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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1331–1334

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hermanni, Friedrich

Titel/Untertitel:

Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 2002. 361 S. 8. Kart. Euro 34,95. ISBN 3-579-05391-4.

Rezensent:

Walter Dietz

Theodizee kann grundsätzlich in drei Problemaspekten durchdekliniert werden: Theodizee und göttliche Allmacht; Theodizee und kreatürliches Leiden; Theodizee und das Böse/die Sünde. Hinzu kommen Sonderperspektiven, die als Problemverschärfung oder Paradigmenwechsel wahrgenommen werden, z. B. die Theodizee nach Auschwitz. Friedrich Hermanni ordnet sein Buch der Frage des Bösen und der Freiheit zu, zeigt dabei allerdings wenig Vorliebe für Sonderperspektiven. Vielmehr versucht H. die klassische Theodizeefrage systematisch durchzubuchstabieren, und dies auf eine logisch eindrucksvolle und überzeugende, mitunter freilich auch etwas ermüdende Art. Das Buch basiert auf einer 2001 in Bethel eingereichten Habilitationsschrift und stellt im Blick auf das Thema seiner Dissertation (Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes, 1994) kein Neuland dar. Die "neue Aktualität" der Theodizee (so W. Sparn, NZSTh 1990, 206) vollzieht sich hier als Wiederkehr der Thematik in umfassenderer Perspektive, somit gleichsam als autobiographische Renaissance. Das Buch ist gut lesbar und sehr übersichtlich aufgebaut. Offensichtliche Exkurse stören die Systematik, zerstören sie aber nicht (wie z. B. der höchst kritische zu J. Moltmann 243-254; H. spricht süffisant von der erstaunlichen Karriere der Lehre vom leidenden Gott, die "inzwischen fast zu einer Art neuen Orthodoxie avanciert ist" 24.242).

Von den drei Hauptteilen ist der erste der "Ontologie des Malum" zugeordnet, die beiden anderen der "Theologie des Malum" (eine m. E. nicht überzeugende Grundunterscheidung). Im ersten Teil werden klassische Positionen der Theologie beleuchtet (u. a. Augustin, Anselm und Thomas), in den beiden anderen durchaus nicht nur theologische, sondern auch philosophische (z. B. Hegel, Jonas, Plantinga, Swinburne). Der Verdacht wäre also ganz falsch, auf eine philosophische Grundlegung hin würde die Suche nach einer dezidiert theologischen Position folgen. Vielmehr zieht sich die Leibnizsche Grundfrage durch das ganze Werk hindurch; sie wird unablässig durchgespielt und kreativ weitergedacht. In diesem unbeirrten Beharren besteht zugleich die größte Stärke des Werkes: Es sucht nach logischer Durchdringung und rationaler Bewältigung einer zentralen Frage, deren fundamentale Bedeutung klar erkannt wird (in dieser Grundtendenz trotz aller Kritik eng verwandt mit dem Werk des Münchner katholischen Autors Armin Kreiner, Gott im Leid, 1997; rez. v. W. Sparn in ThLZ 125 [2000], 99-104). Es geht H. nicht um historische Rekonstruktionen, sondern um systematische Vergegenwärtigung von Argumentationsfiguren und Überprüfung ihrer logischen Vertretbarkeit und Stichhaltigkeit. Wer die Denkform der Leibnizschen Theodizee ablehnt (was der Sache nach nicht einmal für den kritischen Kant gelte, so H.), wird auch mit H.s Buch nicht viel anfangen können; denn die theologische Sinnhaftigkeit und Legitimität der Theodizeefrage wird vorausgesetzt, ihre Lösbarkeit unbeirrt ins Auge gefasst.

Zu den Prämissen des Augustinisch-Leibnizschen Theorieaxioms gehört ja, dass Gott aus einem Spektrum möglicher Welten eine bestimmte (z. B. die beste) gewählt habe und dass diese Wahl nicht nur keinen Willkürakt darstelle, sondern überdies auch im Horizont menschlicher Vernunft stringent nachvollziehbar und somit rational deduzierbar sei: Gott handelt nach moralischem Maßstab und da, wo für ihn gleich Wertvolles zur Wahl steht, muss er schon aufpassen, dass er sich nicht in einer "moralisch prekären Lage" (286) oder gar in der Situation von Buridans Esel wiederfindet (290). Im Sinne jener Leibniz-Kantischen Logik kann, oder besser: muss man eben glauben (und weiß sich in diesem Glauben auf der Spitze der Vernunft), dass die Welt auf den subjektiven Entschluss eines höchsten moralischen Wesens zurückgeht. Man muss glauben, dass Gott in seinem Handeln logischen Schranken unterworfen ist (294). Man muss glauben, dass aus der Güte Gottes die Güte seines Schöpfungshandelns wie auch der Schöpfung selbst resultiert (und dass von einer Güte der Welt nur sinnvoll die Rede sein kann, wenn sie in logischer Entsprechung zu unserem Verständnis von Gutsein steht).

Bejaht man all diese Prämissen, dann liest sich H.s Buch mit großem Gewinn. Es ist profund und reflektiert geschrieben; vor allem die Erörterungen zu Augustin, Anselm, Thomas und Leibniz sind gehaltreich und werden die gegenwärtige Debatte nachhaltig befruchten. H.s Analysen haben historisch einen weiten Horizont, der von Platon und Augustin bis hin zu John Hick, Swinburne und Plantinga führt (die Prozess-Theodizee der Schule A. N. Whiteheads und Ch. Hartshornes, z. B. D. Griffins, bleibt allerdings völlig unbeachtet). Die Kritik Kants an Leibniz wird von H. selbstverständlich auch mit behandelt, aber in ihrer Schärfe m. E. heruntergespielt, so als ob Kant im Herzen doch ein Leibnizianer höherer Ordnung geblieben wäre. Das Kapitel zu Hegel - mit einer vertretbaren Kritik der geschichtsphilosophischen Teleologisierung - ist knapp, aber gehaltreich. Ob Hegel von einer Kontingenz (Ringleben) oder Notwendigkeit (H.) des Bösen ausgeht, ist im Blick auf die Kritik von J. Müller und S. Kierkegaard zweitrangig (235 f.; eine Bezugnahme auf Schleiermacher findet sich übrigens im gesamten Werk nicht).

Wenn H. 228 f. jedoch auf 139 der Rechtsphilosophie Bezug nimmt, wäre es gut, auch Hegels fundamentale Kritik des Zulassungsaxioms mit einzubeziehen (Rph 139 Z; vgl. Schelling, cf. H. 145). Dort zeigt sich Hegels Nähe zu Luther und sein entscheidender Beitrag zur Theodizeedebatte. Von einem allmächtigen und allgegenwärtigen Wesen kann nicht behauptet werden, es verhalte sich rein zulassend (permissive/admissive) zum Bösen. Denn es wäre dem Begriff Gottes ganz unangemessen, seinerseits ein bloßes "Zulassen" oder "in Kauf Nehmen" des malum durch ihn anzunehmen. Hegel hat darin Recht, dass Gott nicht in der Rolle eines "passive players" gegenüber dem Weltgeschehen gedacht werden kann. Die Verborgenheit des positiven Sinns der Geschichte resultiert ja nicht aus seiner Abwesenheit, sondern verborgenen Anwesenheit in ihr. Die Hauptschwäche von H.s Buch besteht m. E. darin, dass es das Zulassungsaxiom unkritisch voraussetzt (z. B. 20.54.110 f.197 f.203.226.251.284.292 ff.296.305 ff.313.316 u. ö.), statt es theologisch ernsthaft zu diskutieren. Andererseits liegt eine Stärke seines Buches darin, dass H. das Böse nicht zu "entübeln", zu depotenzieren, zu verharmlosen sucht, sondern als positive Macht interpretiert: Im Bösen ist eine real dem Guten entgegengesetzte Kraft am Werk (76.132.150.211 u. ö.) - so H. im Anschluss an Schelling (1809). Diese theologisch fundierte und berechtigte Auffassung des Bösen könnte nun dazu verleiten, die neuplatonisch konfigurierten Privationstheorien (malum est privatio boni) hemdsärmelig abzufertigen. Die größte Stärke der Analysen von H. liegt nun aber gerade darin, dieser Versuchung zu widerstehen und zu einer angemessenen Kritik des Privationskonzeptes zu gelangen. Diese Analyse und Kritik ist H. hervorragend gelungen, und zwar sowohl im Blick auf Augustin und Thomas, als auch auf Leibniz. H.s. eigene Position schließt sich im Grundsatz Leibniz an, versucht jedoch, seinen Ansatz modifiziert weiterzuführen. Gegenüber modernen Versuchen, im Geist der Analytischen Philosophie Leibniz zu kritisieren, nimmt H. ihn mit guten Gründen in Schutz.

Was bleibt von Leibniz? Im Sinne H.s. sehr viel, denn nicht nur das Zulassungsaxiom findet Aufnahme, sondern auch der Gedanke einer notwendigen Wahl der bestmöglichen Welt, sowie die Abwägung von bona gegen mala, ferner sein schwieriger (aus Kantischer Sicht aporetischer) Gedanke eines malum metaphysicum. Diesen Gedanken macht H. stark, ohne seine Probleme zu übersehen. Gelungen ist auch H.s Auseinandersetzung mit der Free-Will-Defense. Dieser will H. mit Augustin und Leibniz eine "No-Better-World-Defense" entgegensetzen (295), die ohne die prekäre Prämisse operiert, dass das malum der Preis gottgewollter Freiheit sein muss (305.313). Wichtig ist an dieser Stelle auch H.s Kritik eines akausalen Freiheitsbegriffs, der Freiheit mit absoluter Indeterminiertheit in eins setzt und sie stattdessen als vernünftige (nicht grundlose) Selbstbestimmung definiert. Die Free-Will-Defense basiert also nicht nur auf einem defizienten Gottesbild, sondern auch auf einem oberflächlichen Freiheitsverständnis. Richtig ist dabei auch H.s Hinweis, dass Verantwortlichkeit eben kein akausales Freiheitsverständnis voraussetzt (306 ff., insbes. 308).

Schwierig hingegen scheint mir H.s Versuch, die von Leibniz und auch noch von Kant präzise gefasste Einheit des Theodizeeproblems preiszugeben, indem dem logischen Theodizeeproblem ein empirisches gegenübergestellt wird (318, Anm. 4). Das Scheitern der "doktrinalen" Theodizee beruht ja darauf, dass in ihr das Problem der Leiderfahrung eingeschlossen ist, von unserer Selbst- und Welterfahrung her jedoch kein Schluss auf Gottes Eigenschaften möglich ist (Kant 1791). Dahinter steht die diskutable Ansicht H.s, dass die Unübertrefflichkeit der bestehenden Welt erfahrungsunabhängig zu erweisen sei (320). Leid wird demnach kompensiert durch den Gegenwert einer Freiheit, die zu vernünftiger Selbstbestimmung in der Lage ist. Glücklich zu werden ist im Preis der Freiheit nicht inbegriffen. H. wehrt sich zu Recht gegen die Tendenz eines Offenhaltens der Geschichte, so dass die eschatologische Zukunft zum Gegenstand einer bloß "vagen Hoffnung" werde (300, Anm. 18 zu Kreiner). Gut und weiterführend ist in diesem Zusammenhang die Aufnahme der Unterscheidung von Vorherwissen und Vorherbestimmung Gottes (297).

Insgesamt ist H.s Buch eine komprehensive und intelligente Darstellung des Theodizeeproblems, die wirksam der Tendenz begegnet, an der Problemstellung von Leibniz vorbei, neben ihn oder gegen ihn das Theodizeeproblem in den Griff bekommen zu können. Am Ende fehlt dem Buch eine kompakte Zusammenfassung (leider auch ein Sachregister), aber man wird dem Autor nicht vorwerfen können, die Zielrichtung seiner Argumentation im Dunkeln gelassen zu haben. Somit stellt das Buch eine gelungene Bereicherung der gegenwärtigen Debatte zur Theodizee-, aber auch zur Freiheitsdebatte dar, die trotz gewisser Lücken und Vorlieben den Rang einer Gesamtdarstellung hat, die zugleich geeignet ist, auf hohem Niveau in das Problem einzuführen.