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Ausgabe:

Januar/2004

Spalte:

28 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ternes, Charles Marie, et Hartmut Zinser [Eds.]

Titel/Untertitel:

Dieux des Celtes - Götter der Kelten - Gods of the Celts.

Verlag:

Luxembourg: Eurassoc 2002. XIV, 285 S. m. zahlr. Abb. 8 = Etudes luxembourgeoises d'histoire & de science des religions, 1. Kart.

Rezensent:

Stefan Zimmer

Das technisch bescheiden ausgestattete Bändchen publiziert die Vorträge (leider nicht den von G. Bauchhenß über Hercules) der gleichnamigen Tagung vom 12.10.2001. Die Beschränktheit des hier zur Verfügung stehenden Raums erlaubt leider nur einige ganz knappe Bemerkungen.

Die Qualität religionswissenschaftlicher Arbeiten ist in hohem Maße von den Quellen abhängig, die von den philologischen, theologischen und ethnographischen Disziplinen bereitgestellt werden. Philologie bedarf der Sprachwissenschaft zur Erhellung des oft dunklen Wortschatzes sowie der Literaturwissenschaft zur Interpretation. All diese müssen sich auf die Grundlagen, die die Geschichtsforschung erarbeitet hat, verlassen können. Die Gefährlichkeit der Situation ist bekannt: Hypothesengebäude werden nicht besser, wenn sie auf Hypothesen von Nachbarfächern beruhen, usw. In populären Publikationen über die Religion der Kelten wird das gewöhnlich verschwiegen, mit in der Regel unhaltbaren Ergebnissen. Umso mehr ist zu begrüßen, dass in dem hier anzuzeigenden Werk der Versuch unternommen wird, einen Dialog der beteiligten Fächer zu initiieren. Leider ist in den Druckfassungen davon nicht viel zu bemerken.

A. Demandt (Althistoriker) geht die bekannten Zeugnisse für den "Baumkult der Kelten" durch; da er keltologische Fachliteratur nicht benutzt, leider mit einigen sprachlichen Fehlern. Unwahrscheinlich bleibt die Verknüpfung des neugefundenen sog. Kultbäumchens von Manching mit einem Relief auf dem (nach wie vor rätselhaften) Kessel von Gundestrup. Die Ausführungen zur Ogam-Schrift sind fehlerhaft; warum wurde D. McManus, A Guide to Ogam, 1991, nicht benutzt? Warum ist dem auf R. (Ranke-)Graves, The Withe Goddess, 1948, zurückgehenden Unsinn so viel Aufmerksamkeit geschenkt worden? Das Thema der Tagung war nicht moderne Keltomanie (übrigens irrt der Hrsg. Zinser gewaltig, wenn er dieses Phänomen erst "in den letzten Jahrzehnten" aufkommen sieht, V).

M. Hainzmann (Althistoriker) stellt (auch zweifelhafte) epigraphische und literarische Zeugnisse für "Taranis-Jupiter" zusammen. Seine Interpretationen sind auffällig unkritisch. Auf das grundlegende Problem, ob Taranus/Taranis und Tanarus dasselbe Lexem darstellen, geht er nicht ausreichend ein (vgl. die Literatur bei X. Delamarre, Dictionnaire de la langue gauloise, Paris 2001, 245, vermehrt in 2. Aufl. 2003, 290); warum einzelne Belege eher Götter- als Personennamen sein sollten, wird nicht begründet. Die Gottheit wird flugs als "keltischer Wettergott" (zweimal) klassifiziert und ihr ein "verwandtschaftliches Verhältnis" zum römischen Jupiter unterstellt. Ohne weitere Spezifikation ist das eine sinnlose Aussage. Auch Jupiter ist mit "römischer Wettergott" kaum angemessen charakterisiert.

F. Beltrán Lloris (Sprachwissenschaftler) unterzieht in "Les dieux des Celtibères orientaux et les inscriptions" die acht einschlägigen Belege einer eingehenden Kritik. Dabei werden fünf als unsicher bzw. auf Fehllesung beruhend ausgeschieden; selbst Luguei auf der Felsinschrift von Peñalba de Villastar ist nicht als Theonym gesichert; Silbis (auf Münzen aus Tarazona bei Saragossa) könnte eine Personifikation wie lat. Iustitia, Salus, Pietas bezeichnen; die wohl verstümmelte Wortfolge []uaporconi (auf einem Altar aus Sos del Rey Católica bei Saragossa) könnte den Dat.Sg. eines Götternamens enthalten.

B. Maier (vgl. Religionswissenschaftler und Keltologe), Autor der bekannten Standardwerke (Lexikon der keltischen Religion und Kultur, 1994, engl. 1997, jap. 2001; Die Religion der Kelten, Götter-Mythen-Weltbild, 2001), behandelt einige frühere Versuche, "Die Götter der Kelten im Spiegel der ältesten irischen Sprachzeugnisse" wiederzufinden, wobei vielfach irische Texte bzw. Lexeme unrichtig interpretiert wurden. Akzeptiert wird die Zusammenstellung des gallischen GN Cicollos mit dem irischen PN Cichuil (beide etwa dessen Schutz groß ist) sowie des gallischen PN und Götterepithetons Moritasgus mit dem irischen PN Tadhg Dachs: Moritasgus wäre dann ein Wasserdachs im Sinne von Otter. Dagegen lehnt Maier weiterhin die übliche Erklärung des ON Lug(u)dunum als Festung des [Gottes] Lugus zu Gunsten von Festung der Krieger ab (mit einer poetischen Bedeutungsübertragung Luchs > Krieger).

B. Sergent (Indogermanist) versucht, die "Äquivalenz" von "Maponos et Nechtan" zu erweisen, ausgehend von einer Interpretation der gallischen Fluchtafel von Chamalières (gegen Sergents "homme" ist nicht sicher, dass deren Schreiber ein Mann war), gestützt auf eine eigentümliche Interpretation der mittelkymrischen Erzählung (kein "roman", wie S. sagt) von Culhwch und Olwen, in der Mabon (die kymrische Form des alten Maponos) zwei kleine Rollen spielt: einmal als Gefangener auf einer Insel (wohl in einem Binnengewässer, nicht im Meer, wie S.s "prison ... marine" suggeriert), einmal als Kämpfer in einer Flussmündung. Das reicht keinesfalls aus, Maponos, den großen Sohn, als "dieu des sources, de l'eau", "dieu si a l'aise dans l'eau, dieu des sources prophétiques et juridiques" zu bestimmen, auch wenn er unbestreitbar der Sohn der großen Mutter Matrona (> FlN Marne) ist. Mit dem irischen Nechtan, dem Gatten der irischen Flussgöttin Boand (h. Boyne), der einen wahrsagenden Brunnen besitzt, hat er nicht viel gemein. Falsch bestimmte Namen: Atepomaros ist nicht "le Très Grand Cheval", sondern benennt allenfalls jemanden als durch besonders große Pferde charakterisiert (verstärkendes Präfix + umgekehrtes Bahuvrhi-Kompositum); irisch Boand heißt nicht "Vache Blanche", sondern durch weiße Kühe charakterisiert (ebenfalls umgekehrtes Bahuvrhi-Kompositum; in beiden Fällen wird es sich um Wunschnamen handeln, dass nämlich die Gottheit das Entsprechende ihren Verehrern gewähren oder verschaffen möge); die urgermanische Form von anord. Ódinn, ahd. Wuotan lautet *Wodanaz (nicht mit -th- zu schreiben; der Zirkumflex auf -ô- ist überflüssig, da urgermanisch o per definitionem lang ist).

J. Carey (Keltologe) untersucht in "Nodons, Lugus, Windos" den möglichen mythologischen Hintergrund der etymologisch entsprechenden irischen und walisischen Sagenfiguren irisch Núadu = kymrisch Nudd/ Lludd, irisch Lug = kymrisch Lleu (dazu Lleu-elys?), irisch Find = kymrisch Gwynn. Nach umfassender Interpretation stellt er fest, dass eine genaue Rekonstruktion des Mythos nicht möglich ist, wagt aber dennoch eine Skizze: Nodons ist ein Gott und König, *Windos (mit Asterisk zu schreiben, da als altkeltischer Göttername nicht belegt) sein Nachfahre. Lugus ist ein Fremder, der zuerst Nodons' Reich angreift, seine Tochter oder Enkelin entführt, schließlich jedoch Nodons von einem mit magischer Musik arbeitenden Dieb befreit. Leider wird der vor allem in Britannien bezeugte Gott Nodons dabei kaum in Betracht gezogen.

F. Marco-Simón (Althistoriker) geht methodischen Fragen, insbesondere der geographischen Verteilung von Kultstätten der "Hispano-Celtic Gods", nach.

M. Altjohann (Archäologe) stellt die Frage: "Cernunnos?" und beantwortet sie nach umfassender ikonographischer Untersuchung negativ: Eine gallische oder gallo-römische ("gehörnte") Gottheit dieses Namens lässt sich nicht glaubhaft machen. Zu ganz ähnlichen Schlüssen ist die Keltologie schon längst gekommen (P. Sims-Williams, persönliche Mitteilung ca. 1992), u. a. wegen des -e-, das lautgesetzlich ein -a- sein müsste, wenn das Wort zu "Horn" oder "Hirsch" gehören sollte (Maier 1994, 74).

Ch. O. Tommasi Moreschini (Klass. Philologin) untersucht in "Lucan's treatment of Celtic religion" die "ethnographic interests and ideological purposes" des Autors (mit deutlichen Schwächen in der keltischen historischen Sprachwissenschaft).

J.-L. Bruneaux (Archäologe) bespricht rein archäologisch "Les dieux souterrains des Celtes et leur culte en Gaule du nord". Keinem Kultplatz wird ein Theonym zugewiesen. B. vertritt die (für Keltologen wie Indogermanisten ganz abwegige) These, die gallischen Gottheiten seien anikonisch gewesen und nicht in menschlicher Form vorgestellt worden. Die keltische Philologie und Sprachwissenschaft scheint gar nicht zur Kenntnis genommen.

T. Luginbühl (Archäologe) schließt aus der Verteilung der "Théonymes celtiques de l'Helvetie et des régions voisine" auf die Möglichkeit, den Regionalkult näher zu fassen, warnt aber (m. E. völlig zu Recht) davor, die "vielleicht manchmal trügerische" (meine Übersetzung) Statistik überzubewerten.

Der Stand der Erforschung der Religion der altkeltische Sprachen sprechenden Völker wird in dem Band ausreichend deutlich. Sprachlich-philologische Grundlagen und methodische Strenge werden noch bedauerlich oft vernachlässigt.