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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1340–1343

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Webster, John

Titel/Untertitel:

Word and Church. Essays in Christian Dogmatics.

Verlag:

Edinburgh-New York: Clark 2001. IX, 289 S. 8. Lw. £ 25,00. ISBN 0-567-08818-9.

Rezensent:

Andreas Hunziker

In diesem Band legt der in Aberdeen lehrende Systematiker John Webster neun neuere Aufsätze vor, von denen fünf 1997- 2001 bereits in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind. Sie sind alle geprägt von einem Verständnis christlicher Dogmatik, welches "assumes the truth of the church's confession of the gospel, regarding that confession as a point from which we move rather than a point towards which we proceed" (10 f.). Es muss darum der konkrete Ort dieser Texte ständig mitbedacht werden, um des Vf.s bewusst direkten Zugriff auf dogmatische Kategorien nicht von vornherein misszuverstehen: Christliche Dogmatik ist die "delightful activity in which the church praises God by ordering its thinking towards the gospel of Christ" (1). Die Beiträge gliedern sich in die drei Themenkreise "Scripture", "Christ and the Church" und "Ethics".

Im ersten Themenbereich ("Scripture") wird nach dem Wesen der Heiligen Schrift und ihrer Interpretation gefragt. Den hermeneutischen und nachkritisch-kirchlichen Neuansätzen wird zwar ein Fortschritt gegenüber den Verkürzungen historisch-kritischer Exegese attestiert, doch will der Vf. direkter als diese auf dogmatische Kategorien zurückgreifen. Entsprechend lautet der Titel des ersten Aufsatzes "The Dogmatic Location of the Canon" (9-46): Gegenüber der historisch-kritischen, sozio-kulturellen, sozio-politischen und postmodernen Naturalisierung des Kanons ist es ein Fortschritt, wenn neuerdings der Begriff des Kanons wieder stärker mit dem gemeinschaftlichen Textgebrauch in der Kirche korreliert wird. Doch muss die Kanonfrage konsequenter an ihren eigentlichen, theologisch zu bestimmenden Ort gebracht werden: Sie gehört nicht in die Begründungszusammenhänge der Prolegomena, sondern ist als Element der Lehre von der trinitarischen Wirklichkeit von Gottes heilschaffender Selbstmitteilung zu explizieren. Nur wo die Heiligung von Texten in ihrer komplizierten Genese, die kirchlichen Kanonisierungsprozesse und schließlich die Formung des Lesers des Kanons als rezeptiv-menschliche Akte im Bezugsrahmen dieser Selbstvergegenwärtigung Gottes verstanden werden, behält der Kanon seine kritisch-normative Kraft - "a knife at the church's heart" (46). Der zweite Aufsatz "Hermeneutics in Modern Theology: Some Doctrinal Reflections" (47-86) beschreibt die Geschichte der Hermeneutik seit Schleiermacher als Entwicklung hin zur deregionalisierten Theorie und transzendentalen Anthropologie, um von daher verständlich zu machen, wieso der westliche Protestantismus die Zuversicht verloren hat, das christlich-geistliche Lesen der Bibel in theologischer Begrifflichkeit zu beschreiben. Gibt es aber dieses eine Verstehen gar nicht und ist das christliche Lesen der Bibel darum auch nicht im Verstehen als allgemeinem Modus menschlichen (Bewusst-)Seins zu fundieren, ist das Feld wieder offen, um den partikularen Ort solchen Lesens im Horizont einer theologischen (nicht nur einer kommunitaristisch-ekklesiologisch gewendeten) hermeneutischen Ontologie zu beschreiben. D. h. konkret: "the Bible as text is the viva vox Dei addressing the people of God and generating faith and obedience" (58). Im Blick auf den Leser entwickelt der Vf. eine christliche Anthropologie des Lesens.

Der erste Teil schließt mit dem Beitrag "Reading the Bible: The Example of Barth and Bonhoeffer" (87-110). Die Forschung hat bisher die Bedeutung der Schrift und ihrer Interpretation im Blick auf ein Verständnis von Barths und Bonhoeffers Theologie vernachlässigt bzw. sich allzu stark auf methodologische Fragen konzentriert. Dabei zeigt sich sowohl bei Barth als auch bei Bonhoeffer ein genuin theologischer, nämlich praktisch-geistlich ausgerichteter Umgang mit der Schrift. Mit diesem Aufsatz wird zugleich deutlich, wie stark des Vf.s eigenes Schriftverständnis von seinem Verständnis dieser beiden Theologen geprägt ist.

Der zweite Themenkomplex ("Christ and the Church") behandelt in den ersten beiden Beiträgen das Problem, dass der Glaube an die Realität des sich im Heiligen Geist selbst vergegenwärtigenden auferstandenen Jesus in der intellektuellen Kultur der Moderne ständig abgenommen hat; die zwei anderen Aufsätze kritisieren dann verschiedene Versuche, diese Lücke ekklesiologisch aufzufüllen. Der erste Aufsatz "Incarnation" (113-150) präsentiert die Inkarnationslehre als retrospektiven, hinweisend-anerkennenden und selbstkritischen Versuch der Kirche, das christliche Grundbekenntnis - Jesus Christus ist der Herr - auf begrifflicher Ebene auszubreiten. In einer "Pathologie der modernen Christologie" nennt der Vf. drei Faktoren, die solch inkarnationschristologischem Denken in der Moderne entgegengestanden haben: die nominalistische Behandlung von Jesu Person und Auftrag (Jesus ist nicht mehr der ontologisch-epistemologische Kontext von allem anderen); der Theismus, für den die Vorstellung der hypostatischen Einheit eine Denkunmöglichkeit darstellt; das Problem des mit der partikularen Geschichte Jesu verbundenen Universalitätsanspruchs. Indem der Vf. in einem längeren, konstruktiven Teil die Inkarnationslehre in ihren eigentlichen dogmatischen, vor allem trinitätstheologischen Kontext stellt, versucht er sie ihres nur scheinbar arbiträr-spekulativen Charakters zu entledigen. Der zweite Beitrag "Jesus in Modernity: Reflections on Jüngel's Christology" (151-190) geht davon aus, dass die Christologie in der modernen protestantischen Theologie oft mit zwei zusammenhängenden Problemen verwickelt ist: zum einen hat die Gestalt (figure) Jesu ihre materiale und hermeneutische Zentralstellung verloren; zum anderen wird die Gestalt Jesu nicht mehr in umfassender und überzeugender Weise als eine dargestellt, deren "history, in its sweep from eternity to time and back to eternity, sums up all things in itself" (153). Damit wird Jüngels Christologie konfrontiert: Diese sei zwar Ausdruck eines bemerkenswerten Christozentrismus, doch bleibe die Figur Jesu in ihr seltsam blass. Auch wenn man des Vf.s Meinung und seine Voraussetzungen nicht in jeder Hinsicht teilt, auf dem Hintergrund seiner profunden Kenntnisse von Jüngels Texten (und der grundsätzlichen Sympathie für sie) wird einem gerade durch die Kritik an Jüngels zu blassem Jesus-Bild (einseitige Konzentration auf Sprachgeschehen und Kreuz; Vernachlässigung des gegenwärtig wirkenden Auferstandenen usw.) eine klare und detaillierte Darstellung von Jüngels Christologie und deren Voraussetzungen präsentiert. Der dritte Aufsatz "The Self-organizing Power of the Gospel of Christ: Episcopacy and Communion Formation" (191-210) stellt sich die dogmatische Frage, inwiefern das Bischofsamt ein Bestandteil der Logik des Evangeliums selbst darstellt. Für ein evangelisches Verständnis des geistlichen Amtes (ministry) gilt: Es hat nur die dienende Funktion, auf das Grundgeschehen des kirchlichen Lebens zu verweisen, nämlich das Ereignis von Jesu Christi bleibend konstitutiver Selbst-Mitteilung. Die Kirche kann also die Rolle Christi nicht selbst repräsentieren, wie dies die Sukzessionsterminologie impliziert. Im Blick auf das Episkopat bedeutet dies wiederum: Auf Grund seiner Aufsichtsfunktion ist es das basale Amt der Kirche, geht es in allen kirchlichen Ämtern doch letztlich darum, am Maßstab des Evangeliums die Einheit und Echtheit der kirchlichen Zeugnispraxis zu bewahren. Entscheidend ist nun das Problem, wie diese Aufsicht so ausgeführt wird, dass die Rolle Christi nicht beeinträchtigt wird, sondern ihr gerade Raum geschaffen wird: Der Bischof darf in keiner Weise zum Zeichen Christi in der Kirche oder zum Garanten der Einheit der Kirche werden. Seine Bedeutung und Apostolizität besteht in seiner auf Christus hinweisenden, exemplarischen und öffentlichen Funktion. Der letzte Aufsatz dieses zweiten Teils trägt den Titel "Christ, Church and Reconciliation" (211-230) und untersucht von 2Kor 5,18 ausgehend den kirchlichen Dienst der Versöhnung, insbesondere in seinen ethischen Aspekten. In einer von Karl Barth geprägten Variante negativer Theologie kritisiert der Vf. neuere kirchlich-ethische Ansätze, in denen das moralische Handeln der Kirche allzu direkt mit dem göttlichen Versöhnungshandeln verbunden wird.

Der dritte Themenbereich ("Ethics") schließlich behandelt anthropologische und ethische Fragen. Der erste Beitrag "God and Conscience" (233-262) geht davon aus, dass der Gewissensbegriff theologisch nur dann adäquat behandelt wird, wenn er (z. B. mit Charles Taylor) als ein Moment innerhalb der weiteren moralischen Landschaft betrachtet wird. Diese moralische Landschaft wiederum kann aber (mit Karl Barth) nur innerhalb von Gottes trinitarischem Handeln als dem es letztlich bestimmenden Kontext theologisch hinreichend verstanden werden - als die Geschichte von Gottes rettender Gegenwart und Handlung und der dadurch hervorgerufenen wahrheitsgemäßen menschlichen Antwort: "conscience is the presence to me in reflection of the moral effect of my new identity established in Christ through the Holy Spirit" (258 f.). Der Gewissensbegriff ist darum kein fundamentaler, sondern ein abgeleiteter moralischer Begriff, der "ranks well after prayer or following Jesus in the orderly arrangement of the Christian moral world" (261). Der letzte Aufsatz "Eschatology and Anthropology" (263-286) stellt eine interessante Auseinandersetzung mit dem Problem dar, wie sich die theologisch unverzichtbare Vorstellung einer teleologischen Bestimmung der menschlichen Identität zur postmodernen Auflösung von Teleologie und menschlichem Subjekt verhält.

In all seinen Beiträgen betont der Vf. den Glauben an die gegenwärtige Wirksamkeit des auferstandenen Jesus Christus im Heiligen Geist in seiner kritischen Funktion gegenüber den historischen, anthropologisch-hermeneutischen und soziologisch-ekklesiologischen Verengungen der zeitgenössischen Theologie. Auch wenn man nicht alle seine Voraussetzungen teilt (z. B. die recht strikte Trennung von theologisch-dogmatischem und philosophischem Sprachgebrauch), die argumentative Klarheit, kritische Schärfe und Unbeirrbarkeit, mit welcher er seinen Ansatz auf verschiedenen Problemfeldern der gegenwärtigen theologischen Diskussion vertritt, und die Weise, wie er sich immer wieder kritisch mit Selbstverständlichkeiten heutiger protestantisch-akademischer Theologie auseinander setzt, fordern in sehr anregender Weise zu einer eigenen theologischen Stellungnahme heraus.