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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1337–1340

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schwöbel, Christoph

Titel/Untertitel:

Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XIV, 482 S. 8. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-16-147846-0.

Rezensent:

Michael Murrmann-Kahl

Der in Heidelberg Systematische Theologie lehrende Christoph Schwöbel legt in diesem Band dreizehn Aufsätze aus den Jahren 1987 bis 2001 vor, von denen nur einer zum christlich-jüdischen Dialog (293-319) bislang unpubliziert ist. Sieben Aufsätze sind ursprünglich englisch verfasst worden (zum Teil aus der Zeit des Vf.s am King's College London). Die Aufsätze sind indes nicht nach chronologischen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten angeordnet. So ergibt sich eine Dogmatik "in nuce" mit Prolegomena (1-129) und materialem Hauptteil (131-468).

Zu den Prolegomena sind die drei ersten Aufsätze zu rechnen: eine Besinnung auf die Tätigkeit des systematischen Theologen (1-24), das Angebot der Trinitätslehre als Rahmentheorie der gesamten Dogmatik (25-51) und eine umfangreiche Erörterung des Offenbarungsverständnisses (53-129). Die materiale Dogmatik umfasst die Aufsätze zur Schöpfungslehre (131- 160.161-192), theologischen Anthropologie (193-226) und zum Freiheitsverständnis (227-256), zur Christologie (257- 291.293-319) und Versöhnungslehre (321-344), Ekklesiologie (345-377.379-435) und Eschatologie (437-468).

1. Der Vf. bestimmt die Systematische Theologie primär als Tätigkeit, die auf Urteilskompetenz zielt (2). Sie soll die Selbstauslegung des christlichen Glaubens ("Identität") leisten und diese als umfassendes Wirklichkeitsverständnis im Konzert anderer Weltbeschreibungen bewähren ("Kohärenz") (8). Daraus resultieren die beiden Gruppen der Adäquatheitskriterien (Schriftgemäßheit, Autorität bestimmter Traditionen, Situationsgemäßheit) und Kohärenzkriterien (innere Konsistenz der Begriffe, externe Kohärenz dieser Aussagen in Konkurrenz zu anderen Weltbeschreibungen, pragmatische Bewährbarkeit; 14- 22). Die an sich sympathische Bestimmung der Systematischen Theologie als Tätigkeit, nicht als Lehre, wird aber schnell durch die Art und Weise der materialen Erörterungen konterkariert. Wenn nämlich ausgerechnet die Trinitätslehre (welche?!) als "Rahmentheorie" und "Integral" (49) der gesamten Dogmatik fungieren soll, ist der Rückzug in den allenfalls noch binnendogmatisch verstehbaren Raum schon angetreten. Erst recht lugt hinter den langatmigen Ausführungen zum Erfahrungs- und Offenbarungsbegriff nur der sattsam bekannte Überbietungsanspruch des Offenbarungstheologen gegenüber allen anderen Wissenschaften hervor: Mit "Offenbarung" werde auf ein Wissen um passives Konstituiertsein des Menschen abgehoben, das allen anderen Erfahrungswissenschaften "als Bedingung ihrer Möglichkeit" immer schon uneinholbar vorgegeben sein soll (101). Dazu passt das beschworene "christliche Wirklichkeitsverständnis" im Kontrast zu anderen Beschreibungen, als ob ein solches "Wirklichkeitsverständnis" so einfach gegeben und mit anderen vergleichbar wäre (38 u. ö.).1

Einzig der Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog macht von dieser Binnenperspektive eine erfreuliche Ausnahme, in dem der Vf. auf die Differenz der Christologien als Bekenntnis und als Reflexion hinweist und beherzigenswerte Bedingungen für das Gelingen dieses Dialogs vorträgt. Er kann also auch anders!

2. In den Aufsätzen zur materialen Dogmatik wird (deshalb?) in vielen Passagen nichts anderes als eine wortreiche Paraphrase der lutherischen bzw. reformierten Tradition geboten, die man einschlägigen Kompendien entnehmen kann (vgl. zum "ordo salutis": 121-126; zur Schöpfung: 144-149; zur Erhaltung: 175-185; zur Trinität und Christologie: 275-290; zur Ekklesiologie: 350-356.362-368.403-423). Verläuft die Vergewisserung des christlichen "Wirklichkeitsverständnisses" über die Repristination der altprotestantischen Orthodoxie? Jedenfalls für den Dialog mit den Naturwissenschaften hätte sich der Vf. überlegen müssen, wie seine eigene steile Schöpfungs- und vor allem transitive Erhaltungslehre (144 ff.175 ff.) überhaupt zu den intransitiven Erhaltungssätzen der modernen Physik passen könnten. Er macht es sich zu einfach, wenn er das Problem auf den Kontingenzbegriff abstellt (140 f.153 f.). Die spannende Frage besteht doch darin, ob und inwieweit physikalische Sätze mit der Vorstellung einer göttlichen Eingriffskausalität irgend kompatibel sind. Ersichtlich tritt die trinitarisch geleitete Deutung der Welt als Gottes Schöpfung zur naturwissenschaftlichen Beschreibung bloß additiv hinzu (154).

So überrascht es auch nicht, dass der Vf. aus der christologischen Krise angesichts des neuzeitlichen Hiatus von historischem Jesus versus dogmatischem Christus wieder mit einer "trinitarischen Hermeneutik" der Christologie herausgelangen will, die sogar die Enhypostasielehre wieder belebt (283 ff.). In der Ekklesiologie macht er die traditionell protestantische Bestimmung der Kirche als "creatura verbi" stark (350 ff.) und erörtert den "communio"-Begriff, der in ökumenischen Debatten eine gewisse Prominenz erlangt hat, wiederum trinitarisch (391 ff.423 ff.). Ob das neuzeitliche Freiheitsverständnis sozusagen als Kontrastprogramm zu dieser dogmatischen Weltsicht mit einer "Kultur der Selbstkonstitution und der Selbstverwirklichung" (236.240 ff.) richtig getroffen ist, muss man fragen. Wird hier nicht nur ein dogmatisches Feindbild konserviert?

Im Eschatologieaufsatz schließlich zieht der Vf. gegen die einseitige Betonung der Eschatologie besonders in den Dogmatiken des 20. Jh.s zu Felde und präsentiert eine entsprechende Fehlerliste (462 ff.). Freilich ist das Bild, das von der Bedeutung und der Wiederentdeckung der Eschatologie am Ende des 19. Jh.s gezeichnet wird, längst überholt (438-443).

Ebenso seltsam berührt auch die sonstige Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Literatur. Angesichts der steilen trinitätstheologischen Zugangsweise des Vf.s zur Dogmatik hätte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem elaborierten Entwurf Wolfhart Pannenbergs sicher nicht geschadet. Überraschenderweise tauchen die einschlägigen Werke Jürgen Moltmanns, die sich intensiv mit Trinitätslehre befassen ("Trinität und Reich Gottes" 1980, "In der Geschichte des dreieinigen Gottes" 1991) und in der sachlichen Tendenz durchaus dem Vf. nahe kommen, überhaupt nicht, nicht einmal anmerkungsweise, auf. Eine solche Ausblendung gewichtiger Diskussionszusammenhänge nährt eben doch den Verdacht einer positionell eng geführten Theologie (gegen XIV).

3. Besichtigen wir einige Schlüsseltermini des Vf.s näher! Sein ganzer programmatischer Entwurf reimt sich zunächst auf die Bestimmung des "Handelns Gottes" (vgl. 37 ff.60.65.182.190. 230 f.). Nun kann der Vf. klar ausführen, was intentionales Handeln bei menschlichen Personen meint: Hier ist mit der Differenz von zu erreichendem Zweck und verwendeten Mitteln durch ein Handlungssubjekt zu operieren (230). Völlig unklar bleibt aber, wie dann überhaupt von einem (sogar intentionalen!) "Handeln Gottes" (59 u. ö.) die Rede sein kann. Nur einmal und eher en passant weist der Vf. selber darauf hin, dass vom Handeln Gottes offenbar nicht dieselben Beschränkungen auszusagen sind, "die für das Handeln endlicher Handlungssubjekte gelten: die Tatsache, dass die Bedingungen des Handelns endlicher Handlungssubjekte nicht selbstkonstituiert sind; die Restriktionen, die sich aus den Begrenzungen endlicher Vernunft für die Wahl von Handlungszielen ergeben; die Einschränkungen, die mit der leiblichen Existenzweise endlicher Subjekte gegeben sind usw." (60). Daraus kann man schließen, dass von "Handeln" nicht in einem univoken Sinn die Rede ist. Wenn man allerdings alle konstitutiven Elemente endlich-menschlichen Handelns aus dem Handlungsbegriff entfernt, inwiefern kann man dann überhaupt von "Handeln" sprechen? Ist das noch eine legitime analoge oder nicht vielmehr schon eine äquivoke Redeweise? Wenn man so formuliert, wie es der Vf. tut, dann ist es wohl sinnvoller, auf den Handlungsbegriff für Gott ganz zu verzichten. Letztlich lässt sich der Verdacht eines puren Anthropomorphismus und folglich der Verendlichung des Gottesgedankens nicht ausräumen.

Mit dem Handlungsbegriff steht und fällt freilich die vorgelegte Konzeption. Er allein in seiner - vom Vf. unaufgeklärten - Verwendungsweise garantiert die intendierte Verklammerung von immanenter und ökonomischer Trinität (vgl. 25-51.166- 175.264-291.341-344). Freilich handelt sich der Vf. damit auch die Fülle der traditionellen Aporien ein. "Die Person des Sohnes, der ewig gezeugt wird durch den ursprungslosen Vater ... als das personale Gegenüber seiner Liebe, ist das Prinzip der Andersheit und Differenz in der Trinität. Wegen seines Ursprungs in der Freiheit des Vaters kann der Sohn dem Vater in Freiheit antworten, indem er den Willen des Vaters als seinen eigenen tut. Ohne die Differenz zwischen Vater und Sohn kann es keine personale Einheit als Gemeinschaft in ihrer Beziehung geben. Die Person des Geistes ist das Prinzip der Gemeinschaft in der Trinität, durch den der Vater und der Sohn die Gemeinschaft ihrer Freiheit geben und annehmen" (171, vgl. 170.172. 174). Was ist damit behauptet?

1. Die Vaterhypostase wird als Ursprung der ganzen Gottheit gegenüber Sohn und Geist privilegiert (vgl. 47) und damit ein Gefälle in die immanente Trinität eingetragen. 2. Da die "relationes" in der immanenten Trinität der Gottheit wesentliche sind, hat der Freiheitsbegriff hier gar nichts zu suchen! Von welcher "Freiheit" der Vf. spricht, bleibt dunkel. 3. Der Geist als Prinzip der Gemeinschaft ist die Relation der Relate von Vater und Sohn; damit wäre er beiden praktisch gegenläufig übergeordnet. 4. Der Geist als "vinculum caritatis" von Vater und Sohn konstituiert noch keine eigenständige Position des Geistes selber ("Binität"). 5.Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es bei der Verhältnisbestimmung der binnentrinitarischen Relationen zur Wesenseinheit Gottes mit der Beteuerung ihrer angeblichen "Gleichursprünglichkeit" keineswegs getan ist (47). All diese Aporien sind aus der dogmen- und forschungsgeschichtlichen Befassung mit den Trinitätslehren hinlänglich bekannt.

Dasselbe gilt schließlich vom Relationsbegriff (vgl. 42 ff.194 ff.): Mit "Gott in Beziehung" ist das Programm schon formuliert. Gott soll in sich selbst in Beziehung sein (immanente Trinität), so wie er sich auf die Welt bezieht (ökonomische Trinität). Die Kategorie der Relation umfasst freilich Relate. Wenn Gott und Welt bzw. Mensch in Beziehung sind, dann lässt sich schwerlich verhindern, dass die Relation der Relate Gott und Welt selber das Absolute wird, Gott/Welt (Mensch) also zu Relaten einer ihnen übergeordneten Relation depotenziert werden. Wie der Vf. das verhindern will, wird auch durch die viel beschworene Trinität nicht klarer. Denn letztlich "handeln" Vater, Sohn und Geist "ad extra" wieder gemeinsam. Die darin immer wieder behauptete "Freiheit" des "Handelns Gottes" und Kontingenz der Welt gleichen magischen Beschwörungsformeln (146.170). Es wäre zu begrüßen, wenn sie einmal argumentativ eingelöst würden.

Dabei evoziert der Vf. mit der Schöpfungsvorstellung exakt das Problem absolut-absoluter Selbstbestimmung Gottes, das in sattsam bekannten Aporien endet (146.151.170.244.252). Genauso wenig wird der immer wieder behauptete Zusammenhang zwischen dem passiven Konstituiertsein des Glaubenden und der aktiven Aneignung dieser Voraussetzung jemals aufgeklärt, was angesichts des sonstigen Insistierens auf "Kohärenz" recht merkwürdig ist (4, 73, 79, 96 ff, 182).

Fussnoten:

1) Vgl. zu dieser Problematik kritisch Michael Moxter, Riskierte Wirklichkeit, in: ThLZ 128 (2003), 247-260, hier: 247-250. Schwöbel ist hier ganz seinen Referenzautoren E. Herms und W. Härle verpflichtet, auf die sich auch Moxter bezieht.