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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1304–1310

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Theologie als Kritik. Ausgewählte Rezensionen und Forschungsberichte.

Verlag:

Hrsg. v. M. Dreher u. K. W. Müller. Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XIV, 638 S. gr.8. Lw. Euro 104,00. ISBN 3-16-147406-6.

Rezensent:

Hans Hübner

Bultmanns Rezensionen zu publizieren ist ein schon jahrzehntelanges Desiderat. Denn in ihnen kommt in besonderer Weise zum Ausdruck, was er theologisch wollte. Gehört nun B. zu den bahnbrechenden theologischen Autoren des 20. Jh.s, zu denen also, die - ein wenig poetisch gesagt - das Antlitz der theologischen Forschung veränderten, lehrte gerade er Theologie wesenhaft neu zu verstehen, ließ er zudem seine theologischen Intentionen in seine Rezensionen einfließen, dann allerdings ist deren Publikation nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein literarisches Ereignis. Was bedeutet dann die Rezension der hier zu besprechenden Sammlung? Sie ist eine Rezension von Rezensionen, also eine Meta-Rezension. Sie will nämlich Rezensionen rezensieren, will - mit dem Titel des Buches - die "Theologie als Kritik" (ThK) der Kritik unterziehen.

Wir haben also allen Grund, den beiden Herausgebern Dreher und Müller äußerst dankbar zu sein! Sie haben den in der Bultmann-Forschung Engagierten, und nicht nur ihnen, ein ausgezeichnetes Hilfsmittel an die Hand gegeben. Dass sie B.s Kritiken und Forschungsberichte "nur" in Auswahl bringen, ist durchaus berechtigt; ein vollständiger Abdruck hätte, wie sie mit Recht im Vorwort sagen, den ökonomisch vertretbaren Umfang ihrer Edition weit übertroffen. Die von ihnen getroffene Auswahl ist überlegt vorgenommen.

Über einige nicht aufgenommene Rezensionen oder größere Aufsätze kann man streiten, so z. B. den Aufsatz über E. Hirsch, Jesus Christus der Herr, oder die beiden Rezensionen über Marlés Publikationen zur existentialen Interpretation. Aber der Hirsch-Aufsatz ist in "Glauben und Verstehen I" und eine der beiden Marlé-Rezensionen in "Glauben und Verstehen III" greifbar (zur Rezension von Karl Barth, Der Römerbrief 2, s. u.). Und außerdem haben die Herausgeber dem Buch ein alphabetisches Verzeichnis der rezensierten Bücher, ein chronologisches Verzeichnis aller von B. geschriebenen Rezensionen und Forschungsberichte, ein sehr ausführliches und hilfreiches Namen- und Sachregister und ein Register griechischer Begriffe beigegeben. Unter den Autoren der rezensierten Publikationen befinden sich fast alle, die Rang und Namen hatten, aber nicht nur diese.

Hat uns nun B. die Theologie dadurch neu sehen gelehrt, dass er das Rad der exegetischen, theologischen und hermeneutischen Forschung ein gehöriges Stück weiterbewegte, so geschah doch diese Bewegung in ein Neuland hinein, das sich bei näherem Hinsehen gar nicht so sehr als ein solches erwies. Denn im Grunde hat er uns "nur" bewusst gemacht, was wir eigentlich immer schon hätten wissen müssen: In jeder biblischen Aussage, die von Gott spricht, wird auch von uns selbst gesprochen. B. hat uns darauf gestoßen, dass Theologie, will sie wirklich die Theologie des sich selbst offenbarenden Gottes sein, notwendig hermeneutische Theologie ist. Aus dieser Perspektive hat er die Entwicklung von Theologie und Exegese in wichtigen Jahrzehnten des 20. Jh.s beobachtet und bewertet. Er, der in diesem Jahrhundert selbst Theologiegeschichte verkörperte, hat Theologiegeschichte theologisch beurteilend dargestellt. So ist die Sammlung seiner Rezensionen eine Theologiegeschichte, freilich Theologiegeschichte sui generis.

B. ging auf seinem Denkweg - dieser Begriff, ursprünglich von Otto Pöggeler für Martin Heidegger geprägt (Der Denkweg Heideggers, 31963), passt auch für ihn - durch bemerkenswerte Etappen. Auf diesem Weg lagen unterschiedliche Philosophien. Da begegnen wir Kierkegaard und Dilthey, dann Hei- degger. Aber keine Philosophie dieser drei gelangte unverändert in B.s Denk-Geschehen hinein und durch dieses hindurch. Die Genese seiner spezifischen Theologie, wie sie vor allem in seinem Entmythologisierungsvortrag (1941) oder in der existentialen Interpretation seines Joh-Kommentars (KEK) deutlich wird, ist immer noch umstritten. Nach seiner kontrovers diskutierten brieflichen Aussage an mich (7. Juni 1972) kannte er vor seinem ersten Treffen mit Heidegger (anscheinend unmittelbar vor Beginn des WS 1923/24) dessen Gedanken noch nicht, auch sei sein Jesus-Buch vor der Bekanntschaft mit ihm geschrieben. Es gibt keinen Grund, diese Aussage zu bezweifeln.

Der Rez. der Rezensionen muss das Gleiche tun wie die Herausgeber der Sammlung; er muss auswählen, will er nicht wegen des Umfangs des Buches ein nur oberflächliches Bild vom Rezensenten B. geben. Auch er muss fragmentarisch vorgehen, sogar wesentlich fragmentarischer als die Herausgeber von ThK. Man gestatte mir, dass ich bei der Auswahl eine Fragestellung vor Augen habe, die auch meine eigene wissenschaftliche Beschäftigung einerseits mit der Theologie und Philosophie und andererseits mit B. tangiert. Ich wähle also zunächst einige Aussagen aus den frühen Rezensionen aus, die es erlauben, dessen theologisches Werden auf seinem Weg bis zur Zusammenarbeit mit Heidegger zu beleuchten. Denn damit ist ja theologisch und exegetisch Wesentliches ins Auge gefasst. Zuweilen ist Konzentration auf Weniges die Konzentration auf Wesentliches.

1907 ist B. Repetent an der hessischen Stipendiatenanstalt in Marburg, 1910 wird er an der theologischen Fakultät der Universität Marburg promoviert, er habilitiert sich 1912, wiederum in Marburg. Schauen wir zunächst auf B. als Rezensenten in MPTh 5, 1908/09, dann also auf den noch nicht Promovierten. Eine seiner ersten Besprechungen (MPTh 5) ist die der 1. Aufl. von Deißmanns "Licht vom Osten". Dieser zeige, dass das Neue Testament, kein in der Studierstube geschriebenes Lehrbuch, als "Dokument einer von Inspiration getragenen Zeit [...] uns einen Blick tun läßt in lebendige Seelen, daß es uns das Kämpfen und Wirken der religiösen Kräfte in herrlicher Frische sehen läßt" (7). B. zitiert Deißmann: "Buch der Völker wurde das NT, weil es Buch des Volkes war." Man achte auf die Worte, die die ungeheure Vitalität des religiösen Lebens, die lebendige Religiosität als das Leben schlechthin lobend hervorheben: lebendige Seelen, Kämpfen und Wirken der religiösen Kräfte in herrlicher Frische!

In MPTh 5 erscheint auch eine äußerst lange Besprechung (in ThK: 7-26) unter dem Titel "Die ntl. Forschung 1905- 1907". Aufschlussreich sind wieder einzelne Formulierungen. B. verweist u. a. auf Kühls Kommentierung der Paulusbriefe im KNT. Er kritisiert (17; Kursiven durch mich): "Der Verf. hat sich zu eng an den Gedankengehalt der paulinischen Sätze gehalten und gibt zu wenig den Stimmungsgehalt wieder. Der Schwung der paulinischen Rhetorik geht zu oft verloren unter dem Bestreben, alle unausgesprochenen Zwischengedanken zu ergänzen." Von den von J. Weiß herausgegebenen "Schriften des NT", die "für die gebildete Laienwelt bestimmt" sind, lobt B. "eine Exegese [...], an deren lebensvoller Frische und Feinfühligkeit man erkennt, welch reichen Ertrag die Fragestellungen und Ergebnisse der modernen Forschung für die Exegese abwerfen", z. B. Heitmüllers Auslegung des Joh (17 f.). Schon wieder: lebensvolle Frische!

B. verlangt also von der Auslegung der neutestamentlichen Schriften nicht nur eine Interpretation der Gedanken, sondern auch der Seelenlage des Autors, die sich in seinen Worten ausspricht. Im Prinzip hat er damit schon vorweggenommen, was Heidegger 1927 in "Sein und Zeit" als Existenzanalyse publizieren wird: Verstehen und Befindlichkeit - Befindlichkeit als ontologisches Existenzial der ontischen Stimmungen - sind gleichursprünglich. B. verlangte also schon damals von der Exegese, was später Heidegger existentiale Interpretation nennt, freilich ohne die so genannte ontologische Differenz, die aber auch Heidegger selbst noch nicht expressis verbis vertrat, als er nach dem SS 1923 (s. dazu Heidegger, Vorlesung SS 1923: Ontologie [Hermeneutik der Faktizität], Gesamtwerke, Bd. 63) zum ersten Mal mit B. zusammentraf.

Diese Rezension bringt auch einen Abschnitt über Paulus. Für Wredes Paulus bezieht sich B. auf die wichtigsten Abschnitte dieses Buches, die über die Persönlichkeit und Theologie des Paulus (22). Das Bild des Theologen Paulus werde "mit furchtbarer Einseitigkeit" gezeichnet: "Er erscheint nur als der Dialektiker, der [...] die Wärme und den Ernst der Religion Jesu verdarb". B. tadelt den unpersönlichen Glaubensbegriff, den Wrede dem Paulus unterstelle. "Bei der Zeichnung seiner Persönlichkeit [sie lässt B. also noch als exegetisches Ziel gelten!] ist der eigenartig grüblerische Zug vergessen, das starke intellektuelle Bedürfnis, das Wohlgefallen an großartigen, aus Intuition und Denken gewobenen Anschauungen. Und aus der Theologie des Paulus andererseits ist alles Feuer und Leben verbannt." Feuer und Leben!

Eine sehr kurze Rezension findet sich in der ChW, 24, 1910, über F. Ziller, Die moderne Bibelwissenschaft und die Krisis der evang. Kirche, Tübingen 1910. Bezeichnend wieder (34): "Sie [Z.s Schrift] lehrt ihn [den Leser] zweitens, sich zu besinnen, was ihm das Große an Jesus ist, ob die Gedanken über ihn, oder das Leben, das er entzündet." Wichtig ist die Rezension der bis 1911 erschienenen Bände des HNT in ChW, 25, 1911. Die Hauptaufgabe dieser Kommentarreihe war, "das NT auf dem Hintergrunde der hellenistisch-römischen Kultur zu verstehen"; "je lebendiger das Bild von der Welt ist, in die die christliche Religion eintritt [...], desto plastischer erscheint auch die geistige Macht, die das NT bedeutet" (34). Erneut: Lebendigkeit als Kriterium. Kurz danach (35): "das NT redet doch um so lebendiger, je mehr wir es mit den Augen derer lesen können, für die seine Schriften zuerst geschrieben waren." Leben wird so zum hermeneutischen Begriff. B. vergleicht die Zeit des Neuen Testaments mit der seinen (35 f.): Die antike Welt mit ihrem Nebeneinander von Gegensätzen, eine Welt des Auf und Ab von Stimmungen und Interessen, von starker Sinnlichkeit und exakter Wissenschaft, all das "ist eine Welt, die uns modern anmutet. Dem Menschen fehlt ein eigentlicher Lebensinhalt." Dagegen die Welt Jesu! Dagegen "das Kraftgefühl und der Enthusiasmus des Paulus! wie spürt man auf einmal ganz anders die Luft der johanneischen Welt voll Ruhe und Freude!" Wendlands Band über die hellenistisch-römische Kultur lobt B. als eine Arbeit, die "ertragreich [sei] nicht nur für das Verständnis peripherer Punkte, sondern auch zentraler Stimmungen und Gedanken" (38). Dem Leser werden die Augen geöffnet "für die Fähigkeit des Christentums, aufzunehmen und zur Vollendung zu bringen, was an verschiedenen religiösen Kräften in Menschenherzen lebendig sein mag" (39).

Es kommen also zusammen die Lebendigkeit des Damals und die Lebendigkeit des Heute. Dass nur das geschichtliche Leben geschichtliches Leben versteht, ist aber der Grundgedanke der phänomenologischen Hermeneutik Diltheys, mit dem sich B. schon vor 1911 intensiv beschäftigt hatte. In seiner Habilitationsschrift (1912) wird er zustimmend genannt. Es ist ja derjenige Philosoph, dessen Gedanken B. in der Einleitung seines Jesus-Buchs so eindrücklich zum Ausdruck gebracht hat. Es ist derjenige Philosoph, dessen Grundbegriff "Wirkungszusammenhang" Heidegger B. zur Einfügung in diese Einleitung riet. B.s Rezensionen bestätigen also, dass sein geschichtlich-existentielles Denken früh von Dilthey geprägt war.

Von besonderem Interesse für unsere Überlegungen ist B.s Sammelrezension über die vier Theologien des NT von Holtzmann, Weinel, Feine und Schlatter, wieder in der "Monatsschrift für Pastoraltheologie [!]" publiziert (MPTh 8, 1911/12). Ich beschränke mich auf seine über fünfseitige (!) Auseinandersetzung mit der 2. Aufl. von Holtzmanns Theologie. Er lobt das Meisterwerk ob des "aufrichtige[n] historische[n] Sinn[s], der ganz dem Stoffe sich hingibt, und der mit Weite und Feinheit die Vielgestaltigkeit der geschichtlichen Erscheinungen erfasst" (42). Im Blick auf die religionsgeschichtliche Forschung sei schon von der 1. Aufl. her das Buch "von dem richtigen historischen Standpunkt aus entworfen [...], der das NT nicht als eine isolierte Größe in der antiken Geisteswelt betrachtet, sondern sich der vielfältigen Zusammenhänge bewußt ist" (42). B. hält sich im Disput mit Holtzmann vor allem an dessen Darstellung nach Lehrbegriffen auf. Wieder begegnen wir dem Einwand, dass "das Gewicht bei der Betrachtung der ntl. Schriftsteller viel zu sehr auf die intellektuelle Seite ihres geistigen Lebens gelegt wurde" (43). Grundsätzlich gilt für B. (44; Kursiven durch mich): "Denn die treibenden, die Geschichte bildenden Kräfte im NT sind nicht theoretische Gedanken, sondern Kräfte des religiösen und sittlichen Lebens." Im Blick auf die seit Wrede erhobene Forderung, statt Theologie des Neuen Testaments Religionsgeschichte des Neuen Testaments zu betreiben, definiert er als Ziel der neutestamentlichen Theologie (45):

"zu verstehen, was das Charakteristische der neuen Religion ist, die hier entsteht, in welches neue eigentümliche Verhältnis sie den Menschen zu Gott bringt, wie das neue Erlebnis [!] bei den verschiedenen Persönlichkeiten [!] und in den verschiedenen Schichtungen und Richtungen sich darstellt, sich mit anderen religiösen Motiven verbindet, wie es das sittliche Denken und das sittliche Leben beeinflußt, wie man versucht, es sich verstandesmäßig klarzumachen, wie man sich die neuen religiösen Güter im Kultus vergegenwärtigt oder sie genießt."

Ich bedaure, dass B.s Rezension von Karl Barths Römerbrief in 2. Auflage (1922) in ThK fehlt. Denn sie bedeutet den Übergang jenes B.s, dessen Denkweise in den bisher bedachten Rezensionen zu erkennen war, zu demjenigen B., der sich nun im Gefolge von Barth und Gogarten zur "jüngsten theologischen Bewegung", der Dialektischen Theologie, rechnete. Das Entscheidende dieser Röm-Auslegung ist das Verständnis des Glaubens. Darin stimmt B. dem Autor im Wesentlichen zu. Glaube ist für Barth keine historische und psychologische Anschaulichkeit des religiösen Erlebnisses, keine geschichtliche und seelische Wirklichkeit, sondern "unsagbare Gotteswirklichkeit". In diesem Zusammenhang spricht Barth auch vom Leben und vom Tod. B. zitiert diesen Abschnitt (TB 17/I, 122):

"Ihm [dem Glauben] handelt es sich [...] um den letzten und einzigartigen, weil übergangslosen Kontrast des Lebens zum Tode, des Todes zum Leben, des Seienden zum Nichtseienden, des Nichtseienden zum Seienden. Jenseitiges Leben und Sein ist für ihn das, was vom diesseitigen Leben und Sein aus nur Tod und Nicht-Sein, und wiederum diesseitiges Leben und Sein das, was vom jenseitigen Leben und Sein aus nur Tod und Nichtsein heißen kann."

Ausdrücklich räumt B. ein, "daß Barth die Anschauung des Paulus vom Glauben in der Tiefe erfaßt hat" (ib. 140). Diese Zustimmung bedeutet aber eine Absage an die vielfache positive Auffassung vom Leben, wie er sie früher in Anlehnung an Gedanken Diltheys geäußert hatte. Zwar bleibt er auch trotz seines theologischen Schwenks zur Dialektischen Theologie der Philosophie Diltheys noch für einige Jahre verbunden, aber das Thema "Leben" spielt bei ihm nicht mehr die Rolle wie zuvor.

Aus dem Jahr 1922 ins Jahr 1925 - chronologisch nur eine kurze Zeitspanne, für den Denkweg B.s aber eine inhaltsschwere Zeit. Seit dem WS 1923/24 kennt er Heidegger, er hat inzwischen den Schritt aus der ersten Epoche mit seinem geschichtlichen Denken, das zumindest in wichtigen Punkten von Dilthey inspiriert ist, zur Dialektischen Theologie schon einige Zeit hinter sich, die ersten Differenzen zwischen ihm und Barth werden sichtbar, der Einfluss Heideggers auf ihn ist dessen Ärgernis. Man lese nur den Briefwechsel aus dem Jahr 1925 zwischen B. und Barth. Aber noch hält irgendwie die Allianz zwischen beiden, zumindest in Hinsicht auf Erik Peterson, der in diesem Jahre seine kleine Schrift "Was ist Theologie?" veröffentlicht, und zwar "vermutlich sehr spontan und im Affekt der Empörung gegen B.s Aufsatz [Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, Glauben und Verstehen I, 26 ff.] zu Papier gebracht". 1925 war Peterson noch evangelisch, er konvertierte erst 1930 zur katholischen Kirche. Dennoch sah man bereits in dieser Schrift katholisierende Tendenzen.

In offensiver Kritik gegen B. erklärt Peterson: Theologie gibt es erst, seit der Menschgewordene von Gott geredet hat. Sie ist "die in Formen konkreter Argumentation sich vollziehende Fortsetzung dessen, daß sich die Logos-Offenbarung ins Dogma hinein ausgeprägt hat" (ib. 13). Nur der Menschgewordene kann von Gott reden. So liegt das Dogma in der Verlängerung des Redens Christi von Gott. Es ist die Autorität Christi, die sich hier "ausspricht". Die Kirche spricht also mit der ihr von Christus übertragenen Lehrgewalt. Sein Aufsatz wird mit scharfer Polemik bedacht.

B. hat Petersons Schrift zweimal rezensiert, zunächst in ChW 39, 1925. Er sieht in ihr "eine scharfe Polemik gegen die dialektische Methode in der Theologie", entgegnet aber dem Angriff auf ihn in sehr vornehmer und zurückhaltender Weise. Es sei eine "ungemein inhaltsreiche und schwerwiegende Schrift" (140):

"Ich bin der Meinung, daß sich hier zum ersten Male für uns, die wir uns zum Kreise Barth-Gogarten rechnen, eine Diskussion eröffnet, die weiß, worum es geht, und die um so fruchtbarer sein kann, je mehr bei einem Gegensatz, der bis ins Leben geht, eine gemeinsame Basis zur Aussprache vorhanden ist. Und dies [...] vor allem deshalb, weil hier das positive Interesse das gleiche ist, nämlich eben die Frage nach echter theologischer Begriffsbildung."

Ausdrücklich warnt B. davor, Peterson dadurch zu erledigen, dass man ihn als katholisierend charakterisiert. Im Abendblatt der Frankfurter Zeitung vom 27.9.1926 nennt er Petersons Frage "Was ist Theologie?" die grundlegende und gewissermaßen auch grundstürzende Frage, die er mit großer Rücksichtslosigkeit gestellt habe. Die Ablehnung, die dieser fast durchweg erfuhr, beweise nur, dass seine Frage nicht radikal genug verstanden worden sei. Er verweist auf die mit Schleiermacher vollzogene neue Akzentsetzung: fides qua creditur statt fides quae creditur. B. aber fordert, die Intentionalität des Glaubens nicht zu verkennen, nämlich die Bezogenheit des Glaubens auf seinen Gegenstand, auf Gott. Geradezu klassisch formuliert er für die Theologie: "als Wissenschaft vom Glauben muß sie zugleich Wissenschaft von Gott sein." Keineswegs dürfe sie "den Glauben nur als ein Phänomen der menschlichen Psyche oder der Kultur- oder Religionsgeschichte" nehmen (157 f.). B. sieht also ausgerechnet in seinem dezidierten Gegner den hervorragenden Gesprächspartner für sein eigenes theologisches Anliegen. Und er hatte Recht! Denn mit den Themen Glaube und Dogma ist die fundamentaltheologische Frage nach der Substanz von Theologie gestellt.

Die nächste und auch zugleich letzte Rezension unserer Darstellung stammt aus dem Jahre 1928. Ich schließe mit diesem Jahr, weil nun für B. in gewisser Weise sein Denkweg abgeschlossen ist. Sicherlich, er wird noch Wichtigstes schreiben. Noch hat die Entmythologisierungsdebatte nicht begonnen. Noch ist der Joh-Kommentar Zukunft. Noch hat er seine Theologie des NT nicht geschrieben. Aber die Voraussetzungen für diese großen Werke sind nun gegeben. 1928 liegt also hinter B. und Heidegger der wichtigste Abschnitt ihrer theologisch-philosophischen Begegnung. 1926 erschien B.s Jesus-Buch, in das Heideggers Ergänzungsvorschlag "Wirkungszusammenhang" aufgenommen ist (s. o.). Dieser hat 1927 "Sein und Zeit" veröffentlicht. B. hat daraus das Seine entnommen, wenn auch in mancher Hinsicht anders, als es der Philosoph konzipiert hatte. Denn B.s existentiale Interpretation ist keine ontologische Analyse des Daseins, sondern er befragt ontisch Gegebenes, nämlich biblische Texte, auf das sich in ihnen aussprechende Existenzverständnis. 1928 ist seine theologische und hermeneutisch-philosophische Entwicklung im Wesentlichen zur Reife gelangt. Was er hernach an Rezensionen geschrieben hat, zeigt einen B., der zur Genüge bekannt ist. Somit hat unsere Rezension ihr Ziel erreicht: einen über den Tellerrand der Theologie schauenden Theologen in seinem theologisch-philosophisch-hermeneutischen Werden anhand wichtiger Rezensionen vor Augen zu stellen.

Also nun zur Rezension von Otto Schmitz, Die Bedeutung des Wortes bei Paulus, 1927 (ThLZ 53, 1928). Das Thema ist theologisch zentral. A prima vista fällt der deutliche Einfluss des hermeneutischen Denkens Heideggers auf. B. vermisst bei Schmitz die griechische Auffassung von "Wort". In der "prophetisch-heilsgeschichtlichen Linie" sehe er, dass im Alten Testament das Wort primär als Anrede verstanden sei. Für die vermisste griechische Auffassung vom Wort verweist B. auf den logos, der etwas sehen lasse logos = apophansis!). Das ist im Sinne des Aristoteles gesagt (s. den hermeneutischen 7 von "Sein und Zeit"!). B. erweist sich hier als kompetenter hermeneutischer Gesprächspartner des Philosophen. Zum eigentlich Theologischen (231): Verschleiere auch Schmitz in seiner Terminologie durch Subtilitäten Entscheidendes, so sehe er doch richtig, "daß bei Paulus das Wort seinen Charakter als Gottes Wort in der Aktualität seines Verkündigtwerdens hat und nicht darin, daß es [...] einen ewigen Wahrheitsgehalt vermittelt". Es will ja gehört werden. So gehöre, wie der Autor richtig sage, "für Paulus das verkündigende Wort selbst mit zu der verkündigten Sache". Ich füge hinzu: Das Evangelium ist nach Röm 1,16 dynamis theu; und da Gottes Wesen nicht von seinen "Eigenschaften" getrennt werden kann - das ist nur begrifflich, nicht aber realiter möglich! -, ist das Evangelium geradezu mit dem dynatos theos identisch, mit dem in seinem Wort präsenten Gott. Berechtigt ist daher B.s Kritik, der zunächst Schmitz zitiert (231): "Es muß die nichtgegenständliche Kraft Gottes hinzukommen, um dem verkündigten Worte seine Wirkung zu geben." Sein berechtigter Einspruch: "Ja, wenn die Kraft Gottes ein Etwas ist, das [Druckfehler: daß] außerdem noch zu dem Worte hinzukommt, dann ist sie ja gerade als etwas Gegenständliches vorgestellt!" Zu diesem ironischen Einwurf ergänzt er, damit man ja verstehe, was er sagt: "Und inwiefern die Zusammengehörigkeit von Verkündigtem und Verkündigung die gegenständliche Seite charakterisiere, ist mir ganz dunkel." In der Tat, hier verstößt Schmitz gegen den Autor von Röm 1,16 f.! B. lässt klar erkennen: Paulus vertritt die Wort-Theologie, die abzuwerten das Herz der paulinischen Theologie trifft. Der B. dieser Rezension ist der Theologe, der weiß, wovon er spricht, wenn er von der Theo-Logie des Paulus spricht! Wir haben B. auf seinem Weg zum Werden seiner hermeneutischen neutestamentlichen Theologie begleitet. Es war ein bereichernder Weg! Heute ist es zuweilen eine ärgerliche Mode, Theologie als Theologie des Wortes in Frage zu stellen. Wer das tut, sollte bei Bultmann in die theo-logische Lehre gehen!