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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1300–1302

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Seebaß, Gottfried

Titel/Untertitel:

Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2002. 603 S. gr.8 = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 73. Lw. Euro 76,00. ISBN 3-579-01758-6.

Rezensent:

Siegfried Bräuer

Ausführlich vorzustellen ist die Hut-Monogaphie von Seebaß nicht. Es handelt sich um den Druck seiner Erlanger Habilitationsschrift von 1972, die seit den ausführlichen Selbstanzeigen 1973 in den Mennonitischen Geschichtsblättern und 1974 in der ThLZ der Fachwelt bekannt ist. Die immer wieder erwünschte Drucklegung kam nicht zustande, doch der Vf. sorgte dafür, dass Interessenten in den USA und in Europa durch Kopien Zugang zu seinen Forschungsergebnissen erhielten. In der DDR bekam Max Steinmetz in Leipzig ein Exemplar, das er im Sinne des Autors bereitwillig auch Kirchenhistorikern zur Verfügung stellte. Seit drei Jahrzehnten findet sich in Bibliographien und Artikeln von Nachschlagewerken die Erwähnung der Arbeit von S. verbunden mit dem Urteil "grundlegend", denn durch sie ist die Forschung zu Hans Hut auf eine neue Ebene gehoben worden. Der Nachweis von Huts Bedeutung in der Frühphase des Täufertums, für den in den drei Teilen der Monographie (A Die Quellen zu Biographie und Theologie Hans Huts; B Grundzüge einer Biographie Hans Huts; C Die Theologie Hans Huts) die Grundlage erarbeitet worden ist, hat allgemeine Geltung erlangt. Der Vorstand des Vereins für Reformationsgeschichte und der Autor haben deshalb entschieden, den Text des Typoskripts von 1972 unverändert zu publizieren. Dankenswerterweise sind die Seitenzahlen des Typoskripts zusätzlich aufgenommen worden. Die entsprechenden Nachweise in der bisherigen Literatur sind somit auch in der Druckfassung leicht zu finden.

Zur weitergegangenen Forschung hat der Autor in einem Nachwort Stellung genommen, das sich an den Gang seiner vorangehenden Untersuchung anlehnt. Zunächst geht er auf die Situation der Täuferforschung zu Beginn der siebziger Jahre ein. Die Position der Schule von Harold S. Bender war noch immer bestimmend. So monolithisch, wie sie sich S. darstellte, war jedoch auch die mennonitische Forschung nicht mehr, so dass er den gelegentlichen polemischen Stil von daher verstanden sehen möchte. In einem zweiten Abschnitt nimmt er zu Werner O. Packulls (Toronto) Auffassung Stellung, Hut sei weniger vom Einfluss Müntzers geprägt als "durch die sich ausdifferenzierende Aufnahme spätmittelalterlicher Mystik in der ersten Dekade der Reformationszeit" (591). Er erinnert daran, dass er andere Einflüsse (Karlstadt, Denck) durchaus nicht in Abrede gestellt hat, bleibt aber dabei, "dass Hut mit seiner charakteristischen Verbindung von mystischem Spiritualismus mit dem Schwerpunkt auf der Passion Christi und seiner apokalyptischen Erwartung den grundlegenden Rahmen seines theologischen Denkens Thomas Müntzer verdankt" (591). Da Packull sich vor allem auf das inhomogene Hutsche Täufertum, also auf Huts "Schüler", konzentriert, versteht S., der das Täufertum Huts herausarbeiten wollte, die überarbeitete Dissertation Packulls (Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1525-1531, Scottdale 1977) eher als eine notwendige Ergänzung und nicht als Kritik seiner Ergebnisse. Den chamäleonartigen Eindruck, den Hut nach Packulls Meinung zuweilen erweckt, kann S. nicht bestätigen, da sich die Verhaltensvarianten theologisch begründen lassen. Auf die Veränderungen der Forschungssituation hinsichtlich der Quellen geht S. in einem dritten Abschnitt ein. Er verweist auf Funde durch Martin Rothkegel, zwei neue Drucke der "Christlichen Unterrichtung" und eine Katechismushandschrift, aber auch auf den neuen Zugang zur "Christlichen Unterweisung", dem Sendbrief von der sog. Märtyrersynode, und Jörg Haug von Jüchsens Schrift in Adolf Laubes Ausgabe von Täuferflugschriften. Zu den früher Hut mit großer Wahrscheinlichkeit zugewiesenen Schriften vermerkt er seine gewachsene Skepsis. Seine einstigen Ausführungen zur Schrift "An die Versammlung gemeiner Bauernschaft" bezeichnet er als überholt durch neuere Forschung. Leider fehlt ein Hinweis, dass die unter dem Namen Christianus Hitz von Salzburg handschriftlich überlieferte Fassung von Müntzers Schrift über den gedichteten Glauben (84 und 303) bereits 1526 durch Melchior Ramminger in Augsburg gedruckt worden ist (VD 16, H 3968). Es wäre noch zu untersuchen, ob es sich bei der 1531 als Besitz des Täufers Julius Lober konfiszierten Handschrift um eine Abschrift des Druckes handelt.

In den Abschnitten zu Leben und Werk Huts vermerkt S., dass seine Ergebnisse bei den neueren Darstellungen des Täufertums in der Regel rezipiert worden sind, dass sich aber durch weitere Forschung kleinere Einzelkorrekturen ergeben. Sie betreffen beispielsweise das Verhältnis Huts zu Nürnberg und die Täuferverfolgung im reichsstädtischen Gebiet (vgl. die Monographien von Hans-Dieter Schmid über Täufertum und Obrigkeit in Nürnberg und Günter Vogler über Nürnberg 1524/25). Für Huts Beteiligung am Bauernkrieg in Franken kann S. auf einen eigenen Beitrag verweisen, der auf den Ergebnissen seiner Habililitations-Schrift basiert. Die grundsätzliche Frage der Beziehungen zwischen Täufertum und Bauernkrieg ist vor allem durch James M. Stayer mehrfach erörtert worden. Für die Augsburg-Aufenthalte Huts und den Prozess verweist S. auf die Dissertation von Friedwart Uhland über Täufertum und Obrigkeit in Augsburg im 16. Jh. (1972) und von Hellmut Zschoch über Urban Rhegius (1995). Packull hat in seiner neuen Arbeit über die Hutterer in Tirol (2000) darauf aufmerksam gemacht, dass Hut mit seiner Mission die Anfänge des Täufertums in der Schweiz, in Tirol und Mähren zwar vielfach angestoßen hat, in der weiteren Entwicklung dann aber sehr unterschiedliche Einflüsse zum Zuge kamen.

Die Nikolsburger Episode Huts wie das mährische Täufertum insgesamt werden durch die noch ungedruckte Dissertation von Rothkegel (Prag 2001) in neues Licht gerückt. Einleitend zum Abschnitt über die Theologie Huts greift S. das Problemfeld der Beziehungen zu spätmittelalterlichen Traditionen und zeitgenössischen Einflüssen auf, das nach seiner Ansicht wohl auf Dauer umstritten bleiben wird. Er rechnet weiterhin damit, dass bei Hut vorrangig Müntzers Einfluss wirksam wurde und auch spätmittelalterliche Traditionen auf diesem Weg vermittelt wurden. Auf Konsequenzen dieser Prägung geht S. im Einzelnen ein, oft in Zustimmung, aber auch in Differenzierung zur Interpretation Packulls. Für Huts Taufverständnis kann er auf eine eigene weiterführende Untersuchung und eine von Packull verweisen. Huts Sabbatdeutung ist durch die Arbeiten von Jürgen Kaiser (zuletzt TRE 29, 588-593) neu erhellt worden.

Das Konzept der Gütergemeinschaft hat Stayer genauer analysiert und den Zusammenhang von Bauernkrieg und Täufertum für diesen Punkt bestätigt. Selbst wenn inzwischen deutlicher zu sehen ist, dass die Wirkungsgeschichte des von Hut vertretenen Täufertums als einer Größe sui generis dann doch recht unterschiedlich verlaufen ist, sieht S. keinen Anlass, an seiner "seinerzeitigen Schlussfolgerung" eine Änderung vorzunehmen, "daß nämlich Hut selbst mit seiner Verbindung eines ganz spezifischen mystischen Spiritualismus und einer sehr charakteristischen Apokalyptik das war, was er weitertrug: Müntzers Erbe".

Die rückwärtsgewendeten Bedenken gegenüber der Charakterisierung Huts wurden bereits erwähnt. Bedenken gab es auch mit Blick auf die folgende Entwicklung. Vom marxistischen Geschichtsverständnis aus reagierte Steinmetz, der die Arbeit von S. sonst mit hohem Lob versah, im Gespräch mit Kopfschütteln auf den Titel. Die Unterschiede im Erbeverständnis werden durch die einprägsame Titelformulierung jedenfalls auch weiterhin herausgelockt. Mit Sicherheit wird die Publikation der Habilitationsschrift in der renommierten Reihe eine breitere Kennntnisnahme fördern und auch zur weiteren Prüfung von Einzelergebnissen anregen (z. B. 188: Bei der Predigt des Kürschners und Müntzerjüngers im Bildhäuser Haufen ist wohl eher an den Kürschner Hans Rote, Zinsschreiber des Mühlhäuser Rates, Schreiber der Achtmänner und des Ausschusses, 1525 Kanzler des Mühlhäuser und Thüringer Haufens, 1543 Gerichtsprokurator in Eschwege, statt an Georg Römer zu denken).

Für die von S. bereits vor 30 Jahren angemahnte kritische Quellenausgabe zu Hut, die bislang ein Desidertat geblieben ist, soll notiert werden, dass sich offenbar auch im Quellenanhang von S. einige kleine Druckfehler eingeschlichen haben. Anhand von Kopien konnten drei Augsburger Quellen verglichen werden. Dabei ergaben sich folgende Korrekturen: 522 Nr. 11: 3. diweil; 526 f. Nr. 14: 5. gefangen, 11. handlen, 19. gestelter, 31: des margraven; 535-537 Nr. 19: 535 vier jar, Muntzers bucher, taufs halben, bei 8 oder 9 tagen (oder 9 = übergeschrieben); 536 Es stand auch in der urfehd, sondern Hans Hut, unrecht zu haben, oder seine gueter, man soll alle fursten; 537 a) davor gestrichen urfehd, c) von derselben Hand ...