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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1348 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Maren

Titel/Untertitel:

Parochie. Chancen und Risiken der Ortsgemeinde.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 233 S. m. Abb. u. Tab. 8. Kart. Euro 18,80. ISBN 3-374-02006-2.

Rezensent:

Herbert Lindner

Die evangelisch-theologische Fakultät der Universität Halle-Wittenberg und die Kirchenprovinz Sachsen machen mit diesem Berichtsband die Ergebnisse eines Kolloquiums zu einer zentralen Frage künftiger Kirchenentwicklung einem breiteren Leserkreis zugänglich.

Die Lage in der Kirchenprovinz verdeutlichen drei Berichte (einmal aus Sicht des Bischofs Axel Noack, dann eher aus städtischer Perspektive Michael Lehmann und aus ländlicher Perspektive Bodo Seidel). Sie geben Farbe und zeigen die Größe der Aufgabe. Ihnen ist ein eher resignativer Unterton gemeinsam. Sie protokollieren die hartnäckige Veränderungsresistenz vorhandener Gemeindestrukturen.

Die historische Perspektive wird von Eberhard Winkler knapp und kundig zusammengefasst und mit Hilfe der Dimensionen von "Freiwilligkeitskirche" und "Volkskirche" gedeutet. Aus der Zunahme freikirchlicher Elemente im volkskirchlichen Rahmen erwartet er belebende Impulse für die Zukunft.

Zwei gewichtige praktisch-theologische Beiträge bereichern die aktuelle Diskussion: Jan Hermelink verknüpft die Pluralität der Gottesdienstformen vom all-sonntäglichen Gemeindegottesdienst über die Festtagsgottesdienste, die Kasualgottesdienste und die Gruppengottesdienste mit der Pluralität der volkskirchlichen Bindungsformen und weist damit deren ekklesiologische Qualität auf. Ursula Pohl-Patalong analysiert umfassend die soziologischen und theologischen Argumente pro und contra Ortsgemeinde und zeigt die Konfliktlinien auf, um die es hier geht. Um diese zu überwinden, entwirft sie ein Konzept der "Kirchlichen Orte"- das hier nicht weiter ausgeführt wird.

Zur Erklärung der Stabilität der lebensweltlichen Gemeinde und der aktuellen Probleme bei Strukturreformen hilft der Beitrag von Hartmann Tyrell insofern, als er an die Spannungen zwischen Religion und Organisation erinnert und die Segmentierung der Kirchengestalt durch Ortgemeinden beschreibt. Solche Systeme lassen sich nicht bruchlos mit organisationstheoretischen Ansätzen verändern - zumindest brauchen sie eine spezifische Ausformung.

Volkhard Krech diskutiert den Pfarrberuf unter dem Professionsaspekt und kommt zu der etwas überraschenden Lösung der Debatte, indem er die vermehrte Gründung von gemeinschaftsbildenden Hauskreisen empfiehlt.

Michael Kilian bringt die gesellschafts-politische und juristische Perspektive ein. Allerdings verschwindet das Thema häufig hinter einer Fülle von teils nicht unproblematischen Allgemeinplätzen und Kaminplaudereien. Was als Redebeitrag vielleicht ganz unterhaltend gewesen sein mag, will im Kontext des Berichts nicht so recht passen.

Dieser Band bietet einen guten und knappen Überblick über wichtige Aspekte des Themas auf konkretem Hintergrund. Lösungen für die Zukunft der Ortsgemeinden in der Landeskirche werden nicht angeboten. Vielleicht liegt das auch an einer auffälligen Leerstelle. Dass viele Mitglieder sich zum Thema Ortsgemeinde anders verhalten, als es kirchenleitender Logik entspricht, taucht eigentlich nur als Störung auf. Zwar spielt in Jan Hermelinks und auch in Uta Pohl-Patalongs Beiträgen die Mitgliederperspektive eine Rolle, die Ansätze werden aber in dem Buch für die Fragestellung nicht gebündelt oder weitergeführt. Möglicherweise hätte eine Diskussion über "Glaube und Raum" hier neue Fragestellungen eröffnet.