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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1343 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

1) Wenz, Gunther 2) Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

1) Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. Bd. 1. 2) Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. Bd. 2.

Verlag:

1) Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2000. 336 S. 8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7859-0815-6. 2) Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2002. 365 S. 8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7859-0858-X.

Rezensent:

Friederike Nüssel

In der Diskussion um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und der daran anschließenden aktuellen ökumenischen Debattenlage kann man auf evangelischer Seite immer wieder die Sorge vor einem protestantischen Identitätsverlust verspüren. Diese Sorge wiegt umso schwerer, als vielfach unklar zu sein scheint, worin protestantische Identität überhaupt besteht. Beiträge zu dieser Frage sind darum in besonderer Weise gefragt. Was speziell die lutherische Identität kennzeichnet, untersucht Gunther Wenz in den beiden angezeigten Aufsatzbänden im Rekurs auf das Erbe der Wittenberger Reformation und der lutherischen Bekenntnistradition.

Dieses Erbe enthält seinerseits, wie W. im Vorwort zum ersten Band thetisch bemerkt und im Fortgang zeigt, die Verpflichtung, "sich auf das Gemeinchristliche zu besinnen" (I, 7). Eine solche Besinnung ist nach W. deshalb "an der Zeit" (I, 8), weil "das Christentum in sein ökumenisches Zeitalter eingetreten, die Epoche des Konfessionalismus unwiederbringlich vergangen" (ebd.) sei. Darum lasse sich das Erbe der Wittenberger Reformation "nur unter ökumenischem Vorzeichen zeitgerecht pflegen" (ebd.). Als Leitgedanke der von W. vorgelegten Untersuchungen fungiert dabei die Überzeugung, "daß Christentum und Konfessionalität weder zu trennen, noch unterschiedslos gleichzusetzen" (I, 7) seien.

Den Auftakt zur konkreten Besinnung auf die lutherische Identität bildet im ersten Band der Aufsatz zu Luthers großem Bekenntnis von 1528. Im Fortgang wird das Erbe der Wittenberger Reformation ausgeleuchtet durch Studien zu Luthers Auslegung der Zehn Gebote in den Katechismen, zum Streit mit Erasmus von Rotterdam über die Willensfreiheit, zu Melanchthon als ökumenischem Vermittlungstheologen, zu Konfessionsstreit und politischer Ordnung, zum Gedanken der unio cum Christo als einer Leitkategorie in der finnischen Lutherforschung und zu Toleranz und Intoleranz im Umkreis der Wittenberger Reformation. Abschließend demonstrieren ein Resumée zur fünften Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Santiago di Compostela 1993 und eine ökumenische Reflexion zur Ekklesiologie aus Anlass des sog. Evangelischen München-Programms, wie eine im Erbe der Wittenber- ger Reformation verwurzelte lutherische Identität in Auseinandersetzung mit aktuellen ekklesiologischen Fragen zum Zuge gebracht werden kann.

Im zweiten Band sind Aufsätze gesammelt, die sich in ökumenischer Perspektive mit rechtfertigungstheologischen, hamartiologischen und ekklesiologischen Fragen beschäftigen. Im Eingangsaufsatz zum "kritischen Stand der die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre betreffenden Dinge" (so der Untertitel) vertritt W. die These, "daß wider einen vermeintlichen Relevanzverlust der Lehre von der iustificatio impii nicht durch Traditionspreisgabe" (II, 15), sondern nur durch Ausweis ihrer gegebenen Aktualität angegangen werden könne. Die aktuelle Relevanz rechtfertigungstheologischer Tradition stellt er sodann im Rekurs auf die in der Debatte um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre besonders strittigen Themen - das Sündersein des Gerechtfertigten und die kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre - unter Beweis. In den folgenden Beiträgen wird zunächst das lutherische Sündenverständnis erschlossen, und zwar anhand von Beiträgen zu Luthers Sündenlehre in der Tradition augustinischer Hamartiologie, zur Bedeutung des Judas, zur Frage nach den Grenzen der Vergebung und zum bekenntnistheologischen Kontext von Luthers These, dass der Christ gerecht und Sünder zugleich sei.

Den Übergang zum ekklesiologischen Themenkomplex vermittelt ein Beitrag, der anhand des Streits zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern die Komplexität des Konfessionalisierungsvorgangs im lutherischen Bereich vor Augen führt. In der anschließenden Problemskizze zum Verhältnis von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft in lutherischer Perspektive zeigt W., dass eine lutherische Lösung dieser Frage jenseits der Alternative zu suchen ist, wie sie durch Werner Elerts Forderung einer Bekenntnisgemeinschaft einerseits und Eilert Herms' Programm einer nicht am Lehrkonsens, sondern an der Glaubenseinheit orientierten Ökumene andererseits markiert wird. Nachdem anhand dieses ökumenischen Kernthemas Orientierung für die Bestimmung der ökumenischen Aufgabe nach lutherischem Verständnis gewonnen ist, wird in den folgenden vier Beiträgen die lutherische Sicht der im Dialog mit der römisch-katholischen Kirche primär zu diskutierenden Themen entfaltet.

W. plädiert hier zunächst anhand der gewachsenen Konvergenzen in Theorie und Praxis des Herrenmahls für eucharistische Aufgeschlossenheit, stellt sodann aus Anlass des Porvoo-Dokuments ekklesiologische Erwägungen zu einem evange- lisch-lutherischen Verständnis der Episkopé an, betrachtet schließlich das Petrusamt aus lutherischer Sicht und entwickelt abschließend Grundzüge der Ekklesiologie im Anschluss an die Confessio Augustana.

Indem die in den beiden Bänden gesammelten Studien insgesamt das Programm eines ökumenischen Luthertums verfolgen, dienen sie nicht nur der innerkonfessionellen Selbstaufklärung und Standortbestimmung, sondern sind zugleich wegweisend für das interkonfessionelle Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche.