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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

669–681

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Eilert Herms

Titel/Untertitel:

Der Dialog zwischen Päpstlichem Einheitsrat und LWB 1965-1998
Ausgangsperspektiven, Verlauf, Ergebnis* (Teil 2)

II. 1. Erste Phase:

Gespräche über das Fundament des Glaubens:

das Evangelium vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus (Maltabericht)




1. Schon die Zuspitzung der Kontakte auf Gespräche über die strittige Lehre entsprach der römisch-katholischen Ausgangsperspektive vollkommen: nämlich ihrer Einschätzung der bestehenden Lehrdiskrepanzen als des grundlegenden Hindernisses dafür, daß die Lutheraner vollen Anteil an der von Christus selbst gewollten Einheit der römisch-katholischen Kirche genießen können. Diesen Stellenwert erhalten die Lehrdiskrepanzen einerseits wegen der fundamentalen Funktion, die das Lehramt aus römisch-katholischer Perspektive im System der drei munera des Bischofskollegiums und der drei Aspekte des Lebens in Einheit mit ihm einnimmt, und andererseits, weil sich der Inhalt der Lehrdifferenzen just auf diese drei munera des Apostelkollegiums erstreckt: auf das Verständnis ihres Lehramts (und hier zentral auf das Verhältnis zwischen Schrift und kirchlicher Tradition106), auf ihre konstitutive Rolle für das kultische Leben und auf ihre Leitungsvollmacht. Ferner mußte die römisch-katholische Seite UR zufolge davon ausgehen, daß auch, ja gerade bei dieser Diskrepanz in den Lehrüberzeugungen für die Situation der Lutheraner gilt: Sie haben noch bzw. schon wieder107 ein Stück weit Anteil an der römisch-katholischen Lehrposition, streben nach voller Übereinstimmung und bedürfen der römisch-katholischen Hilfe zur Erreichung dieses Ziels.

Diese Hilfe zur Gewinnung der vollen Lehrübereinstimmung mit der römisch-katholischen Kirche sollte nach UR so gegeben werden, daß dabei der "Hierarchie der Wahrheiten" Rechnung getragen wird: also das unterschiedliche Begründetsein aller Lehren in dem einen "Fundament des christlichen Glaubens"108 dargetan wird. Letzteres heißt konkret: Das Fundament des Glaubens ist nach DV, LG und UR das Christusgeschehen, das zu seiner Vergegenwärtigung - also zur Vergegenwärtigung des Evangeliums109 - für alle Zeiten110 einerseits die Traditionstätigkeit des Apostelkollegiums unter Petrus111 (und in dieser Tätigkeit eingeschlossen dann auch den biblischen Kanon112) sowie andererseits die pfingstliche Geistgabe aus sich freisetzt113, die alles Volk zur Anerkennung der Wahrheit der bischöflichen Traditions- und Lehrtätigkeit befähigt. Dieses Geschehen und seine konstitutiven Momente müssen im Gespräch so thematisiert werden, daß in der Verständigung darüber auch schon die Verständigung über alle weiteren darin eingeschlossenen Themen ansatzweise stattfindet. Tatsächlich entspricht der thematische Verlauf des Dialogs dieser Perspektive vollkommen, jedenfalls bis einschließlich Evu:

a) M belegt, daß der Dialog programmgemäß mit der Thematisierung des "Fundaments" eröffnet wurde, nämlich mit der Thematisierung des "Evangeliums". Das ist römisch-katholischerseits zu verstehen nach DV 7 und 8, also im direkten Zusammenhang mit dem Traditionsgeschehen, das in DV 7-10 Thema ist. Entsprechend dieser Vorgabe beschäftigte sich die erste und grundlegende Sitzung114 mit dem Thema "Evangelium und Überlieferung", also genau mit dem Thema von DV 7-10. Dabei konnten ausweislich von M vier Pointen dieses Textes so vorgetragen werden, daß eine Konvergenz der Auffassungen der beteiligten Lutheraner mit ihnen notiert werden konnte.

Erstens115: Die historisch-kritische Lektüre der Bibel setzt voraus und bestätigt ein Eingebettetsein des verschrifteten Kerygmas als einer gegenüber der mündlichen Tradition des Evangeliums sekundären Erscheinung in das Leben der aus der Christusoffenbarung stammenden Kirche und ihren Traditionsprozeß, die de facto - das brauchte gar nicht eigens festgehalten zu werden - der neuesten dogmatischen Bestimmung dieses Verhältnisses auf der Linie des Tridentinums durch DV 7-10 entspricht. Nun gilt für die Lutheraner die historisch-kritische Bibellektüre, ergo ... Damit schien erwiesen, daß - entgegen der noch in UR 21,3 ausgesprochenen gegenteiligen Vermutung - auch die getrennten Brüder das Verhältnis Schrift/Kirche im Sinne der Einbettung jener in das Leben von dieser verstehen. Hier steckte also tatsächlich die von römisch-katholischer Seite schon seit längerem116 vermutete und dann immer wieder ins Gespräch gebrachte grundlegende Differenz zur Gesprächslage in der Reformationszeit: Die Schrift existiert und kann nur verstanden werden innerhalb der kirchlichen Tradition, so daß die gesamte theologische Methode der reformatorischen Theologie, sofern sie die Schrift gegen die Tradition wendete, hinfällig und ihrer Traditionskritik damit der Boden entzogen war. Diese Konvergenz betraf die Prinzipien der Lehrbildung, mußte also auch Konvergenzen zunächst hinsichtlich der Vollzugsregeln des Lehrens, also der Handhabung des kirchlichen Lehramts und dann auch hinsichtlich des Inhalts der nach diesen methodischen Regeln gebildeten Lehre einschließen. Die fundamentale Rolle und allumfassende Reichweite dieser prinzipientheologischen Konvergenz wurde dadurch gewürdigt, daß M (und damit implizit der gesamte Dialog) unter die Überschrift "Evangelium und Kirche" gestellt wurde.



Zweitens117: In Konsequenz jener Grundkonvergenz muß sich nun die Aufmerksamkeit primär nicht auf die Schrift, sondern auf die Tradition richten. Deren Wesen ist die Vergegenwärtigung des Christusgeschehens durch den Heiligen Geist118, so daß sie in ihrer geschichtlichen Variabilität- auch darin sind die LWB-Vertreter derselben Überzeugung!119 - nach Joh 16,13 insgesamt unfehlbar ist und die Kirche mit "Autorität" ausstattet, die die Kirche sich nicht frei nehmen kann, sondern die ihr durch ihren Ursprung (das Christusgeschehen, d. h. die Inkarnation des Wortes Gottes)120 gegeben ist.121 Offen bleibt die Frage nach den Kriterien, an denen die Wesensgemäßheit von Traditionsprodukten, ihre Legitimität, entschieden werden kann122; aber offen nur insoweit, als jedenfalls der Rekurs auf "die Schrift allein" und auf das "Lehramt allein" unzulänglich sind. Womit zwar die traditionelle lutherische Kriteriologie ausgeschlossen ist, nicht aber die römisch-katholische, sofern diese eben nicht "das Lehramt allein" ins Treffen führt, sondern ein bestimmtes Zusammenspiel von amtlichen und nichtamtlichen Charismen.123

Drittens124: Das Verständnis des Überlieferungsgeschehens verlangt, zwischen der Fülle der mannigfaltigen Überlieferungen und der in dieser Fülle bleibenden einheitlichen Wahrheit zu unterscheiden. Auf der Linie von DV 7,2 u. 4 wird dabei die ganze Fülle der geschichtlich voranschreitenden und wachsenden (DV 8,4) apostolischen Predigt als "Evangelium" angesprochen, so daß sich die Frage nach der bleibenden Einheit in der Fülle nun stellt als Frage "nach dem Fundament und der Mitte des Evangeliums"125. Dieses wird (im gemeinsamen Schlußbericht, also mit Zustimmung der Lutheraner) angesprochen als "eschatologisches Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu", "das alle Verkündigung explizieren will", das aber "nicht in eine theologische Formel eingefangen werden kann"126.

Was damit genau gemeint ist, wird nicht gesagt. Das muß jedenfalls aus römisch-katholischer Sicht auch nicht sein, weil klar ist, wovon nur die Rede sein kann: von der bis ans Ende der Zeiten reichenden Transmission des Evangeliums, wie sie in DV 7-10 (2-6 voraussetzend) beschrieben ist. Aus römisch-katholischer Sicht konnte lutherische Zustimmung dazu unterstellt werden. Denn die Lutheraner hatten den Blickwechsel von der Schrift auf die Tradition so bereitwillig und konsequent mitvollzogen, daß sie sich sogar zur Ersetzung der traditionellen Frage nach der Mitte der Schrift (mit der Antwort: "das Evangelium", gleich: "das, was Christum treibet)" durch die Frage nach der "Mitte des Evangeliums" (sic!), verstehe: durch die Frage, wie es in der ganzen Mannigfaltigkeit der Inhalte der apostolischen Predigt zur Sprache kommt, hatten bewegen lassen (mit der Antwort: das in keine sprachliche Formel einfangbare eschatologische Handeln Gottes selber).127 Es wird daher auch ausdrücklich festgehalten, daß diese Frage nach der "Mitte des Evangeliums" konvergiert mit der römisch-katholischen Sicht dieser Unterscheidung im Gedanken der "Hierarchie der Wahrheiten".128

Viertens129: Mit dieser Konvergenz im Verständnis des "Fundaments des Glaubens" bzw. der "Mitte des Evangeliums" als des durch Lehre nicht ausschöpfbaren Geschehens "des eschatologischen Heilshandelns Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu" zeichnet sich dann ipso facto auch schon ein "weitreichender Konsens" in der "Interpretation der Rechtfertigung" ab - nämlich genau dann, wenn das Geschehen von "Rechtfertigung" "der Gesamtausdruck des Heilsgeschehens"130 ist. Dann ist nämlich Rechtfertigung einfach identisch mit jenem "eschatologischen Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu". Nur sei festzuhalten, daß es dafür dann auch noch andere dem NT entsprechende zusammenfassende Ausdrucksformen gebe: "Versöhnung, Freiheit, Erlösung, neues Leben, neue Schöpfung"131. Diese "Möglichkeit" einer "weitgehenden Übereinstimmung im Verständnis der Rechtfertigungslehre"132 läßt nur offen: den Stellenwert dieser theologischen Lehre und die Beurteilung ihrer Konsequenzen für Leben und Lehre der Kirche.133

Fünftens134: Im Fundament des Glaubens (verstanden nach DV 7-10) ist natürlich mit dem "für die Kirche konstitutiven" apostolisch-bischöflichen Dienst der Weitergabe des Evangeliums in "Wort und Sakrament"135 auch die Notwendigkeit von kirchlicher Ordnung und damit von kirchlichem Recht gegeben. Dazu heißt es: Dieses Recht sei "kein bloß juridisches System" (aber natürlich auch eins, E. H.), sein "letztentscheidender Gesichtspunkt" müsse das "Heil der einzelnen Gläubigen sein", es habe "der freien Entfaltung des religiösen Lebens der Gläubigen zu dienen" und könne "eine Hilfe für die Gewissensbildung sein". Zum Verhältnis zwischen Verbindlichkeit des kirchlichen Rechts und persönlicher Verantwortung vor Gott heißt es: "Kein Gesetz vermag jedoch (bezieht sich auf die vorher angesprochene Rolle des Kirchenrechts als Hilfe für die Gewissensbildung) ein Mitglied der Kirche von seiner unmittelbaren Verantwortung gegenüber Gott zu entbinden (vgl. Vatikanum II, Erklärung über die Religionsfreiheit, 2; 10-12.). Deshalb können kirchliche Normen nur im persönlichen Gewissen verbindlich werden. Der Raum der Freiheit für das Wirken des Herrn muß offenbleiben".136 Soweit die Ordnung der Kirche an das Evangelium bleibend gebunden sei, spreche die katholische Tradition von "ius divinum"137. Dabei werde aber in den Ausdrücken "ius divinum" und "ius humanum" das Wort "ius" "in einem lediglich analogen Sinne gebraucht"138 - ein Hinweis, den man wohl als durch die referierten Bemerkungen über die innerliche Bindekraft des kirchlichen Rechts begründet verstehen muß. Jedenfalls gelte, daß das Evangelium "nur in Beziehung mit den jeweils gegebenen gesellschaftlichen Wirklichkeiten" "Kriterium für die konkrete kirchliche Ordnung" sein könne. Folglich gebe es parallel zur Dogmenentwicklung "auch eine geschichtliche Verwirklichung des Rechts in der Kirche". "Deshalb muß die Kirche die Zeichen des Heiligen Geistes in der Geschichte und in der Gegenwart erkennen und in Treue zur apostolischen Verkündigung eine Umstrukturierung ihrer Ordnungen ins Auge fassen"139 - ein Vorblick auf die 1983 vorgelegte Neufassung des Codex Iuris Canonici140. Bei diesen Aussagen ist strikt im Sinn zu behalten, daß die ins Auge gefaßte Umstrukturierung nicht die hierarchische Verfassung des Amtes betreffen kann, denn die ist ja Dogma, also Teil des Evangeliums, offenbarte Ordnung141, eben ius divinum142. Der umstrukturierte Codex im ganzen - und insbesondere sein die Grundsätze und Ziele der Neubearbeitung aussprechendes päpstliches Vorwort "Sacrae disciplinae leges ..." - veranschaulicht dann, wie dieses ius divinum geschichtlich verwirklicht wird, sich da bei mit ius humanum verbindet und nie ohne dieses begegnet.143 Freilich ist die Pointe dieser Verbindung nach M, daß sich "das ,ius divinum’" "niemals adäquat vom ,ius humanum’ unterscheiden" lasse, daß auch letzteres nicht nur als "Produkt eines soziologischen Wachstumsprozesses" verstanden werden müsse, vielmehr "wegen der pneumatischen Natur der Kirche als Frucht des Geistes erfahren werden" könne.144 Insoweit und deshalb - wird man verstehen müssen - nimmt auch das ius humanum an der Autorität des ius divinum Teil.145

Soweit die Konvergenzen der Überzeugungen der lutherischen Teilnehmer mit der römisch-katholischen Position, die als Ertrag des ersten Gesprächsgangs über "Evangelium und Überlieferung" verbucht werden konnten. Weil sie das Fundament des Glaubens (wie in DV 7-10 dogmatisch beschrieben) betreffen, mußte es römisch-katholisches Interesse sein, sie als Keim aller weiteren Konvergenzen im Auge zu behalten.

b) Das zeigt sich schon im nächsten Gespräch über "Das Evangelium und die Welt".146 Als sein Ertrag kann die Übereinstimmung der lutherischen Teilnehmer mit der im zweiten Vatikanum entwickelten Sicht des Kirche-Weltverhältnisses in seinen entscheidenden Punkten festgehalten werden.

Erstens ("Bedeutung der Welt für das Evangelium"147): Das in der Welt dominierende Verständnis von Welt und Geschichte definiert zwar nicht das Weltverständnis des Glaubens,148 aber es muß sehr wohl "bei der Formulierung der Heilsbotschaft" und bei der Ausgestaltung von "Leben und Strukturen der Kirche" berücksichtigt werden.149 Die Veränderungen bewirken auch, "daß viele Lehrunterschiede, die unsere Kirchen in der Vergangenheit getrennt haben,150 im Verschwinden begriffen sind".151 Das muß nach dem Vorhergesagten jedenfalls gelten, sofern diese Gegensätze nur die "Formulierung der Heilsbotschaft" betreffen. Alles andere wäre ohnehin Häresie, die mit der apostolisch-bischöflichen Lehre auch nicht teilweise in Einklang steht und nicht zur Übereinstimmung mit ihr gebracht werden kann.

Zweitens ("Die Bedeutung des Evangeliums für die Welt"): Das Evangelium - verstanden nach DV 7-10, und d. h. nicht nur als "eine Botschaft", sondern als Substanz des kirchlichen Überlieferungsgeschehens und insofern als Offenbarung "der Macht des Eschatons, welches in unserer Welt unter der Gestalt des Kreuzes bereits am Werk ist"152 - werde sachgemäß nicht triumphalistisch verkündigt, sondern durch Bezeugung des Versöhnungswerks Christi, nicht nur durch Wort und Sakrament, nicht nur durch verbale Vergebung, sondern auch durch Nachfolge in Solidarität mit den Notleidenden und Unterdrückten153 und in Erstreckung "auf alle Daseinsbereiche und Aspekte des menschlichen Lebens".154

Drittens: Die "Geschichtlichkeit des Evangeliums"155 erweist sich daran, daß alle "Strukturen"156 und Formulierungen"157, in denen es "konkrete158 Gestalt gewinnt", sich in der Kraft des Heiligen Geistes dauernd den Verhältnissen anpassen können unter Wahrung der "Kontinuität des Evangeliums ... in der Konstanz bestimmter Formeln"159. Die ökumenische Bedeutung dieser Geschichtlichkeit des Evangeliums liegt darin, daß, während die Lehrdifferenzen abnehmen160, nun alles auf die Verbesserung der kirchlichen Strukturen ankommt, insbesondere darauf, ob "innerhalb der charismatischen Gesamtstruktur der Kirche sich die Funktion der Amtsträger nicht in neuer Weise ordnen und verstehen läßt und darin das allgemeine Priestertum der Gläubigen neu Bedeutung gewinnt"161. "Solche neuen Strukturen schaffen Möglichkeiten zum Abbau der stärksten Hindernisse für die Einheit; denn angesichts der fortschreitenden Überwindung doktrinärer Kontroversen sind es strukturelle Probleme, welche weithin für die weiterdauernde Trennung unserer Kirchen verantwortlich sind".

c) Diese Konvergenz der lutherischen Teilnehmer mit der römisch-katholischen Sicht des Verhältnisses zwischen der im Leben der Gesamtkirche Gestalt gewinnenden Evangeliumsüberlieferung und der Welt verschärft noch einmal die Bedeutung der schon auf der ersten Sitzung festgestellten Konvergenzen im Verständnis des Glaubensfundaments (Überlieferung des Evangeliums durch das kirchliche Gesamtleben) und verlangt, daß sie zugespitzt werden auf die für die Überlieferung des Evangeliums wesentlichen Fragen nach der Struktur dieses Überlieferungsprozesses.162 Nach Ausschaltung der Unterbestimmungen "allein die Schrift" und "allein das Amt" war dafür schon die Zuordnung von amtlichen und nichtamtlichen Charismen in der charismatischen Gesamtstruktur des kirchlichen Lebens in den Blick gerückt und in seiner Bedeutung für das Verhältnis der Evangeliumsüberlieferung zur Welt noch einmal unterstrichen worden. Dieses Verhältnis von Amt und Gesamtkirche wird nun noch einmal zugespitzt auf die wesentliche Funktion und Stellung des Amtes in der Überlieferung des Evangeliums unter dem Oberthema "Evangelium und kirchliches Amt".163

Die Konvergenz der Lutheraner mit dem in Zürich fixierten Verständnis des Verhältnisses Evangelium/Überlieferung wird noch einmal ausdrücklich als "gemeinsamer Ausgangspunkt" aufgegriffen.164 Daß jene Verhältnisbestimmung faktisch mit der Sicht von DV 7-10 zusammenfällt, zeigt sich vor allem daran, daß die Überlieferung des Evangeliums selbst als die effektive Vergegenwärtigung des Heilshandelns Gottes durch Christus im Heiligen Geist verstanden wird. Schon in M 16,5 und 6 hieß es: "Im Evangelium wird das Heil Gottes für die Welt in Jesus Christus weitergegeben und im Heiligen Geist vergegenwärtigt. Das Evangelium als Verkündigung des Heilsgeschehens ist deshalb selbst ein Heilsereignis". Freilich muß nun über die alte Übereinstimmung hinaus, daß das Heilshandeln Gottes in Christus (jenes durch keine Verkündigung ausschöpfbare Grundgeschehen165) durch seine Verkündigung selbst heilswirksam gegenwärtig wird, geklärt werden, wie das geschieht.

Dabei wird nun als Überzeugung, die die lutherischen Teilnehmer mit den römisch-katholischen teilen166, - und zwar stets unter der nicht weiter diskutierten Voraussetzung, daß es sich um die heilswirksame Vergegenwärtigung des Heilshandelns Gottes handle167 -, festgehalten: "Das (verstehe: heilswirksame) Zeugnis des Evangeliums hat als Voraussetzung, daß es (verstehe: das heilswirksame Zeugnis vollziehende) Zeugen des Evangeliums gibt".168 "Zum Werk der Versöhnung (verstehe: sofern es selbst das Erreichtwerden jeder späteren Gegenwart durch das Versöhnungsgeschehen einschließt) gehört auch der Dienst der Versöhnung"169, und zwar - wie jedenfalls im römisch-katholischen Horizont gilt - entsprechend der Fortführung von DV 2-6 in DV 7-10 nicht sekundär und additiv, sondern wesentlich und ursprünglich, mit allen sich eben daraus ergebenden und in LG sowie UR ausgezogenen Konsequenzen für die Stellung des Amtes in der Kirche als Fundament der Kirche.170

Als Ergebnis des Gesprächs wird zwar nicht festgehalten, daß die Auffassung der lutherischen Teilnehmer mit dieser Sicht identisch ist, aber doch, daß sie in einem solchen Ausmaß mit ihr übereinstimmt, daß zu prüfen sei, "ob die noch bestehenden Unterschiede in diesen und anderen Fragen notwendig als kirchentrennende Glaubensunterschiede beurteilt werden müssen oder ob sie nicht auch als Ausdruck einer unterschiedlichen Denkweise verstanden werden können".171

Woran haftet dieser Eindruck, die lutherischen Mitglieder wichen von der römisch-katholischen Sicht nur in geschichtlichen Äußerlichkeiten, aber kaum mehr im Verständnis der Sache ab? Erstens an ihrer Zustimmung zu der Tatsache, daß in den Ursprungszeiten172 und in der Geschichte der Kirche173 stets "das Amt sowohl gegenüber der Gemeinde wie in der Gemeinde steht"174, daß es "Christus und sein Gegenüber zur Gemeinde repräsentiert", sofern "es das Evangelium zum Ausdruck bringt"175 (freilich auch nur, soweit das der Fall ist)176, daß innerhalb dieser Grundsätze mit einer geschichtlichen Variabilität der Strukturen zu rechnen sei177, daß die apostolische Sukzession als Sukzession des Amtes als "Zeichen für die unverletzte Übertragung des Evangeliums und Zeichen der Einheit im Glauben" auch für die Lutheraner akzeptabel sei, wenn dabei "die Sukzession in der Lehre als das Vorrangige anerkannt" und die Sukkzession im Amt nicht als "ipso facto sichere Garantie der Kontinuität der rechten Evangeliumsverkündigung betrachtet wird"178; daß sie sich auf Fälle der presbyterialen Ordination und Sukzession auch in der römisch-katholischen Kirche berufen können179 und daß schließlich auch die Ordination in lutherischen Kirchen in einer Weise vollzogen werde, die den - nicht einmal negativ vorentschiedenen180 - Streit um ihren sakramentalen Status zu einer "hauptsächlich" terminologischen Frage zu machen scheine181. Dementsprechend sind die römisch-katholischen Teilnehmer "überzeugt, daß sie ... die traditionelle Verwerfung der Gültigkeit des lutherischen Amtes neu überdenken müssen"; denn: "Das Überdenken der Lehre von der apostolischen Sukzession und die Erwägung über eine charismatisch entstandene Beauftragung sowie eine presbyterale Sukzession scheinen eine Korrektur des traditionellen Standpunktes zuzulassen". Deshalb bitten sie die Autoritäten ihrer Kirche zu bedenken, "ob nicht das Drängende der ökumenischen Situation, welches dem Willen Christi entspricht, verlangt, daß die Römisch-Katholische Kirche die Frage der Anerkennung des lutherischen Amtes ernsthaft prüft"182.

d) Nachdem eine Grundübereinstimmung der lutherischen Gesprächspartner mit der vom Zweiten Vatikanum gelehrten Einordnung des Evangeliums - in seiner zunächst mündlichen und dann auch schriftlichen Form - in den zum Christusgeschehen selbst wesentlich hinzugehörigen Prozeß seiner Überlieferung im Heiligen Geist umrissen worden war und nachdem die Grundübereinstimmung dann zugespitzt werden konnte auf eine weitgehende Übereinstimmung mit der konziliar vertieften römisch-katholischen Sicht des Amtes, seiner wesentlichen Funktion und Bedeutung in diesem heilswirksamen Überlieferungsgeschehen und indem diese Konvergenzfeststellung in die Empfehlung einer Prüfung der Anerkennungswürdigkeit des lutherischen Amtes mündete, rückte damit schließlich - wiederum getreu UR - das konkrete Ziel des "Ökumenismus" in den Blick: die volle Teilhabe der getrennten Brüder an der von Christus gewollten Einheit der römisch-katholischen Kirche.

Diese Frage wurde auf der vierten Arbeitstagung aufgegriffen,183 freilich nicht "umfassend behandelt", sondern nur im Blick auf die Anerkennung des päpstlichen Primats und die Interkommunion:

Den Primat erkennen die lutherischen Teilnehmer aufgrund ihrer Einsicht in die Verbundenheit jeder Ortskirche mit der Universalkirche als "Zeichen der Einheit" an, aber nicht als für die Kirche "notwendig". Dennoch konnten ihnen die römisch-katholischen Teilnehmer in ihrer Auffassung zustimmen, "daß die Frage einer Abendmahlsgemeinschaft und die Frage einer gegenseitigen Anerkennung des Amtes nicht unbedingt von einem Konsens in der Frage des Primats abhängig gemacht werden kann" - und dies aufgrund der Übertragung der auf die Ostkirchen gemünzten Aussage UR 15 auch auf die evangelischen Kirchen.

Zur Interkommunion wird auf dem Boden der Übereinstimmung, daß die Taufe eine wesentliche, wenn auch nicht die einzige Voraussetzung voller Abendmahlsgemeinschaft sei, von römisch-katholischer Seite festgestellt: Durch das Fernbleiben der getrennten Brüder leidet auch die Eucharistiefeier der römisch-katholischen Kirche. "Zum vollkommenen Zeichen der Einheit der Kirche wird sie erst, wenn alle, die durch die Taufe grundsätzlich zum Abendmahl des Herrn geladen sind, wirklich daran teilnehmen können".184 Das stimmt völlig mit UR 8,5 überein: "Für die communicatio in sacris ... sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend: Die Bezeugung der Einheit der Kirche und die Teilnahme an den Mitteln der Gnade. Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die communicatio. Die Sorge um die Gnade gebietet sie indessen in manchen Fällen" Wie zu verfahren ist, haben die Autoritäten zu entscheiden im Rahmen der Statuten der zuständigen Bischofskonferenzen und der Bestimmungen des Heiligen Stuhls. Dementsprechend heißt es in M 73 von römisch-katholischer Seite: "Schon jetzt ist zu befürworten, daß die kirchlichen Autoritäten aufgrund der schon vorhandenen Gemeinsamkeiten in Glauben und Sakrament und als Zeichen und Antizipation der verheißenen und erhofften Einheit gelegentliche Akte der Interkommunion (etwa bei ökumenischen Anlässen, in Mischehen etc.) ermöglichen"; zwar bildeten die "Unklarheiten hinsichtlich einer gemeinsamen Lehre vom Amt" noch Schwierigkeiten für generelle Interkommunionsvereinbarungen. "Jedoch" - heißt es abschließend - "darf die Verwirklichung eucharistischer Gemeinschaft nicht ausschließlich von der vollen Anerkennung des kirchlichen Amtes abhängig gemacht werden".185

Im Vorwort wird das Gesamtergebnis der Gesprächsreihe so zusammengefaßt: Die Mitglieder der Studienkommission sind der Überzeugung, "daß sie im Rahmen ihres Themas eine bemerkenswerte und weitreichende Übereinstimmung erzielt haben", die sich erstreckt "nicht nur auf das theologische Verständnis des Evangeliums, seiner grundlegenden und normativen Bedeutung für die Kirche, seiner christologischen und soteriologischen Mitte, sondern auch auf eng damit verbundene und durchaus wesentliche Punkte der Lehre, die bislang kontrovers waren". Obwohl einige dieser Fragen weiterer Klärung bedürfen, fragen sich die römisch-katholischen Teilnehmer gemeinsam mit den lutherischen: "Müssen die noch verbleibenden Unterschiede als Hindernisse für eine Kirchengemeinschaft betrachtet werden? Sind nicht die Unterschiede, die aufgrund gegenwärtiger Herausforderungen quer durch die beiden Kirchen hindurch verlaufen, mindestens ebenso groß wie die traditionellen Unterschiede zwischen den lutherischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche?"186 "Diese Fragen bedrängen uns - wenn auch von verschiedenen Ausgangspunkten her- gemeinsam".187

Damit klingt auch eine Wahrnehmung der Grenze von Gemeinsamkeit an, gerade auf Seiten der römisch-katholischer Teilnehmer. Wie in einigen Passagen des Haupttextes wird sie auch im Vorwort zum Ausdruck gebracht. Vor allem durch den Hinweis darauf, daß eine ganze Reihe von Lehrdiskrepanzen gar nicht behandelt werden konnten: nämlich "das Verhältnis von Kirche und Evangelium und den Sakramenten, das Verhältnis zwischen Glaube und Sakramenten, das Verhältnis von Natur und Gnade und von Gesetz und Evangelium, die Frage des Lehramts, die Fragen der Mariologie".188 Vor allem aber kommen sie in Vorbehalten zur Unterschrift von mehr als der Hälfte der römisch-katholischen Mitglieder (vier von sieben) zur Sprache: Bischof Martensen und Prof. Vögtle halten fest, daß sie den kirchlichen Autoritäten nicht empfehlen können, "unabhängig von der Frage der Amtsanerkennung den Katholiken bei besonderen Anlässen zu erlauben, bei nichtkatholischen Gottesdiensten das heilige Abendmahl zu empfangen". Prof. Schürmann kann die in Nr. 73 ausgesprochene Empfehlung "nur im Sinne einer auf die genannten Fälle begrenzten Zulassung zur eigenen Abendmahlsfeier" verstehen. Ebenso grenzt Prof. Witte seine Zustimmung zu Nr. 73 ein.189

In all dem zeigt sich, wie wichtig für die römisch-katholische Seite - entsprechend ihrem Verständnis der von Christus gewollten Einheit der Universalkirche als in der römisch-katholischen Kirche subsistierender Einheit - die volle Gemeinschaft mit den drei munera des Apostelkollegiums unter Petrus, auch mit ihrem Lehramt, und zwar mit dem Ganzen des durch es vorgelegten Verständnisses der Offenbarung und ihrer Überlieferung, ist - das Verständnis der drei munera des Apostelkollegiums unter Petrus eingeschlossen. Darum richtet sich ein weiteres Monitum von Schürmann gerade auf diesen Punkt: "Es möchte in den lutherischen Kirchen zu einer größeren verbindlichen Einmütigkeit" gerade in der Amtslehre - "etwa wie in vorstehendem Bericht" - kommen.

2. Damit wird auf ein Problem der lutherischen Teilnehmer hingewiesen, das auch im Vorwort als eine Erschwerung des Gesamtgesprächs zur Sprache kommt: Es sei "für die Lutheraner oft schwierig, das gegenwärtige lutherische Glaubensverständnis verbindlich zu umschreiben. Während die Katholiken auf jüngere lehramtliche Äußerungen, besonders auf das Zweite Vatikanische Konzil verweisen können, müssen die Lutheraner jeweils auf die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts zurückgreifen. Das macht es schwierig, die Vielfalt, Freiheit und Stärke des tatsächlichen Lebens und des Glaubenszeugnisses in den lutherischen Kirchen heute verbindlich wiederzugeben".190

Dabei könnte der Leser an den "Mißerfolg" der Vollversammlung von Helsinki191 denken. Es wäre jedoch aufgrund der intensiven wissenschaftlichen Arbeit an der Geschichte und Theologie der Reformation seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gut denkbar gewesen, daß sich die lutherischen Teilnehmer entschlossen auf die Erträge dieser Forschung gestützt und sie systematisch, also in ihrem Anspruch auf sachliche Wahrheit und Gegenwartsgeltung, ernstgenommen hätten. Der Einstieg in das Gespräch mit dem Thema "Fundament des Glaubens" hätte lutherischerseits dazu benutzt werden können, die Einsichten in das reformatorische Verständnis von Grund und Gegenstand des Glaubens in denjenigen Pointen zur Sprache zu bringen, die für das lutherische Glaubensverständnis zentral waren und bis heute zentral sind. Es hätte auf diesem Wege einerseits der römischen Seite Gelegenheit zur Korrektur einer inoffiziellen und einer offiziellen Leitannahme ihres Ökumenismus gegeben werden können. Die inoffizielle Leitannahme besagt: Das Glaubensverständnis der heutigen Lutheraner ist gar nicht mehr den genuinen Akzenten und Anliegen der Reformatoren verpflichtet, insbesondere teilen sie nicht mehr diejenigen Anliegen, die damals zur Verweigerung des Gehorsams gegenüber den an sie gerichteten Forderungen der römischen Autoritäten führen mußten;192 durch das geschichtliche Denken hat sich vielmehr alles verändert und ist implizit schon römisch-katholisch geworden. Die offizielle Leitannahme193 besagt: Das Glaubensverständnis der getrennten Brüder ist schon ein gutes Stück weit römisch-katholisch und tendiert von sich aus dahin, es der Sache nach ganz zu werden - unter Wahrung eines eigenen Sprachgewandes. Gleichzeitig wäre das auch eine Gelegenheit für eine Explikation der lutherischen Grundsätze der ökumenischen Bewegung gewesen. Und beides hätte ein Beispiel dafür werden können, daß und wie die Studienarbeit des LWB für seine Mitgliedskirchen hilfreich wird.194

Aber diese Chance wurden verspielt:

Mit keinem Wort wurde der These widersprochen, durch das geschichtliche Denken sei das römisch-katholische Dogma von der Ein- und Unterordnung der Schriftautorität unter die Überlieferung und unter die in dieser und für sie geltenden Autoritäten ins Recht gesetzt, hingegen der reformatorische Grundsatz für die Handhabung des kirchlichen Lehramtes erledigt (d. h. der Grundsatz, daß alle Entscheidungen über das äußere Wort der kirchlichen Lehre und über ihre äußere Ordnung allein am Maßstab der Heiligen Schrift zu treffen seien195 - und zwar in der Erwartung möglicher Irrtümer und Abweichungen der Tradition). Nur angetippt, nicht gründlich erörtert und nie wieder aufgegriffen wurde die Einsicht, daß das Eingebettetsein der Schrift in die lebendige Überlieferungstätigkeit der Kirche sofort die neue Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit aufwirft, innerhalb der Überlieferung das Sachgemäße vom Sachwidrigen in einer sachgemäßen (und darum verbindlichen Weise) zu unterscheiden. Daß die - nach der Unzulänglichkeitsbehauptung über die Prinzipien "sola scriptura" und "solo officio" allein übrigbleibende - Antwort auf diese Frage: "durch das Zusammenwirken von amtlichen und nichtamtlichen Charismen" alle alten Probleme wiederkehren läßt, und vor allem: daß gerade das reformatorische Prinzip, den geschriebenen Kanon auch wirklich einzige "Regel und Richtschnur", also den Kanon sein zu lassen, just eine tragfähige Lösung dieses Problems bietet, die sich von der römisch-katholischen dadurch unterscheidet, daß sie die Entscheidungen der kirchlichen Instanzen öffentlich rechenschaftspflichtig macht und ein für alle Mal der öffentlichen Prüfung zugänglich erhält, dies alles ist nicht gesehen und zur Geltung gebracht worden.

Nicht angesprochen wurde aber vor allem, daß die unter dem Titel "Evangelium und Überlieferung" angesprochene Sache des Glaubens - sein Fundament, sein Grund und Gegenstand - durch die These, sie bestehe in einem wesentlichen und ursprünglichen Zusammenhang zwischen a) dem eigenen Heilshandeln Gottes und b) einem in ihm wurzelnden Überlieferungsgeschehen, durch das es jeder späteren Gegenwart effektiv gegenwärtig wird, vollkommen unterbestimmt ist. Nicht gesehen wurde, daß dieser Ansatz für seine erforderliche Näherbestimmung viele Fragen aufwirft, deren Beantwortung im römisch-katholischen Sinne - auf der Linie von DV 2-6/7-10 - nur eine Möglichkeit ist, und zwar eine Möglichkeit, die alle Einwände der Reformatoren - und jeder rückhaltlos an den Phänomenen der Konstitution von Glaubensgewißheit orientierten Betrachtung - weiterhin auf sich zieht.

Ich umreiße nur zwei dieser Fragenkomplexe: 1. Angenommen, die Pointe des göttlichen Handelns liegt darin, die Fähigkeit und die Verpflichtung von Menschen zu seiner Bezeugung und Überlieferung zu schaffen. Dann fragt sich, wie vollzieht sich eben dieses Schaffen der Möglichkeit und Notwendigkeit des Offenbarungszeugnisses selbst? Und diese Grundfrage läßt sich nur konkret beantworten, wenn dabei auch die folgenden Fragen beantwortet werden: Wie verhalten sich in diesem göttlichen Handeln Heilsgabe und Offenbarung zueinander? Herrscht ein Unterschied zwischen dem Bestimmtsein durch Gottes eigenes Heilshandeln bei den ersten Zeugen und bei allen späteren Generationen? Wie muß dieser Unterschied bestimmt werden, und wie darf er nicht bestimmt werden?

2. Angenommen, die Rede vom "eschatologische Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu" - wie immer man ihren Gegenstand genau bestimmen mag196 - soll jedenfalls dasjenige dynamisch-prozessuale Fundament, denjenigen dynamisch-prozessualen Grund und Gegenstand des Glaubens bezeichnen, der durch sich selbst seine sprachliche Bezeugung und Überlieferung ermöglicht und verlangt, ohne jemals von ihr eingeholt und erschöpft werden zu können (ohne je in eine "theologische Formel eingefangen werden zu können" [M 24,2]). Dann ist damit zunächst nur ausgesagt, daß die christliche Zeugnistätigkeit durch ihren Grund und Gegenstand selbst in ein Verhältnis zu ihm gesetzt ist, in welchem sie auf Dauer auf ihn bezogen und von ihm unterschieden ist. Das Wie dieses Verhältnisses bleibt damit jedoch völlig offen. Aber auf seine konkrete Bestimmung kommt alles an. Es fragt sich z. B.: Bleiben in diesem Verhältnis alle in ihm stehenden menschlichen Akte auch wirklich menschliche Akte und als solche fallibel (alle), oder begründet dieses Verhältnis die einzigartige Möglichkeit von infalliblen menschlichen Akten? Wenn in diesem Verhältnis Wahrheit gegenwärtig, in bezwingender Weise evident wird, wessen Werk ist das: opus hominum oder opus Dei? Und wenn etwa "opus Dei per opus hominum", wie ist dann dieses "per" zu verstehen: in einem die Freiheit Gottes wahrenden oder sie eingeschränkt denkenden Sinne? In einem Sinne, der dabei die Identität von göttlichem und menschlichem Wirken voraussetzt oder auch dabei ihren Unterschied wahrt?

Kurzum: die Formel aus M 24,1 ist nur der Rahmen, in dem sich schlechthin alle Fragen hinsichtlich des Möglichwerdens eines Glaubenszeugnisses für Gottes Heilshandeln durch Konstitution von Glaubensgewißheit durch Offenbarung allererst stellen. Gerade diese Fragen waren nun aber von der Reformation schon gestellt worden und beantwortet. Freilich in einer Weise, die eine deutliche Amtskritik freisetzte. Und gerade um derentwillen war die reformatorische Antwort dann auch durch das Lehramt der römisch-katholischen Kirche auf dem Tridentinum zurückgewiesen - und zwar als in der römisch-katholischen Kirche unerträglich, also anathematisiert - worden. Derartige Sachfragen sollten durch das geschichtliche Denken erledigt sein?! Jedenfalls sahen die lutherischen Teilnehmer keinen Anlaß, hier auf die alles entscheidende Genauigkeit zu dringen.

Das aber mußte sich gerade auch ökumenisch verhängnisvoll auswirken. Es bedeutet nämlich eine systematische Erschwerung für das Verstehen des Wesens, des Ziels und darum dann auch für den Vollzug eines sachgemäßen (grundgemäßen) Lebens und Gestaltens von innerkirchlicher und zwischenkirchlicher Gemeinschaft. An der genauen Bestimmung jenes durch das dynamische Glaubensfundament selbst geschaffenen Verhältnisses von menschlicher Lehrtätigkeit zu diesem Fundament hängt nämlich auf jeden Fall auch das genaue Verständnis aller möglichen und notwendigen Formen von menschlicher Lehre, einschließlich der lehrordnungsmäßig verbindlichen kirchlichen Lehre - und d. h. folglich auch das richtige Verständnis ihrer Bedeutung für die Kirchengemeinschaft. Kann Kirchengemeinschaft praktiziert werden vorbei an kirchlicher Lehre? Wenn nein, in welchem Sinne ist kirchliche Lehre dann für Kirchengemeinschaft unverzichtbar? Nach römisch-katholischem Verständnis?197 Also im Sinne der einheitlichen und letztlich unfehlbaren Glaubensinterpretation, deren Einheitlichkeit selbst die Einheitlichkeit des Gegenstands des Glaubens und damit die Einheit des Glaubens und die Einheit im Glauben begründet? Oder nach CA VII als Fixierung von notwendigen Bedingungen für ein leibhaftes, seine Adressaten also immer nur als äußeres Wort erreichendes Glaubenszeugnis, das verheißungsvoll ist (von dem also zu glauben ist, daß Gott selbst sich seiner zu seiner eigenen Selbstvergegenwärtigung frei bedienen wird, wann und wo er will [CA V])? Der Sinn, die prinzipielle Verschiedenheit und das Recht eines Verständnisses von Ökumene nach dem - gerade nicht quantitativ zu verstehenden - "satis est" von CA VII oder nach dem Modell der "von Christus gewollten" Einheit voller Teilhabe am apostolisch-bischöflichen erklärten Glaubensverständnis, am apostolisch-bischöflich in Wirksamkeit erhaltenen Kult und am apostolisch-bischöflich dirigierten christlichen Leben entscheidet sich jeweils an der genauen Bestimmung des Verhältnisses, in welches das göttliche Heilshandeln das durch es ermöglichte und verlangte menschliche Zeugnis- und Überlieferungshandeln zu ihm setzt. Darüber hätte das Gespräch geführt werden müssen. Aber das geschah nicht.

Diese Unbestimmtheit charakterisierte dann auch diejenige Entscheidung, die schon im ersten Schritt fiel und an deren Stichhaltigkeit sich langfristig der Erfolg des gesamten Dialogs erweisen mußte: die Identifikation jener schlechthin ursprünglichen und uneinholbaren actio Dei (also des dynamischen Glaubensfundaments oder Grundes und Gegenstandes des Glaubens) mit dem Geschehen der Rechtfertigung.198 Diese Identifikation ist zwar im Ansatz nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Denn die Reformation hatte erkannt, daß das eschatologische Heilshandeln Gottes, welches im Christus Jesus durch den Heiligen Geist das Eschaton gegenwärtig macht und die Gegenwart auf das Eschaton hinordnet, sich gerade im Rechtfertigungsgeschehen realisiert. Aber diese Einsicht war überhaupt nur möglich geworden aufgrund eines Verständnisses des Rechtfertigungsgeschehens, welches inhaltlich so konkret bestimmt, so präzis konturiert war, daß in ihm schon entschieden war über alle möglichen Fragen des christlichen Selbstverständnisses - und über die Antwort auf alle diese Fragen.199 Es ist für das reformatorische Rechtfertigungsverständnis wesentlich, daß in ihm das genaue Verständnis aller möglichen Themen des Glaubenszeugnisses und der christlichen Lehre bereits vorentschieden ist. Eben dieses Proprium des reformatorischen Rechtfertigungsverständnisses verspielt nun die lutherische Seite schon im ersten Schritt des Dialogs: Sie stellt die richtige Einsicht in die materiale Identität des dynamischen Fundaments des Glaubens mit dem Rechtfertigungsgeschehen als "einen weitreichenden Konsens" auch "in der Interpretation der Rechtfertigung"200, als "eine weitgehende Übereinstimmung im Verständnis" der Rechtfertigung, in der "Rechtfertigungslehre", hin201, obwohl doch die im Dialog explizit gewordene Sicht jener actio Dei, die selbst ihre Bezeugung ermöglicht und verlangt, extrem vage und unterbestimmt geblieben war. Es ist ein Konsens über das dynamische Fundament des Glaubens in dieser Vagheit und Unterbestimmtheit, der hier als "weitgehender Konsens" in der Rechtfertigungslehre ausgegeben wird. Die Vagheit dieses Konsenses wird darin mit Händen greifbar, daß er - wie das Vorwort ausdrücklich sagt - erstaunlicherweise nicht einschließen soll: einen Konsens über "das Verhältnis von Kirche und Evangelium zu den Sakramenten (sic!)", nicht "über das Verhältnis zwischen Glaube und Sakramenten (sic!)", nicht "über das Verhältnis von Natur und Gnade und von Gesetz und Evangelium (sic!)", nicht über "die Frage des Lehramts" (sic!), nicht "über die Fragen der Mariologie" (sic!), weil darüber gar nicht gesprochen worden sei. Es ist nun aber die einfache historische Wahrheit, daß die reformatorische Rechtfertigungslehre alle diese Themen und ihr sehr genaues Verständnis einschließt. Ein Konsens in der Rechtfertigungslehre, der diese Themen nicht einschließt, kann folglich kein die reformatorische Rechtfertigungslehre auch nur berührender, geschweige denn einschließender Konsens sein.

Statt die reformatorische Lehre zu den angesprochenen Themenkreisen in der erreichbaren Genauigkeit zur Geltung zu bringen, scheinen sich die lutherischen Vertreter auf die Erreichung eines anderen Zieles konzentriert zu haben: auf den Nachweis, daß die im Horizont des Ökumeneprogramms der römisch-katholischen Kirche erforderliche Konformität mit deren Lehrüberzeugungen, Sakramentspraxis und kirchlicher Ordnung schon im gegenwärtigen Status lutherischer Lehre, Sakramentspraxis und Ordnung wenigstens in demjenigen Mindestmaß gegeben sei, welches bei Ausnutzung aller in der Geschichte je vorgekommenen Ausnahmen und bei Inanspruchnahme aller für die orthodoxen Kirchen geltenden Verhältnisse auch für die lutherischen Kirchen die berechtigte Frage nach der Möglichkeit einer Aufnahme von Kirchengemeinschaft schon rebus sic stantibus erlaube. Und daß diese Strategie erfolgreich sein könnte, scheint vor allem bei den Themen Amt und Interkommunion sichtbar zu werden, wo sich die römisch-katholischen Delegierten ja diesen Erwägungen anschließen.

Fussnoten:

106 UR 21,3.

107 Vgl. die Einschätzung der Lage protestantischer Theologie bei A. Bea, o. Anm. , 105-122.

108 UR 11,5.

109 DV 7,2 und 4.

110 DV 7,1.

111 DV 7,4.

112 DV 8,6.

113 LG 5,4; 18,3. - Merkwürdigerweise spricht DV nur einmal, nämlich 5,2, und das heißt, bevor die Rede auf die Traditionstätigkeit des Apostelkollegiums unter Petrus kommt, von der Notwendigkeit des Geistwirkens für die Offenbarungserkenntnis.

114 26.-30. 11. 1967 in Zürich.

115 M 16-17.

116 Z. B. schon im Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe: o. Anm. 2, 561 b 10 ff.

117 M 18-23.

118 M 18,3, gleich LG 5 und 7; vgl. auch DV 5.

119 M 22,1.

120 Vgl. DV 3,1 und 4,1.

121 M 21.

122 M 18-20.

123 M 20 LG 9-12 und 37.

124 M 24 und 25.

125 M 24,1.

126 M 24,2.

127 Nach römisch-katholischer Auffassung natürlich einschließlich der Dogmen des 19. und 20. Jh.s.

128 Bemerkenswert ist die darin enthaltene Interpretation des Gedankens der Hierarchie der Wahrheiten. Gemeint ist das unterschiedliche Verhältnis der Glaubenslehren zum "Fundament" des Glaubens. Dieses wird aber nicht als ihr Verhältnis zu einem fundamentalen Lehrsatz verstanden, sondern zu einem Geschehen, das in keinen Lehrsatz eingefangen werden kann. Das aber ist nichts anderes als das in DV 7-10 beschriebene Offenbarungs"geschehen". - Das ist wichtig für den weiteren Dialog: In ihm muß es darum gehen, nicht nur daß sich kirchliches Lehren von seinem Grund und Gegenstand unterscheidet, sondern wie. Auf die Wichtigkeit dieser Unterscheidung habe ich bereits früher mehrfach hingewiesen (vgl. E. Herms, Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, 1989). - In der Überzeugung von der Wichtigkeit dieser Unterscheidung und ihrer weiteren Klärung hat mir G. Wenz seinerseits ausdrücklich zugestimmt (vgl. ders., Kontradiktorische Grunddifferenz?, in: ThLZ 116 (1991) 253-262). Ich stimme ihm nun darin zu, daß es in der römisch-katholischen Theologie in der Tat Ansätze für eine prinzipielle Unterscheidung der kirchlichen Lehre von ihrem Gegenstand gibt. Aber, wie sie gemeint ist und was ihre Konsequenzen im Blick auf die Erträglichkeit von Differenzen zur lutherischen Lehre sind, das ist die Frage.

129 M 26-3.

130 M 27,1.

131 M 27,4.

132 M 28,1.

133 M 28,2 und 3.

134 M 31-34.

135 M 31,1.

136 M 32.

137 M 33.

138 M 31,4.

139 M 33,4.

140 Codex des Kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Hg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz etc., 1983.

141 Vgl. LG 18-29; DV 7-10.

142 Das heißt: Ein Widerspruch gegen die Struktur und Autorität des Amtes, wie sie im Vatikanum II - die Ansätze des Tridentinums und des Vatikanums I systematisch vollendend - als Dogma (in "dogmatischen Konstitutionen") gelehrt wird, ist niemals zu beurteilen als aus der unaufgebbaren Verantwortung des einzelnen vor Gott stammender legitimer und ggf. notwendiger Widerspruch bloß gegen Recht und Ordnung der Kirche, sondern gegen die offenbarte Wahrheit selbst. Er kann also nach römisch-katholischer Auffassung so wenig aus dem Heiligen Geist heraus gesprochen sein wie das "anathema Jesus!" (1Kor 12,3) und ist deshalb aus römisch-katholischer Sicht so wenig wie dieses in der Kirche erträglich.

143 M 31,7.

144 M 31,9.

145 Auf die Ordnung der Kirche als Werk der apostolisch/bischöflichen Leitungstätigkeit wird also dieselbe Unterscheidung angewendet wie auf die Werke der apostolisch/bischöflichen Lehrtätigkeit. Und zwar mit derselben Pointe: Die Unterscheidung zwischen göttlichem Handeln und menschlichem Handeln setzt ein Verhältnis zwischen beiden, dessen Spitze darin besteht, das menschliche Handeln wesentlich am göttlichen teilhaben zu lassen.

146 15.-19.9.1968 in Båstad, Schweden.

147 M 35-45.

148 Das war durch die antimodernistischen Entscheidungen ein für alle Mal klar gestellt, vgl. E. Herms, Theologischer "Modernismus" und lehramtlicher "Antimodernismus" in der römischen Kirche am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, in: H. Renz/F. W. Graf [Hrsg.], Umstrittene Moderne, 1987, 13-55.

149 M 35,2.

150 Weil sie nämlich die Lutheraner an der Zustimmung zur römisch-katholischen Lehre gehindert haben - durch Schuld auf beiden Seiten.

151 M 36,1.

152 Diese Sicht entspricht UR 2,11: "Ita Ecclesia, unicus Dei grex, tamquam signum levatum in nationes, Evangelium pacis ministrans toti generi humano, peregrinatur in spe ad patriae supernae metam".

153 M 40.

154 M 41. - Vgl. auch M 45,11: "Indem die Kirche alle Ideologien und Formen des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens ihres Absolutheitsanspruchs entkleidet, kann sie wirksam zu einer Öffnung der Welt auf die Zukunft hin beitragen. Die Kirche muß durch ihre ganze Existenz, und nicht bloß durch Erklärungen und Programme, die unmenschlichen Aspekte der Gesellschaft aufzeigen".

155 M 42-46.

156 Rückgriff auf M 31-34.

157 Rückgriff auf M 24 und 25.

158 Verstehe: kirchliche Gestalt gewinnt. Die Kirche ist die Gestalt des Evangeliums.

159 M 44,2.

160 Vgl. oben Anm. 122.

161 M 46,2.

162 M 47-62 ist also Wiederholung und Vertiefung von M 18-23.

163 Nemi 4.-8. Mai 1969. Das Tagungsthema selbst lautete "Die Strukturen der Kirche".

164 M 47-50.

165 M 24,2.

166 M 48,1: "Lutheraner und Katholiken sind gemeinsam der Überzeugung, ...".

167 Wie die Heilswirksamkeit der Überlieferung eines einmaligen Heilsgeschehens überhaupt denkbar sei, ist nicht diskutiert worden, weder in Zürich noch in Bastad.

168 M 47,3.

169 M 47,2.

170 Vgl. oben Anm. 31 ff.

171 M 62,1.

172 M 51-54.

173 M 55-56.

174 M 50,2.

175 ebd.

176 ebd.

177 M 54-56.

178 Diese wichtige Einschränkung findet sich M 57.

179 M 58.

180 Aus Apol. XIII wird die Möglichkeit gefolgert, daß die Ordination auch für Lutheraner ein Sakrament nicht nur genannt, sondern sein könne. Diese Schlußfolgerung ist jedoch irrig, vgl. dazu E. Herms, Stellungnahme zum dritten Teil des Lima-Dokumentes "Amt", in: KuD 31, 1985, 85-96.

181 M 59.

182 M 63.

183 Martigny 21.-26. Februar 1970. Tagungsthema: "Evangelium und Recht - Evangelium und kirchliche Freiheit". - Es folgten eine Redaktionssitzung vom 27.-30.10. in Hamburg und die der Annahme des Schluß berichtes dienende letzte Sitzung in Malta vom 21.-26.2.1971. Die leichten Abweichungen zwischen der Thematik der vier Abschnitte des Schlußberichts und den ursprünglichen Tagungsthemen gehen auf die Redaktion zurück. Sie brauchen uns hier aber sachlich nicht zu interessieren.

184 M 71.

185 M 73.

186 M 8.

187 Ebd.

188 M 9.

189 So wie sie dasteht, sei die Empfehlung von Nr. 73 "verfrüht". Die Kommission hätte römisch-katholischerseits nicht mehr aussprechen sollen als die Befürwortung, daß die kirchlichen Autoritäten, aufgrund der schon vorhandenen Gemeinsamkeiten im Glauben und Sakrament und als Zeichen und Antizipation der verheißenen und erhofften Einheit, gelegentliche Akte der begrenzten Zulassung zur eigenen Abendmahlsfeier (etwa bei ökumenischen Anlässen; in der Mischehenseelsorge etc.) ermöglichen.

190 M 11,5 ff.

191 Dort mißlang der Versuch, einen Konsens über eine Neuformulierung der Rechtfertigungslehre zu erzielen. - Als Beitrag zur Desinformation des Publikums muß auch gezählt werden, daß E. Brand in seinem oben (Anm. 91) zitierten EKL-Art. die Vollversammlung von Helsinki nicht einmal erwähnt.

192 Vgl. A. Bea, o. Anm. 89, 63.

193 UR 20.

194 Dafür ist der LWB nach Art. III seiner Verf. zuständig.

195 Klassisch formuliert in dem Abschnitt "Von dem summarischen Begriff, Grund, Regel und Richtschnur, wie alle Lehre nach Gottes Wort geurteilt ... werden soll" in der FC: BSLK 767-769, 833-839.

196 Das lasse ich hier nur offen, um mich auf das folgende Argument zu konzentrieren. Grundsätzlich gilt: Gerade die Formel "eschatologisches Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu" (M 24,2) ist hinsichtlich ihres Gegenstandes zu explizieren, wenn sie nicht eine Sprachhülse bleiben soll, die nur noch auf ihren pragmatischen Sinn in einem Sprachspiel hin untersucht werden kann.

197 Die Gründe, aus denen das nicht möglich ist, habe ich entwickelt in meinem Aufsatz: Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, in: Johannes Brosseder [Hrsg.], Von der Verwerfung zur Versöhnung, 1996, 81-110.

198 M 27,1: "... die Rechtfertigung kann als Gesamtausdruck des Heilsgeschehens verstanden werden".

199 Vgl. G. Ebeling, Cognitio Dei et hominis, in: ders., Lutherstudien I, 1971, 221-272. - Vgl. auch Luthers Hinweis auf die beiden Teile, aus denen die ganze Summe des Christentums bestehe, nämlich zu wissen, was Gott kann und was der Mensch kann, in De servo arbitrio: WA 18, 614. Zur Bedeutung dieses Textes für die gesamte reformatorische Theologie, auch den Calvinismus, vgl. E. Herms, Calvin über den unfreien Willen, in: ders., Offenbarung und Glaube, 1992, 56-80.

200 M 26,2.

201 M 28,1.