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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

30

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gremmels, Christian, u. Wolfgang Huber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion im Erbe. Dietrich Bonhoeffer und die Zukunftsfähigkeit des Christentums.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 342 S. m. 1 Porträt. 8. Kart. Euro 34,95. ISBN 3-579-05383-3.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie lebendig international zur Theologie von Dietrich Bonhoeffer geforscht wird, kann sich diesen anhand des angezeigten Sammelbandes verschaffen. Er enthält die Vorträge des VIII. Internationalen Bonhoeffer Kongresses, der vom 15. bis 20. August 2000 in Berlin stattfand. Die einundzwanzig Beiträge des Bandes erkunden in verschiedenen Hinsichten die theologische Religionskritik Bonhoeffers, die in die These vom "religionslosen Christentum" mündet. Angesichts der Tatsache, dass sich heute unübersehbar "die Rückkehr der Religion ins öffentliche Bewusstsein vollzieht" (Vorwort, 12) und die "Wiederkehr der Religion" (Vorwort, 11) auch fachwissenschaftlich längst gesichtet worden ist, stellen sich die Autoren der Frage, ob Bonhoeffers Religionskritik damit obsolet geworden sei. Trotz jeweils unterschiedlicher Forschungsinteressen unterstützen die Beiträge die Auffassung, "dass Bonhoeffers Religionstheorie sich theologisch bewährt, wenn es darum geht, zur Religion im Erbe des Christentums kritisch Stellung zu nehmen" (Vorwort, 12). Die Religionskritik Bonhoeffers bleibe "gültig in der Erkenntnis, dass die Wahrheit der christlichen Religion nicht mehr unabhängig von ihrer Bestreitung unterstellt werden kann" (ebd.). Damit verbindet sich die Überzeugung, dass ein Bewusstsein von der Beschädigung der christlichen Religion konstitutiv sei für ihre Zukunftsfähigkeit - eine Überzeugung, die man ohne Zweifel ganz besonders deutlich in der Auseinandersetzung mit Bonhoeffer gewinnen kann.

Unter den drei als "Positionen" zusammengefassten Eingangsbeiträgen sei der Beitrag von Wolfgang Huber besonders erwähnt, welcher von Bonhoeffers Freiheitsethik ausgehend die "Aktualität christlicher Freiheit in den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit" (17 ff.) aufzeigen möchte. Die folgenden deutsch- und englischsprachigen Beiträge des Bandes sind den Themenfeldern "Religion und Moderne", "Kontextualität und Pluralität", "Vorbild und Zeugnis", der Zukunft der Ökumene, bestimmten Perspektiven der Ethik Bonhoeffers und schließlich seiner Erkenntnistheorie und der Frage nach der Vermittelbarkeit seiner Position heute gewidmet. Im Blick auf das Anliegen des Bandes ist der Beitrag von Sabine Dramm besonders hervorzuheben, weil sie zu zeigen sucht, dass die "Denkfigur eines religionslosen Christentums" (319) nicht überholt, ja als "U-topie" (ebd.) nicht einmal eingeholt sei. Diese Perspektive wird verstärkt durch den Versuch von Peter Zimmerling, "Bonhoeffer angesichts des religiösen Pluralismus neu zu lesen" (321 ff.). Das Potential Bonhoefferschen Denkens für die Zukunftsfähigkeit des Christentums liegt dabei bereits in seinem Ansatz zu einer "nichtreligiösen", christlichen Erkenntnistheorie, wie Christine Tietz-Steiding zeigt. In der Konsequenz dieses Ansatzes liege es nämlich, "dass dem neuzeitlichen, mündigen Menschen nicht mehr unterstellt werden darf, er vermöchte ohne den Glauben kein angemessenes Welt- und Selbstverständnis zu entwickeln" (307). Den Ort, an dem sich die Bedeutung der Theologie Bonhoeffers für die Zukunftsfähigkeit des Christentums letztlich bewähren muss, zeigt die Auswahl des Schlussbeitrages an: Hier ist die Predigt zu lesen, die Christian Gremmels beim Eröffnungsgottesdienst zum Kongress im Berliner Dom gehalten hat.