nicht mehr um die Darstellung einer äußeren Not, sondern um die betende Aufarbeitung und Bewältigung einer den Glaubensvollzug belastenden Leiderfahrung der "Knechte Gottes" geht (vgl. R. Brandscheidt, Gotteszorn und Menschenleid, Trier 1983).